Ärzte reduzieren Patienten oft auf ihre Erkrankung
Schon bei den Begrifflichkeiten fängt eine fehlgeleitete Kommunikation an, ist Prof. Dr. Hartmut Schröder überzeugt.
Schnell reduzieren Ärzte die Menschen auf ihre Erkrankung. „Der Begriff des Diabetikers ist unsäglich. Es sind Menschen mit Diabetes!“, verdeutlichte er.
„Wenn ich einen Schnupfen habe, bin ich dann etwa ein Schnupfiker?“ Doch das richtige Sprechen mit den Patienten ist für Ärzte nicht nur eine Frage des Stils, sondern hat konkrete medizinische Auswirkungen: Wenn ein Patient sich gut und zuversichtlich fühlt, wird dies positive Effekte auf den Erkrankungsverlauf haben.
Der „Valebo“-Effekt
Bei der Winterakademie 2024 auf Gran Canaria bildete sein Vortrag „Der Valebo-Effekt – Heilung durch Selbstheilung?“ den Schlusspunkt des diesjährigen Programms.
„Ich hatte den einzigen Lehrstuhl für therapeutische Kommunikation“, merkte er an. Bis 2020 war Schröder der Lehrstuhlinhaber für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), heute wird diese medizinische Teildisziplin nirgendwo mehr angeboten – was er sehr schade und kontraproduktiv finde. „Unser Gesundheitsystem fährt mit 300 Stundenkilometern gegen eine Betonwand“, gerade da sei es wichtig, Therapiechancen nicht zu verschenken.
„Selbst für sich genommen hochwirksame Medikamente wirken je nach Art der Patientenkommunikation gut oder weniger gut. Es hängt davon ab: Weiß er, dass das Morphin verabreicht wird? Wer verabreicht es – der Arzt oder die Schwester? Wie wird es verabreicht?“
Dies seien Fragen, denen sich das Behandlungsteam und die Ärzte stellen müssten. Der berühmte Placebo-Effekt – wenn ein Scheinmedikament ohne Wirkstoffe eine Besserung des Patientenzustandes bewirkt, weil dieser daran glaubt – sei das Vorbild des von ihm formulierten „Valebo-Effekts“, über den er auch ein Buch geschrieben hat.
Patienten auf Augenhöhe begegnen
Dabei geht es darum, Patienten als Menschen auf Augenhöhe und als gleichberechtigte Partner der Ärzte in den Prozess ihrer Gesundung einzubeziehen. Bewusst knüpft er an den Placebo-Begriff an. Ein Placebo-Effekt müsse nicht auf Täuschung beruhen. „Vielmehr kann der Patient zum selbstwirksamen Placebo, das heißt zu einem Valebo werden“, so Schröder.
Auch seine Frau Marlen Schröder, ebenfalls Ärztin, steuerte einen Fall bei – der besonders rührend ist.
„Ich bin vor 25 Jahren von der Arztpraxis nach Hause gefahren und traf auf einen verunglückten Motorradfahrer, der in der Sonne lag“, erinnerte sie sich. „Der Notarzt war bereits verständigt. Ich habe die Menschenmenge als Sonnenschutz aufgestellt und einfach mit dem Motorradfahrer geredet – mich gemeinsam mit ihm gedanklich in eine angenehme Situation versetzt.“
Später erkundigte sie sich im Krankenhaus nach ihm – er hatte den Unfall überlebt. „Drei Monate danach kam er mit einem Blumenstrauß in meine Praxis und sagte, meine Fürsorge hätte ihm das Leben gerettet.“