Gewalt
Gewalt in der Pflege: ein größer werden­des Problem Bild: Desiree Gorges

Es bedarf einer dicken Haut, wenn man in seinem Berufs­all­tag damit rechnen muss, geschla­gen, belei­digt oder begrapscht zu werden. Pflege­kräfte müssen dieses Risiko in Kauf nehmen, etwa in der Alten­pflege und Psych­ia­trie, wo Demenz oder Wahnvor­stel­lun­gen regel­mä­ßig in Gewalt münden.

Aber auch Sucht oder Medika­mente können zu aggres­si­vem Verhal­ten bei Patien­ten führen, dazu kommen Angehö­rige, die Pflege­kräfte unter Druck setzen, indem sie zum Beispiel in der Notauf­nahme pöbeln.

Dunkel­zif­fer: Mehr als 5.000 dokumen­tierte Gewalt­vor­fälle pro Jahr

Die Berufs­ge­nos­sen­schaft für Gesund­heits­dienst und Wohlfahrts­pflege (BGW) bezif­fert die branchen­spe­zi­fi­sche Aggres­sion in einem Bericht mit rund 5.300 Fällen pro Jahr.

Diese Zahl beruht auf Unfall­da­ten aus den Jahren 2018 bis 2022, die im Zusam­men­hang mit Schreck‑, Gewalt‑, Überraschungs‑, Angriffs- oder Bedro­hungs­si­tua­tio­nen gemel­det wurden.

Diese Vorfälle sind dem Bericht zufolge zu 80% auf zwischen­mensch­li­che Konflikte zurück­zu­füh­ren und betref­fen zu 83% Beschäf­tigte in pflege­ri­schen und betreu­en­den Berufen wie der Alten- und Kranken­pflege.

Als Arbeits­un­fall betrach­tet

Aus versi­che­rungs­recht­li­cher Sicht werden diese Art von Taten gegen Pflege­kräfte als Arbeits­un­fall betrach­tet. Entspre­chende Vorfälle sollten zwar stets dokumen­tiert und der Berufs­ge­nos­sen­schaft gemel­det werden, verpflich­tend ist dies jedoch erst, wenn die Aggres­sion eine Arbeits­un­fä­hig­keit von mehr als drei Tagen nach sich zieht.

Da nicht jeder Akt in einer melde­pflich­ti­gen Krank­mel­dung resul­tiert und sich gesund­heit­li­che Probleme – insbe­son­dere auf der psychi­schen Ebene – erst später entwi­ckeln können, geht die BGW in ihrem Bericht auch von einer unvoll­stän­di­gen Daten­lage und einer Dunkel­zif­fer aus.

Dennoch machen die Zahlen das Problem deutlich.

Gewalt­tä­tige Angehö­rige und sexua­li­sierte Gewalt keine Selten­heit

Gestützt wird der Bericht von zwei weite­ren Studien, die sich Gewalt­er­fah­run­gen in der Notauf­nahme und sexua­li­sier­ter Gewalt gegen­über Pflege­kräf­ten widmen. So haben von 349 Beschäf­tig­ten in der Notauf­nahme mehr als 90% verbale Gewalt sowohl durch Patien­ten als auch Angehö­rige von Patien­ten erlebt.

Und auch körper­li­che Angriffe sind keine Selten­heit: 87% der Befrag­ten wurde durch Patien­ten und 64% durch Angehö­rige schon einmal angegrif­fen.

Die Studie zur sexua­li­sier­ten Gewalt zeigt, dass Beschäf­tigte im Gesund­heits- und Sozial­be­reich häufig betrof­fen sind und dies oft in Zusam­men­hang mit psychi­schen Beein­träch­ti­gun­gen steht. Von 901 Beschäf­tig­ten haben demnach schon 48,9 % körper­li­che sexua­li­sierte Aggres­sion oder Beläs­ti­gung durch zu pflegende oder zu betreu­ende Perso­nen erlebt.

Jeweils mehr als 60% der Befrag­ten gaben darüber hinaus an, sexua­li­sierte Gewalt auf verbale oder non-verbale Weise erfah­ren zu haben.

Gewalt erzeugt auch Gegen­ge­walt

Gewalt in der Pflege ist keine Einbahn­straße. Auch Pflege­kräfte wenden Gewalt gegen Patien­ten und Pflege­be­dürf­tige an. Die Gründe reichen von syste­ma­ti­scher Überlas­tung und Zeitdruck infolge von Perso­nal­man­gel bis hin zu Kurzschluss­re­ak­tio­nen, nach denen Pflege­kräfte eine Attacke folgen­schwer abweh­ren oder selbst zum Angriff überge­hen.

Unabhän­gig, von wem die Gewalt in der Pflege ausgeht, sind die Grenzen zwischen körper­li­cher und seeli­scher Verlet­zung oft fließend: Übergriffe brennen sich wie Narben auf der Seele ein, die Angst vor der nächs­ten Ernied­ri­gung entwi­ckelt sich zum ständi­gen Beglei­ter.

Wie schwer eine Tat aber letzt­end­lich wiegt, hängt von indivi­du­el­len Fakto­ren und Erfah­run­gen ab.

Gewalt darf kein Tabu sein

Um den Kreis­lauf zum Schutz und Wohle aller Betei­lig­ten bestmög­lich zu durch­bre­chen, ist ein offener Umgang mit dem Thema Gewalt in der Pflege unerläss­lich.

Ein vertrau­ens­vol­les Arbeits­klima, in dem betrof­fene Beschäf­tigte über ihre Erfah­run­gen sprechen und reflek­tie­ren können, ist dabei genauso wichtig, wie die Entwick­lung und Umset­zung von Schutz­maß­nah­men.

Das Spektrum umfasst dabei viele präven­tive Maßnah­men wie:

  • Trainings zu Kommu­ni­ka­tion
  • Deeska­la­tion und Resili­enz
  • Super­vi­sio­nen
  • verbind­li­che Handlungs­richt­li­nien.

Quellen: BGW, Deutsch­land­funk