Akademisierung
Seit einiger Zeit werden Stimmen lauter, die die Akade­mi­sie­rung der Pflege fordern

Akade­mi­sie­rung der Pflege im Fokus: In Deutsch­land ist die Pflege tradi­tio­nel­ler­weise ein Ausbil­dungs­be­ruf. Im Rahmen einer dreijäh­ri­gen Ausbil­dung werden zunächst allge­meine Fähig­kei­ten für den Pflege­be­ruf erlernt. Im dritten Ausbil­dungs­jahr kann dann die Spezia­li­sie­rung gewählt werden: An Stelle des genera­lis­ti­schen Abschlus­ses als Pflege­fach­frau bzw. Pflege­fach­mann können die Auszu­bil­den­den auch Gesund­heits- und Kinder­kran­ken­pflege oder Alten­pflege als Schwer­punkt wählen.

Vor dieser Neustruk­tu­rie­rung der Pflege­aus­bil­dung, die 2020 im Rahmen der Konzer­tier­ten Aktion Pflege umgesetzt wurde, waren die Ausbil­dungs­wege der Kranken‑, Kinder­kran­ken- und Alten­pflege komplett getrennt. Durch die Reform 2020 sollte die Pflege­aus­bil­dung moder­ner und attrak­ti­ver werden. Erstmals wurden Tätig­kei­ten definiert, die nur von Pflegen­den ausge­übt werden durften, was zur Aufwer­tung des Berufs beitra­gen sollte.

Akade­mi­sie­rung als Chance

Seit einiger Zeit werden Stimmen lauter, die die Akade­mi­sie­rung der Pflege fordern. Wieder steht das Ziel dahin­ter, den Pflege­be­ruf aufzu­wer­ten. Durch höhere akade­mi­sche Quali­fi­ka­tion – so die Idee – könnten Pflegende auch Tätig­kei­ten überneh­men, die bisher Ärzten und Ärztin­nen vorbe­hal­ten sind. Dadurch sollen Pflegende an zusätz­li­che beruf­li­che Autori­tät und Selbst­stän­dig­keit gewin­nen.

In anderen Ländern funktio­niert dieser Ansatz. In Schwe­den ist die Pflege bereits seit den 1970er Jahren ein akade­mi­scher Beruf: Ein Hochschul­ab­schluss ist Voraus­set­zung. Patien­ten können sich mit gesund­heit­li­chen Proble­men direkt an Pflegende wenden, die die Behand­lung durch­füh­ren oder bei Bedarf eine Arzt hinzu­zie­hen. Schwe­di­sche Pflege­kräfte dürfen auch selbst Medika­mente verschrei­ben. Sie haben so im Unter­schied zu Deutsch­land eine eigen­stän­dige Funktion im Pflege­be­reich und werden weniger als Assis­ten­ten der Ärzte gesehen.

Pflege­stu­dium: Gut gemeint, schlecht gemacht

In Deutsch­land ist es bereits seit dem Pflege­be­ru­fe­ge­setz von 2020 möglich, eine Primär­qua­li­fi­ka­tion für den Beruf an Hochschu­len oder Univer­si­tä­ten zu erwer­ben. Es gibt deutsch­land­weit über 140 Pflege­stu­di­en­gänge. Das Ziel der akade­mi­schen Ausbil­dung mit dem Abschluss Pflege­fach­frau bezie­hungs­weise Pflege­fach­mann ist dabei, auch die prakti­schen Aspekte des Pflege­be­rufs mit wissen­schaft­li­chen Hinter­grund zu unter­rich­ten.

Für die Studie­ren­den hat das im Gegen­satz zum Ausbil­dungs­be­ruf aller­dings Nachteile. Denn bisher haben Kranken­häu­ser und Pflege­ein­rich­tun­gen Probleme, entspre­chende Stellen­pro­file zu entwi­ckeln. Für die Studie­ren­den heißt dass, das sie ihr Wissen später nicht unbedingt anwen­den können. Vielmehr arbei­ten sie nach dem Studium mit dem gleichem Aufga­ben­be­reich wie vor dem Studium. Und beson­ders frustrie­rend: Sie arbei­ten auch für das gleiche Gehalt.

Das Gehalt ist ein weite­rer wunder Punkt. Das Pflege­stu­dium verlangt 2.300 Stunden Praxis­ein­sätze. Diese werden aller­dings nicht vergü­tet. Für die Studie­ren­den bedeu­tet das, in vielen Ferien­zei­ten unbezahlt zu arbei­ten. Das könnte einer der Gründe sein, weshalb über 50 Prozent der Studi­en­plätze unbesetzt bleiben.

Kritik: Pflege darf nicht exklu­si­ver werden

Der Wunsch nach einer Akade­mi­sie­rung der Pflege wird neben steigen­der Anerken­nung auch mit den wachsen­den Anfor­de­run­gen des Berufs begrün­det. Der demogra­phi­sche Wandel – die Deutschen bekom­men weniger Kinder, gleich­zei­tig verlän­gert sich die Lebens­dauer – sorgt für eine Verschie­bung des Durch­schnitts­al­ters nach oben. Das heißt, es wird immer mehr ältere Menschen mit komple­xen Pflege­be­dürf­nis­sen geben. Von den Pflegen­den wird erwar­tet, sich nicht nur um immer mehr Menschen zu kümmern, sondern auch mit dem medizi­ni­schen Fortschritt mitzu­hal­ten.

Kriti­ker wenden ein, dass gerade beim steigen­den Bedarf an Pflege­kräf­ten der Beruf nicht exklu­si­ver werden darf. Schon heute fehlen Fachkräfte in allen Pflege­be­rei­chen. Eine weitere Akade­mi­sie­rung würde der Zugang zum Beruf auf Menschen mit zwölf Jahren Schul­bil­dung beschrän­ken und damit einen bestimm­ten Teil der an der Pflege Inter­es­sier­ten ausschlie­ßen.

Aber auch die Befür­wor­ter der Akade­mi­sie­rung argumen­tie­ren mit der Attrak­ti­vi­tät des Berufs­fel­des: Immer mehr Jugend­li­che machen das Abitur, viele von ihnen möchten studie­ren. Zur Zeit finden diese Menschen wenig Anreize, einen Pflege­be­ruf zu ergrei­fen.

Fazit: Warum nicht beides?

Eine Alter­na­tive bietet aktuell schon das berufs­be­glei­tende Studium. Hier können Pflegende im Beruf bleiben und so weiter Geld verdie­nen. Gleich­zei­tig erwer­ben sie eine akade­mi­sche Quali­fi­ka­tion, lernen wissen­schaft­li­ches Arbei­ten und sind so auf andere beruf­li­che Anfor­de­run­gen gut vorbe­rei­tet. Zwar erfor­dert das berufs­be­glei­tende Studium sehr viel Selbst­dis­zi­plin sowie die Bereit­schaft, noch weniger Freizeit zu haben, als das im Pflege­be­ruf sowieso sehr oft der Fall ist. Aber auf diesem Weg können Pflegende sehen, ob das Studium ihnen liegt, ohne automa­tisch auf einige Jahre Berufs­er­fah­rung zu verzich­ten.