Braille-Schrift im Fahrstuhl
Wer aufmerk­sam ist, dem begeg­net die Braille-Schrift an vielen öffent­li­chen Stellen – wie hier in einem Fahrstuhl. Bild: Dedmityay/Dreamstime.com

#1: Louis Braille war selbst erblin­det

Am 4. Januar 1809 kam Louis Braille in der nordfran­zö­si­schen Gemeinde Coupv­ray auf die Welt. Sein Geburts­tag ist seit 2018 auch der Welt-Braille-Tag.

Sein Vater Simon-René betrieb eine Sattler­werk­statt. Im Alter von drei Jahren missach­tete der kleine Louis das väter­li­che Verbot, sich nicht alleine in der Werkstatt aufzu­hal­ten: Es kam zu einem Unfall, bei dem sich Louis mit einer Ahle ins Auge stach. Trotz schnell einge­lei­te­ter Maßnah­men entzün­dete sich das verletzte Auge in der Art (hier: Sympa­thi­schen Ophthal­mie), dass im weite­ren Verlauf auch das bislang unver­letzte Auge zu Schaden kam.

Im Alter von fünf Jahren war Louis vollkom­men erblin­det.

In jener Zeit war es üblich, dass blinde Menschen oft als Bettler oder auf Jahrmärk­ten endeten, eine gute Schul­bil­dung war für sie nicht die Norm. Seine Eltern setzen sich aller­dings dafür ein, dass Louis ein ganz norma­les Leben führen konnte. Im Gegen­teil, er wurde zuhause so behan­delt, als wäre er nicht blind: So musste er seinem Vater in der Werkstatt helfen und wurde von seiner Mutter im Haushalt einge­spannt. Sein Vater fertigte extra Blinden­stö­cke für ihn an, damit er sich in ihrem Dorf zurecht­fin­den konnte.

#2: Die Braille-Schrift hat militä­ri­sche Wurzeln

Louis Braille galt als ein sehr inter­es­sier­ter, wissbe­gie­ri­ger Junge und fiel früh durch seinen Fleiß positiv auf. Dies führte dazu, dass er ab dem Alter von 10 Jahren eine der ersten Blinden­schu­len für blinde Kinder in Paris, der Insti­tu­tion Royale des Jeunes Aveugles, besuchte. Das Schul­ge­bäude mag baufäl­lig gewesen sein und das Insti­tut unter­fi­nan­ziert, aber es bot den Kindern eine sichere Lernum­ge­bung.

Ungefähr zur gleichen Zeit entwi­ckelte der franzö­si­sche Haupt­mann Charles Barbier,der einem Inter­esse für Verschlüs­se­lun­gen und Kurzschrift, die sogenannte „Nacht­schrift“. Mit dieser sollten Solda­ten in der Lage vesetzt werden, auch im Dunkeln kommu­ni­zie­ren zu können, ohne dass der Schein einer Laterne oder einer Kerze ihre Anwesen­heit verra­ten könnte.

Zu diesem Zweck wurden Löcher in dicke­res Papier gestanzt, um auf der Rückseite die Erhebun­gen ertas­ten zu könne. Die einzel­nen Zeichen bestan­den aus zwei senkrech­ten Reihen mit ein bis sechs Punkten, womit ein Zeichen aus bis zu 12 Punkten bestehen konnte. Aller­dings war die Schrift sehr komplex und umständ­lich, weswe­gen sie bei den Solda­ten auf wenig Gegen­liebe stieß.

In der Hoffnung, dass seine Nacht­schrift vielleicht ander­wei­tig Verwen­dung finden könnte, wandte sich Barbier sich zunächst posta­lisch, dann persön­lich an die Schule, in welcher auch Louis Braille unter­ge­bracht war. So wurde Braille auf die Erfin­dung Barbiers aufmerk­sam.

#3: Die Braille-Schrift gibt es auch für Musik

Sowohl Braille als auch seine Mitschü­ler waren sehr inter­es­siert an Barbiers Nacht­schrift, und neugie­rig wie Braille war, überlegte er sich Möglich­kei­ten, diese zu verein­fa­chen. Er reduzierte die Anzahl von 12 auf 6 Punkte, somit konnten insge­samt 64 verschie­dene Zeichen erstellt werden.

Das war vollkom­men ausrei­chend, da auf Groß- und Klein­schrei­bung zu Anfang verzich­tet wurde. Und obwohl die Zeichen­an­zahl ausge­reicht hätte, um auch Ziffern darzu­stel­len, führte Braille ein „Umschalt­zei­chen“ ein, womit die Buchsta­ben dann zu Zahlen wurden.

Im Alter von 16 Jahren – im Jahr 1825 – hatte Louis seine „Braille-Schrift“ fertig gestellt.

Musiknoten nach Braille
Musik­no­ten nach Braille.

Da er auch sehr musik­in­ter­es­siert war – später sollte er ein anerkann­ter Cellist und Organist werden – entwi­ckelte Louis Braille darüber hinaus Varian­ten seiner Schrift zur Darstel­lung von Musik­no­ten.

#4: Direk­to­ren­wech­sel an dem Insti­tut für Blinde und damit verbun­dene Probleme

Nachdem er seinen Schul­ab­schluss erlangte, wurde er von der Insti­tuts­lei­tung gefragt, ob er nicht als Lehrer in dem Insti­tut tätig sein möchte, was er auch fast bis zu seinem Lebens­ende war. Ab 1833 hatte er eine Profes­sur für Geschichte, Algebra und Geome­trie inne.

Der bis 1840 tätige Direk­tor der Univer­si­tät war ein Unter­stüt­zer von Braille und seinem System. Das ändert sich, als dieser von dem jungen Lehrer Pierre-Armand Dufau rausge­drängt wurde.

Dufau war der im Gegen­satz zu seinem Vorgän­ger der Überzeu­gung, dass eine eigene Schrift für Blinde diese nur noch mehr ausgren­zen würde, da sie mit einer Schrift kommu­ni­zie­ren, die für Sehende nicht lesbar ist. Da spiel­ten aber viele der unter­rich­te­ten Kinder nicht mit: Sie lernten und nutzten die Braille-Schrift einfach heimlich weiter.

Louis Braille, mittler­weile gesund­heit­lich geschwächt, versuchte weiter­hin, seine Idee durch­zu­set­zen, was ihm aber Zeit seines Lebens nicht wirklich gelang. 1849 muss er sich aufgrund seines Zustan­des aus dem Schul­le­ben zurück­zie­hen, 1852 sollte er einer Tuber­ku­lose-Erkran­kung erlie­gen.

#5: Zu späte Anerken­nung?

Offizi­ell anerkannt wird die Braille-Schrift in Frank­reich erst im Jahre 1854, in Deutsch­land wurde sie 1879 einge­führt. 1916 wurde Braille offizi­ell an Schulen für Blinde in den USA einge­führt, und 1932 wurde ein univer­sel­ler Braille-Code für die engli­sche Sprache entwi­ckelt.

Also erst nach Brailles Tod sollte er die Anerken­nung bekom­men, die er schon zu Lebzei­ten verdient hätte. Denn mit seiner Neugier, seinem Enthu­si­as­mus und seinem Fleiß half er weltweit sehr vielen Blinden und sehbe­hin­der­ten Menschen, ein weitest­ge­hend norma­les Leben zu führen. Oder wie er es einmal selbst sagte:

„Der Zugang zur Kommu­ni­ka­tion im weites­ten Sinne ist der Zugang zum Wissen, und das ist für uns von entschei­den­der Bedeu­tung, wenn wir [die Blinden] nicht weiter­hin von herab­las­sen­den Sehen­den verach­tet oder bevor­mun­det werden wollen. Wir brauchen weder Mitleid, noch müssen wir daran erinnert werden, dass wir verletz­lich sind. Wir müssen gleich­be­rech­tigt behan­delt werden – und Kommu­ni­ka­tion ist der Weg, dies zu errei­chen.“

Inter­es­sante Fakten: Zu seinem 200sten Geburts­tag brach­ten sowohl Belgien als auch Italien eine 2‑Euro-Gedenk­münze für Braille heraus, Indien und die USA gaben ebenfalls Sonder­prä­gun­gen aus. Darüber hinaus findet sich Louis Braille auf vielen Brief­mar­ken weltweit wieder. 1999 wurde der Asteroid (9969) Braille nach ihm benannt.

Briefmarke mit Louis Braille
Indische Brief­marke mit Louis Braille anläss­lich seines 200. Geburts­ta­ges. Bild: Sergei Nezhinskii/Dreamstime.com

Im Übrigen wurde von 1970 bis 1985 auch das Herren­ma­ga­zin Playboy in einer Braille-Ausgabe heraus­ge­ge­ben.

Und vielleicht etwas makaber: Sein Körper wurde 100 Jahre nach seinem Tod exhumiert und in das Pariser Panthéon überführt. Ledig­lich seine Hände verblie­ben, wegen der zentra­len Bedeu­tung seiner Erfin­dung, in seinem Grab in seinem Heimat­ort.