Die Klägerin macht Ansprüche wegen angeblicher Behandlungsfehler bei ihrer Geburt geltend. Die Klage richtet sich gegen die Trägerin des Krankenhauses, den leitenden Abteilungsarzt, den diensthabenden Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, die diensthabende Hebamme und den nach der Geburt herangezogenen Kinderarzt.
Geburt mit Umwegen
Am 18. August 1998 wurde die Mutter der Klägerin wegen Überschreitung des errechneten Entbindungstermins in das Krankenhaus eingewiesen. Nach einigen Untersuchungen, bei denen jedoch keine Auffälligkeiten festgestellt werden konnten, wurde sie auf Station verlegt und bekam dort wehenfördernde Mittel.
Einen Tag später ordnete der leitende Arzt zwei Geburtseinleitungsversuche mittels Prostaglandin-Tabletten an. Diese blieben jedoch erfolglos. Die Mutter wurde mittels CTG überwacht und von einer Hebamme betreut.
Gegen 21 Uhr platzte ihre Fruchtblase, dabei ging leicht grünliches Fruchtwasser ab. Als die Wehen immer stärker wurden, nahm die Kindesmutter um 0:15 Uhr der Folgenacht ein Entspannungsbad im Geburtsbecken. Ihr Gynäkologe und Geburtshelfer hatte davon keine Kenntnis, da er erst gegen halb vier von der Hebamme herbeigerufen wurde, als das CTG hoch pathologisch wurde. Er nahm daraufhin einen Dammschnitt vor, doch auch hier war kein Fortschritt festzustellen.
Gegen 4:00 Uhr wurde die Mutter in das Kreißbett gebracht. Die Herzfrequenz des Kindes betrug zu diesem Zeitpunkt zwischen 100 und 170 Schlägen pro Minute. Dort kam es nach zwei Presswehen um 4:22 Uhr zur Spontangeburt. Die Klägerin kam asphyktisch zur Welt. Sie wurde daher direkt vom Arzt im Rachenbereich ausgesaugt und mit Sauerstoff versorgt. Sie begann anschließend, selbstständig zu atmen.
Behandlungsfehler vermutet
Nach der Entbindung wurde ein für das Krankenhaus beratend tätiger Kinderarzt hinzugezogen. Dieser traf gegen 5 Uhr ein und versorgte die Klägerin mit Sauerstoff. Auch er stellte während der Behandlung keine besonderen Auffälligkeiten fest. Etwa zwölf Stunden später begann die Klägerin zu schreien und zu krampfen. Der Kinderarzt veranlasste daraufhin die Verlegung in ein anderes Krankenhaus. Die dortigen Untersuchungen führten letztlich zur Diagnose „Zustand nach schwerem Hirnödem mit ausgeprägter Apnoe- und Krampfneigung“.
In den Folgejahren bezog die Klägerin zahlreiche ambulante und stationäre Behandlungen. Sie gilt als hochgradig sehbehindert und bettlägerig. Hinzu kommen lebensbedrohliche spastische Krampfanfälle. Zudem sei die Klägerin nicht in der Lage, zu essen, zu stehen und zu sitzen. Sie wird wöchentlich von Ärzten, Logopäden und Heilpädagogen untersucht und behandelt und ist auf lebenslange pflegerische Hilfe angewiesen. Die Klägerin geht von groben Behandlungsfehlern vor und bei der Entbindung aus und klagt daher auf Schadensersatz, sowie auf monatliche Rente. In ihrer Klage führt sie unter anderem aus, dass:
- die Tragezeit gar nicht überschritten wurde, was nicht überprüft worden sei und eine Wassergeburt daher kontraindiziert gewesen ist. Vielmehr hätte der Gynäkologe eine operativ-vaginale Entbindung anordnen müssen.
- bereits unmittelbar nach der CTG-Aufnahme Auffälligkeiten ersichtlich gewesen wären, die nicht bemerkt wurden.
- der Kinderarzt ihre Versorgung nicht ordnungsgemäß durchführte, da er auf eine Intensivüberwachung verzichtete.
- die Hebamme den Geburtshelfer früher hätte rufen müssen.
- der leitende Abteilungsarzt sich eher nach dem Zustand der Mutter hätte erkundigen müssen, damit eine operativ-vaginale Geburt hätte eingeleitet werden können.
Trägerin und Geburtshelfer schuldig gesprochen
Die Klage ist zum Teil begründet. Das LG Kleve hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2005 (Az.: 2 O370/01) der Anklage gegen die Trägerin des Krankenhauses sowie den diensthabenden Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Recht gegeben. Die Klage gegen die Hebamme, den Abteilungsarzt und den Kinderarzt wurde abgewiesen.
Der Rechtsanspruch der Klägerin wurde vom Gericht bestätigt. Die Abfindung beläuft sich auf 400.000 Euro Schmerzensgeld und eine monatliche Rente von 500 Euro.
Die körperlichen und geistigen Störungen der Klägerin seien laut Gericht Folge einer fehlerhaften Geburtsleitung. Es dauerte entschieden zu lange, bis nach der Verschlechterung der Herztöne und der unzureichenden Überwachung des CTG um 4:20 Uhr die Entbindung erfolgte. Bereits um 3:30 Uhr sei ein sofortiges Handeln des Geburtshelfers erforderlich gewesen, entweder manuell durch die Saugglocke oder durch Kristellern.
Die Mutter hätte die Geburtswanne demnach sofort verlassen müssen. Dabei lag die Verantwortung beim Geburtshelfer, hierfür Sorge zu tragen. Es sei seine Aufgabe gewesen, auf die drohenden Gesundheitsschäden des Kindes hinzuweisen, die durch den verlängerten Aufenthalt in der Wanne entstanden sind. Die Überwachung war schließlich dort nicht mehr möglich. Die übermäßig lange Zeit bis zur Geburt hatte daher der geburtsleitende Arzt zu verantworten.
Die Beeinträchtigungen der Klägerin sind typische Schäden aufgrund einer andauernden Sauerstoffunterversorgung während des Geburtsvorgangs. Der Anspruch auf Ersatz der immateriellen Schäden gegen die Krankenhausträgerin resultiert aus der „Haftung für den Verrichtungsgehilfen“ gemäß § 831 Absatz 1 BGB. Das fehlerhafte Verhalten des Geburtshelfers ist demnach der Trägerin zuzurechnen. Für die materiellen Schäden haftet gemäß §§ 611, 278 BGB ebenfalls die Krankenhausträgerin aufgrund der Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag durch den Facharzt.
Hebamme unschuldig – Entspannungsbad zunächst legitim
Dem leitenden Abteilungsarzt ist hingegen kein Behandlungsfehler vorzuwerfen. Erstens, da seine Anweisung zu den geburtseinleitenden Maßnahmen mittels Prostaglandin indiziert war und für ihn keine Veranlassung bestand, weitere Maßnahmen zu treffen. Zweitens hat er dem diensthabenden Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe die Behandlung der Mutter rechtmäßig übertragen, sodass ihn hinsichtlich der Behandlungsfehler keine Schuld trifft.
Auch die Klage gegen den Kinderarzt wurde als unbegründet abgewiesen. Zwar habe dieser es pflichtwidrig versäumt, sich um die Vitalwerte der Klägerin zu kümmern, jedoch konnte dies im Nachhinein nicht als ausschlaggebender Punkt für die gesundheitlichen Schäden der Klägerin festgestellt werden.
Zuletzt ist auch die Hebamme von jeglichen Vorwürfen freizusprechen. In der Nacht auf den 20. August 1998 gab es bis um 3:30 Uhr keinen Anlass dafür, das Geburtsmanagement anders zu gestalten bzw. andere Maßnahmen einzuleiten. Erst als um halb vier das CTG hoch pathologisch wurde, ergriff die Hebamme ihre Pflicht und verständigte den Facharzt.
Auch der Umstand, dass beim Blasensprung leicht grünliches Fruchtwasser abging, stellte lediglich Anlass zur besonderen Sorgfalt – nicht zum Einleiten konkreter Maßnahmen. Im Übrigen war das Zulassen des Entspannungsbades bis um halb vier völlig in Ordnung, da bis dato eine Wassergeburt noch nicht kontraindiziert war. Die Hebamme hat also nicht falsch gehandelt, ab 3:30 Uhr weilte die Verantwortung über die Geburtsleitung ausschließlich auf den Schultern des Geburtshelfers.
LG Kleve vom 9. Februar 2005 – 2 O 370/01 = RDG 2006, S. 15 ff.