Definitionen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte 1993 Lebensqualität als „[…] subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen.“
Die Versorgungsforscherin Prof. Dr. Monika Bullinger vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf formulierte 1997 etwas zugänglicher: „Lebensqualität ist ein multidimensionales psychologisches Konstrukt mit mindestens vier der folgenden Komponenten: körperliche Verfassung, psychisches Befinden, soziale Beziehungen und funktionale Kompetenz.“
Einschränkung der Lebensqualität durch eine chronische Wunde
Zusätzlich zu den körperlichen Beschwerden bedeutet eine chronische Wunde für den Betroffenen immer auch eine Einschränkung seiner Lebensqualität. Bei der Beurteilung der Einschränkungen steht immer die Perspektive des Patienten im Vordergrund, die sich von den Vorstellungen des Versorgerteams zum Teil erheblich unterscheiden kann. So steht für Betroffenen oftmals nicht die Abheilung der Wunde im Vordergrund, sondern die für sie meist erheblich belastendere Schmerzsituation, die zudem Bewegungs- und Aktivitätseinschränkungen bis hin zu Schonhaltungen bedingt. Weitere Faktoren, welche die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Wunden mindern, sind zum Beispiel:
- Geruch- und Exsudatbelästigungen (Abb. 1)
- Einschränkungen in der Kleider- und Schuhauswahl
- Erschwerung der persönlichen Hygiene und der Umgebungshygiene.
Die Leid-Spirale
Diese Faktoren erschweren den selbstbestimmten Lebenswandel. Oft wird dadurch das soziale Umfeld belastet und der Betroffene zieht sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. In der Folge treten verstärkt psychische Belastungen auf. Der Patient bleibt mit seinen Sorgen alleine und sein Selbstwertgefühl mindert sich. Verstärkend kommt hinzu, dass Betroffene sich oft „auf die Wunde reduziert“ und nicht mehr ganzheitlich wahrgenommen fühlen. Diese Einschränkungen beeinflussen aber nicht nur die Gestaltung des gewohnten alltäglichen Ablaufes, sie erschweren darüber hinaus generell die Entfaltung der Persönlichkeit. Verstärkt treten zudem Schlafstörungen und Antriebslosigkeit auf, hieraus resultieren wiederum berufliche Probleme und schließlich finanzielle Belastungen. Konsequenzen sind unter anderem:
- Frustration
- Traurigkeit
- Depression
- Aggression
- Soziale Isolation (Abb. 2)
Der Patient ist ein einer Leid-Spirale gefangen, deren Effekte sich immer weiter aufaddieren.
Krankheitsspezifische Einschränkungen
Je nach zugrundeliegendem Krankheitsbild kann eine chronische Wunde die Lebensqualität des Betroffenen in unterschiedlicher Weise einschränken. Patienten mit einem Ulcus cruris venosum (UCV) berichten zum Beispiel von:
- Schmerzen und eingeschränkter Mobilität (insbesondere auch durch dicke, auftragende Verbände)
- Wundgeruch und Nässen der Wunde
- Eingeschränkter Kleidungs- und Schuhauswahl
- Problemen bei der Hygiene
- Schlafstörungen und Energiemangel
- Juckreiz, geschwollenen und schweren, müden Beinen (Abb. 3)
- Beruflichen und finanziellen Belastungen
Im Zusammenhang mit dem Diabetischen Fußulkus (DFU) stehen die Mobilitätseinschränkungen im Vordergrund, die mit Einsamkeit bis hin zur sozialen Isolation verbunden sind. Darüber hinaus berichten Patienten von:
- Zukunftsangst, vor allem vor einer Amputation
- Einschränkungen bei der Schuhauswahl beziehungsweise Stigmatisierung durch Spezialschuhe (Abb. 4)
- Unsicherem Gangbild
- Missempfindungen
- Müdigkeit und Lustlosigkeit
- Frustration unter dem Eindruck der langsamen, zögerlichen Abheilung
Auch der Dekubitus hat spezifische schwerwiegende Auswirkungen auf den Betroffenen. Als gravierendste Einschränkung gilt bei solchen Patienten nach Studienlage der Schmerz. Viele der weiter genannten Aspekte folgen hieraus:
- Einschränkungen der Mobilität
- Reizreduzierte Umgebung durch „erzwungene“ Positionierung
- Unbequemes Liegen auf therapienotwendigem Untergrund
- Nächtliche Ruhestörung durch Wecken zur Positionierung
- Minderung der sozialen Kontakte
- Gefühl der Wertlosigkeit und Empfinden als Belastung
Um diesen Effekten entgegen zu wirken, sollten die jeweiligen wund- und therapiebedingten Einschränkungen der Betroffenen sensibel erfasst werden. Auf dieser Basis erhält der Patient eine Versorgung, die sein individuelles Krankheitsverständnis berücksichtigt, seine Lebensqualität fördert, die Wundheilung unterstützt und die Rezidivbildung von Wunden vermeidet.
Erfassung der Lebensqualität
Um die Lebensqualität in die Behandlung optimal einbeziehen zu können, wird diese neben noch vorhandenen Selbstmanagementfähigkeiten im Rahmen des pflegerischen Versorgungsprozesses während der Anamnese erfasst. Entsprechende Assessmentinstrumente müssen bestimmte Bedingungen erfüllen. Um eine aussagekräftige Einschätzung zu gewährleisten, sollten sie objektiv, sensitiv (empfindlich), valide (gültig) und reliabel (zuverlässig) sein. Hier wird unter anderem der Wound-Qol (W‑QoL) als Assessmentinstrument empfohlen. Dieser Bogen ist über www.dnqp.de kostenlos downloadbar.
Ergänzend gibt es den Wound-Act. Dieser leitet aus den Ergebnissen des Wound-QoL konkrete Handlungsanweisungen ab, was die Pflegeplanung und die Einleitung erforderlicher Maßnahmen bei bestimmten Einschränkungen erleichtert.
Die Ermittlung der Lebensqualität ist Teil der pflegerischen Maßnahmen und sollte spätestens nach vier Wochen wiederholt werden. In diesem Zeitraum ist zwar nicht unbedingt eine wesentliche Verbesserung der chronischen Wunde an sich zu erwarten, aber wund- und therapiebedingte Einschränkungen, insbesondere Schmerzen, Geruch und Exsudation sollten sich durch geeignete Strategien gemindert haben.
Die Daten ergeben sich aus der Selbsteinschätzung des Patienten. Diese Vorgehensweise ist nur erfolgversprechend, wenn der Patient in der Lage ist, die Fragen zu seiner gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu verstehen und Aussagen darüber zu machen. Daher sollten geeignete Erfassungsbögen keine Fachsprache nutzen, sich allgemeinverständlicher Begriffe bedienen und nicht durch Umfang und Unübersichtlichkeit den Patienten überfordern.
Es ist zu überlegen, ob der Patient allein für sich den Bogen ausfüllt, oder ob die Möglichkeit des Austauschs zum Beispiel beim Verbandwechsel genutzt wird, um eventuellen Verständnisschwierigkeiten zu begegnen.
Die Autorin Kerstin Protz ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, Referentin für Wundversorgungskonzepte, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e.V. und European Wound Management Association (EWMA)
Quellen
- Bullinger M (1997). Gesundheitsbezogene Lebensqualität und subjektive Gesundheit. Überblick über den Stand der Forschung zu einem neuen Evaluationskriterium in der Medizin. Psychother Psychosum Med Psychol; 47: 76–91.
- Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Hrsg. (2015). Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, 1. Aktualisierung, Osnabrück
- Initiative Chronische Wunde e.V.: www.icwunden.de
- Panfil EM, Schröder G, Hrsg (2015). Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, 3. Auflage, Huber Verlag, Bern
- Protz K, Timm JH (2019). Moderne Wundversorgung, Praxiswissen, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München
- Sailer, M (2004). Praxishandbuch Patientenedukation: Schulung, Anleitung, Beratung, WK-Fachbücher, Elchingen
- Weltgesundheitsorganisation: www.euro.who.int/de/home