Bei den Verhandlungen über ihre Ampelkoalition befinden sich SPD, FDP und Bündnis 90/Grünen offenbar auf der Zielgeraden. Noch zum Abschluss dieser Woche, also bis 28. November, wollen die drei potenziellen Koalitionspartner der sogenannten Ampel ihren Entwurf für einen Koalitionsvertrag präsentieren. Um den Nikolaustag, 6. Dezember, herum könnte Olaf Scholz im Bundestag zum neuen Bundeskanzler gewählt werden. Immer vorausgesetzt, die Parteitage von SPD und FDP sowie die Basis der Grünen stimmt dem ausgehandelten Vertragswerk zu.
Ampel will deutliche Verbesserungen
Bei den seit rund fünf Wochen laufenden Koalitionsgesprächen befasst sich eine der 22 Verhandlungsgruppen mit Gesundheit und Pflege. Der zwölfköpfigen Gruppe gehören vier Mitwirkende pro Partei an, unter anderem der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sowie die gelernte Krankenschwester und pflegepolitische Sprecherin der Grünen in der vergangenen Legislaturperiode, Kordula Schulz-Asche.
Wie aus den Gesprächskreisen verlautete, will die neue Ampel-Koalition im Bereich der Pflege einige Verbesserungen in Angriff nehmen. Darunter gehören bessere Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen, Fortschritte in Akademisierung und Abschluss-Anerkennung sowie ein Platz für die Pflege im mächtigen G‑BA. Ein Überblick hierzu:
- Stärkung der ambulanten Versorgung in Kliniken: Das Prinzip „ambulant vor stationär“ soll vermehrt in den Blickpunkt geraten. Dies würde indirekt die Pflege auf den Stationen entlasten und den Kliniken einen Anreiz geben, auf nicht unbedingt notwendige Einweisungen zu verzichten. Außerdem erhielten Patienten eine neue Anlaufstelle, sich frühzeitig um eine Therapie ihrer Beschwerden zu kümmern, noch bevor sie zum stationären Behandlungsfall werden.
- Einführung einer Grundfinanzierung für Krankenhäuser: Ein Teil ihrer Erlöse soll leistungsunabhängig als Grundfinanzierung an die Kliniken gehen und nicht mehr nur leistungsbezogen pro Behandlungsfall fließen. Auch das wäre ein kleiner Schritt zur Abkehr vom „Belegungs-Denken“ in Krankenhäusern.
- Neue Instrumente zur Bemessung des Personalbedarfs: Die sogenannte PPR 2.0, das weiterentwickelte Verfahren der Personalbemessung in Krankenhäusern, soll eingeführt werden. Seit Januar 2019 gelten für bestimmte, besonders pflegesensitive Klinik-Bereiche Personaluntergrenzen, die im Monatsdurchschnitt nicht unterschritten werden dürfen. Derzeit sind für neun Klinikbereiche – von Intensivmedizin über Pädiatrie, Geriatrie, Allgemeine, Unfall- und Herzchirugie bis zur neurologischen „Stroke Unit“ – Untergrenzen für die Personalausstattung definiert; seit Ausbruch der Coronapandemie im Frühjahr 2020 gab es allerdings Ausnahmen.
- Bundesweite Befragung zu Pflegekammern: Die neue Bundesregierung will eine bundesweite Befragung der beruflich Pflegenden durchführen, um herauszufinden, wie sich die Angehörigen des Berufs eine Selbstverwaltung der Pflege vorstellen. Eine Pflegekammer auf Landesebene gibt es derzeit in Rheinland-Pfalz, eine weitere in NRW ist in der Konstituierung und soll im März 2022 ihre Arbeit aufnehmen. Die vormaligen Pflegekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden bzw. wurden nach negativen Referendums-Voten der Pflegenden in den beiden Bundesländern wieder abgewickelt. In Bayern existiert als Sonderfall ein Pflegering, die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB). Er wird vom Land finanziert, die in der Pflege Tätigen können freiwillig Mitglied werden und zahlen hierfür nichts. Kritiker sehen im Gegenzug eine mangelnde Unabhängigkeit des Gremiums.
- Verringerung der Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege: Beschäftigte in der Altenpflege verdienen laut des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) brutto rund 600 Euro weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken. Diese Kluft besteht interessanterweise sowohl zwischen den Fachkräften beider Bereiche, als auch zwischen den Hilfskräften. Die neue Koalition will mit steuerfreien Zuschlägen dafür sorgen, dass sich die Diskrepanz verringert.
- Integration Deutscher Pflegerat in G‑BA: Der Deutsche Pflegerat soll, als „Stimme für die Pflege“ einen Platz im mächtigen Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA), dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, erhalten. Dort sitzen, neben der unparteiischen Leitung und zwei weiteren nicht parteientsandten Mitgliedern, bislang jeweils fünf Mandatsträger der gesetzlichen Kassen einerseits, sowie von Ärzte‑, Zahnärzte- und Klinikverband andererseits.
- Schnellere Anerkennung ausländischer Pflegeabschlüsse: Weniger Bürokratie bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Pflegeabschlüssen soll dazu beitragen, Barrieren beim Zugang zum deutschen Pflege-Arbeitsmarkt zu beseitigen und somit einen Teil des Personalmangels zu lindern.
- Stärkung der akademischen Pflegeausbildung: Die neue Bundesregierung will mit den Ländern darauf hinwirken, die akademische Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften zu stärken. Auch die Etablierung des neuen Berufsbilds der „Community Health Nurse“, das heilkundliche Aufgaben einschließt, ist in der Debatte.
Bochumer Bund: Positive Ansätze, jedoch bleibt vieles unkonkret
Die Pflegegewerkschaft BochumerBund reagierte verhalten auf die Verlautbarungen aus der Verhandlungsgruppe der Ampel. Wichtige Sachen fehlten in den bisherigen Ergebnissen. „Die neue Bundesregierung will die Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen und Pflegekräften verbessern, aber uns fehlen viele konkrete Aussagen“, resümierte Heide Schneider, Vorstandsvorsitzende der neuen, 2020 gegründeten Spartengewerkschaft für die Pflegeberufe. Aus den bisherigen Verhandlungs-Ergebnissen sei wenig Substanzielles zu entnehmen.
Positiv bewertet Schneider die Änderungen bei der Finanzierung der Behandlungspflege, dass die Ausbildungsumlage nicht mehr zu Lasten von Pflegebedürftigen gehen soll, sowie der beabsichtigte Ausbau der Personalbemessung. Es fehle jedoch hier ein Bekenntnis zur Wichtigkeit von Pflegeexpertise und Fachpflege, sowie zur Refinanzierung der Gehälter der Fachpflegenden.
Im Bereich der Krankenhäuser sei die geplante Einführung der Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0 positiv zu bewerten, sowie der angestrebte Sitz für die Pflege im G‑BA. Auch hier fehlten jedoch Aussagen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder zur Refinanzierung der Gehälter bzw. dem Absenken der Arbeitszeit. Die aus dem Arbeitskreis genannten monetären und nicht-monetären Möglichkeiten zur Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe – wie steuerfreie Zuschläge, Abschaffung geteilter Schichten, Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten und die Einführung träger-eigener Springerpools für kurzfristigen Personalbedarf – gebe es schon jetzt.
„Arzt- und Medizin-Zentriertheit des Systems bleibt erhalten“
Des Weiteren vermisse man eine Aussage, wie man zu einem allgemeingültigen Tarifvertrag in der Pflege stehe, sowie der flächendeckenden Anhebung der Gehälter. Ein grundsätzliches Umdenken erkenne man nicht. „Die Arzt- und Medizinzentriertheit in der gesamten Gesetzgebung und Finanzierung bleibt erhalten“, so Schneider.
Die geplante Vollbefragung aller Pflegenden in Deutschland zur Pflegekammer sehe man ebenso kritisch. „Hier steht die Befürchtung, dass wieder eine kleine laute Minderheit den Diskurs dominiert und der Gesetzgeber sich zurücklegt und wieder nicht macht, was den Pflegenden zugutekommen würde“, so Schneider in Anspielung auf die Referenden contra Pflegekammer in den zwei Nord-Bundesländern.
Im Übrigen verweise man auf die bestehenden Forderungen des BochumerBundes an die Bundesregierung, darunter einer Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, einem Pflege-Mindestlohn von 17 Euro, der sofortigen Refinanzierung der Pflegegehälter ab dem ersten Tag, einem Verbot der Rendite auf Kosten der Pflegebedürftigen und der Sozialkassen, dem Ausbau von Studienplätzen im generalistischen Pflegestudium sowie eine Frührente ohne Abzug. Außerdem, so eine weitere Idee, sollten Pflegende den ÖPNV und Fernverkehr kostenlos nutzen können.