Die rechtliche Befugnis und die tatsächliche Befähigung von nichtärztlichem Personal zur Übernahme von delegierten Aufgaben decken sich nicht immer. In dem Bereich der Aufgabendelegation klafft seit langer Zeit ein Spannungsfeld mit haftungsrechtlicher Aufladung, das sich an dem tatsächlichen Können und dem rechtlichen Dürfen der pflegerischen Fachkräfte ausrichtet. Einen umfassenden und anschaulichen Überblick zu der Delegations- und Haftungsproblematik gab Prof. Dr. Volker Großkopf vom Fachbereich Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule NRW in Köln in dem Satelliten-Symposium der ConvaTec (Germany) GmbH „Wundversorgung ohne Grenzen?“ im Rahmen des Deutschen Wundkongresses in Bremen. Neben der Darstellung des rechtlichen Zusammenspiels zwischen Ärzten und pflegerischen Fachkräften, instruierte Dr. Karl-Christian Münter, Facharzt für Allgemeinmedizin und Phlebologie in Hamburg, die Teilnehmer über die aktuelle politische Diskussion zur Verbandmitteldefinition und ihre wegweisende Bedeutung für die Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden.
Um den Zuhörern die diffuse Gemengelage im Bereich der Delegation näherzubringen, untermauerte Prof. Großkopf seinen Vortrag mit direkten Beispielen aus der Wundbehandlungspraxis. Hierbei traten die verschiedenen Verantwortungsbereiche der jeweiligen Akteure deutlich zu Tage:
Im ersten Schritt muss die anweisende Person innerhalb der sogenannten Anordnungsverantwortung den richtigen Adressaten für die zu delegierende Aufgabe auswählen. Verlangt ist also etwa die Feststellung, ob beispielsweise die pflegerische Fachkraft zur Kompression im Rahmen der Ulcus cruris-Behandlung überhaupt befähigt ist. Als nächstes verantwortet der Anweisende die Kontrolle darüber, ob die Anweisung sach- und fachgerecht ausgeführt worden ist. Für den Fall der Kompressionstherapie muss beispielsweise die Einhaltung der adäquaten Druckverhältnisse ins Visier genommen werden.
Im Rahmen der Durchführungsverantwortung hat dann die angewiesene Pflegefachkraft für die ordnungsgemäße Ausführung einzustehen. Werden beispielsweise die erforderlichen Hygienevorschriften von ihr nicht eingehalten, so muss sie dafür die Verantwortung tragen. Bei der Anordnungsausführung ist sie übrigens stets zur Eigenprüfung verpflichtet: „Bin ich überhaupt in der Lage die Anweisung durchzuführen? Fällt sie in meinen Arbeitsbereich oder ausschließlich in den Kernbereich ärztlichen Handelns? – das sind Fragen, die sich in dem Fall die durchführende Pflegefachkraft stellen muss“, erklärte Prof. Dr. Großkopf den Teilnehmern. Fühlt sie sich nicht zur Ausübung der Anordnung im Stande, müsse sie allein schon vom Drittschutzgedanken gegenüber dem Patienten her unbedingt intervenieren und von ihrem Einwendungsrecht Gebrauch machen. „Hat die Fachkraft die Anweisung vorgenommen, obwohl sie wusste, dass sie dazu nicht im Stande war, dann liegt ein Übernahmeverschulden vor. Letztlich kommt es aber natürlich immer nur dann zur Haftungsfrage, wenn es auch tatsächlich zu einem Schadenfall kommt“, so Großkopf weiter.
Der Anordnung darf vertraut, aber zugleich nicht blind vertraut werden
Neben der Anordnungsverantwortung auf der einen und der Durchführungsverantwortung auf der anderen Seite, kommt nun noch ein äußerst wichtiger Grundsatz im Rahmen dieses Delegationsgeflechts hinzu. Und zwar kann der Angewiesene, also hier die Pflegefachkraft, grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Anweisung sach- und fachgerecht ist. Sie muss die Anweisung also nicht überprüfen. „Doch natürlich bleibt kein Grundsatz ohne Einschränkung, denn blindes Vertrauen ist auch nicht zulässig. Ist man sich darüber im Klaren, dass gerade ein falsches Bein amputiert wird, dann muss man das selbstverständlich äußern“, so Großkopf.
Die besondere Gemengelage der Delegation im Bereich der Wundbehandlung
Genau hier liegt nun die Problematik im Bereich der Wundbehandlung, denn eine so eindeutige Einschätzung über die Richtigkeit der angeordneten Wundtherapie gibt es oft nicht. Doch auch für diese Schwierigkeit hielt Prof. Großkopf den Symposien-Teilnehmern eine Lösung parat. „Und zwar ist eine Anweisung dann falsch, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gemäß § 276 Absatz 2 BGB außer Acht gelassen wird. Was genau hierunter zu verstehen ist, kann ebenfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch entnommen werden: § 630a Absatz 2 BGB gebietet die Einhaltung des anerkannten Standes der Wissenschaft und Forschung“, so Großkopf. Dieser anerkannte Stand wiederum speist sich aus den vorhandenen Expertenstandards, Leitlinien sowie aus dem Lehrbuchwissen der Experten aus den beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen. Abseits dessen gab Prof. Großkopf den Wundexperten noch einen abschließenden und eindringlichen Appell mit auf den Weg: „Nicht Konfrontation, sondern Kooperation sollte den Dialog unter den Wundbehandlern bestimmen.“
Stolperstein für Wundbehandler: Eine neue Definition des Verbandmittelbegriffs sorgt für Aufregung
Daran anschließend übernahm Dr. Münter einen ebenso spannenden Ausflug in die aktuelle politische Diskussion rund um die Definition des Begriffs des Verbandmittels. Er erläuterte das Verhältnis in dieser hitzigen Debatte zwischen dem Bundesgesundheitsministerium, sozusagen als verlängerter Arm der Bundesregierung, und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) als oberster Selbstverwaltungsträger der gesetzlichen Krankenversicherung. Die erheblichen Differenzen in der Auslegung des Verbandmittelbegriffs zwischen den beiden politischen Organen sowie ihre Auswirkung auf das Gesetzgebungsverfahren und die resultierenden Konsequenzen für die ärztliche Verordnung machte er dabei den Zuhörern in aller Deutlichkeit klar.
Angefangen haben die Differenzen seit der Feststellung, dass es für die moderne Wundversorgung keine Evidenz gibt. Dies haben die Krankenkassen dankbar aufgenommen und unter Einschaltung des G‑BA versucht, die Verordnungsfähigkeit moderner Verbandmittel in Frage zu stellen. Schließlich will der G‑BA die Kassen nicht verpflichten, für Verbandmittel zu zahlen, die nicht genügend Evidenz aufweisen. Die breite Definition des Begriffes von Verbandmitteln, die das Ministerium im Rahmen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) vorgesehen hat, ist daher auf deutlichen Widerstand bei dem G‑BA gestoßen. Dieser sah vielmehr eine deutlich engere Definition vor, die innerhalb der Arzneimittel-Richtlinie manifestiert werden sollte. Auf die darauf eingelegte Beanstandung hat der G‑BA selbstbewusst reagiert und das Ministerium verklagt.
Zahlreiche Verbandmittel würden aus der Verordnungsfähigkeit herausfallen
Mit klaren Worten verdeutlichte Münter den Teilnehmern die Konsequenzen, wenn sich die enge Verbandmitteldefinition durchsetzt, wie sie vom G‑BA vorgesehen ist: „Manche gewohnte Produkte werden in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen, davon müssen wir ausgehen.“
Es würden im Grunde alle Produkte aus der Verordnungsfähigkeit herausfallen, die irgendwelche Stoffe in die Wunde abgeben. „Aus weniger mehr machen“ lautete daher das Abschluss-Credo von Dr. Münter an die Wundbehandler.
Das Interesse am Ausblick auf den Ausgang der Debatte um die Verbandmitteldefinition sowie die Präsenz im pflegerischen und ärztlichen Alltag der Delegations- und Haftungsproblematik spiegelten sich durch die restlos belegten Plätze im Saal und dem hohen Frageaufkommen der Wundexperten wider: Über 300 Teilnehmer nahmen an dem Satellitensymposium der ConvaTec GmbH teil und sorgten mit spannenden und weiterführenden Fragen zu einer regen und aufschlussreichen Diskussionsrunde im Anschluss an die Vorträge der Referenten. Moderiert wurde das Symposium von Tanja Dormels, Geschäftsführerin der ConvaTec (Germany) GmbH.