Lebensqualität mit chronischen Wunden
Bild: Jan Hin­nerk Timm

Defini­tio­nen

Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) definierte 1993 Lebens­qua­li­tät als „[…] subjek­tive Wahrneh­mung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsys­te­men in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwar­tun­gen, Standards und Anlie­gen.“

Die Versor­gungs­for­sche­rin Prof. Dr. Monika Bullin­ger vom Univer­si­täts­kli­ni­kum Hamburg-Eppen­dorf formu­lierte 1997 etwas zugäng­li­cher: „Lebens­qua­li­tät ist ein multi­di­men­sio­na­les psycho­lo­gi­sches Konstrukt mit mindes­tens vier der folgen­den Kompo­nen­ten: körper­li­che Verfas­sung, psychi­sches Befin­den, soziale Bezie­hun­gen und funktio­nale Kompe­tenz.

Wundexsudation
Durch­nässte Kleidung und Geruchs­ent­wick­lung aufgrund hoher Wundex­su­da­tion (Abb. 1) Bild: Kerstin Protz

Einschrän­kung der Lebens­qua­li­tät durch eine chroni­sche Wunde

Zusätz­lich zu den körper­li­chen Beschwer­den bedeu­tet eine chroni­sche Wunde für den Betrof­fe­nen immer auch eine Einschrän­kung seiner Lebens­qua­li­tät. Bei der Beurtei­lung der Einschrän­kun­gen steht immer die Perspek­tive des Patien­ten im Vorder­grund, die sich von den Vorstel­lun­gen des Versor­ger­teams zum Teil erheb­lich unter­schei­den kann. So steht für Betrof­fe­nen oftmals nicht die Abhei­lung der Wunde im Vorder­grund, sondern die für sie meist erheb­lich belas­ten­dere Schmerz­si­tua­tion, die zudem Bewegungs- und Aktivi­täts­ein­schrän­kun­gen bis hin zu Schon­hal­tun­gen bedingt. Weitere Fakto­ren, welche die Lebens­qua­li­tät von Menschen mit chroni­schen Wunden mindern, sind zum Beispiel:

  • Geruch- und Exsudat­be­läs­ti­gun­gen (Abb. 1)
  • Einschrän­kun­gen in der Kleider- und Schuh­aus­wahl
  • Erschwe­rung der persön­li­chen Hygiene und der Umgebungs­hy­giene.

Die Leid-Spirale

Diese Fakto­ren erschwe­ren den selbst­be­stimm­ten Lebens­wan­del. Oft wird dadurch das soziale Umfeld belas­tet und der Betrof­fene zieht sich aus dem gesell­schaft­li­chen Leben zurück. In der Folge treten verstärkt psychi­sche Belas­tun­gen auf. Der Patient bleibt mit seinen Sorgen alleine und sein Selbst­wert­ge­fühl mindert sich. Verstär­kend kommt hinzu, dass Betrof­fene sich oft „auf die Wunde reduziert“ und nicht mehr ganzheit­lich wahrge­nom­men fühlen. Diese Einschrän­kun­gen beein­flus­sen aber nicht nur die Gestal­tung des gewohn­ten alltäg­li­chen Ablau­fes, sie erschwe­ren darüber hinaus generell die Entfal­tung der Persön­lich­keit. Verstärkt treten zudem Schlaf­stö­run­gen und Antriebs­lo­sig­keit auf, hieraus resul­tie­ren wiederum beruf­li­che Probleme und schließ­lich finan­zi­elle Belas­tun­gen. Konse­quen­zen sind unter anderem:

  • Frustra­tion
  • Traurig­keit
  • Depres­sion
  • Aggres­sion
  • Soziale Isola­tion (Abb. 2)

Der Patient ist ein einer Leid-Spirale gefan­gen, deren Effekte sich immer weiter aufad­die­ren.

Soziale Isolation
Soziale Isola­tion (Abb. 2) Bild: Jan Hinnerk Timm

Krank­heits­spe­zi­fi­sche Einschrän­kun­gen

Je nach zugrun­de­lie­gen­dem Krank­heits­bild kann eine chroni­sche Wunde die Lebens­qua­li­tät des Betrof­fe­nen in unter­schied­li­cher Weise einschrän­ken. Patien­ten mit einem Ulcus cruris venosum (UCV) berich­ten zum Beispiel von:

  • Schmer­zen und einge­schränk­ter Mobili­tät (insbe­son­dere auch durch dicke, auftra­gende Verbände)
  • Wundge­ruch und Nässen der Wunde
  • Einge­schränk­ter Kleidungs- und Schuh­aus­wahl
  • Proble­men bei der Hygiene
  • Schlaf­stö­run­gen und Energie­man­gel
  • Juckreiz, geschwol­le­nen und schwe­ren, müden Beinen (Abb. 3)
  • Beruf­li­chen und finan­zi­el­len Belas­tun­gen
Kratzspuren
Kratz­spu­ren (Abb. 3) Bild: Kerstin Protz

Im Zusam­men­hang mit dem Diabe­ti­schen Fußul­kus (DFU) stehen die Mobili­täts­ein­schrän­kun­gen im Vorder­grund, die mit Einsam­keit bis hin zur sozia­len Isola­tion verbun­den sind. Darüber hinaus berich­ten Patien­ten von:

  • Zukunfts­angst, vor allem vor einer Amputa­tion
  • Einschrän­kun­gen bei der Schuh­aus­wahl bezie­hungs­weise Stigma­ti­sie­rung durch Spezi­al­schuhe (Abb. 4)
  • Unsiche­rem Gangbild
  • Missemp­fin­dun­gen
  • Müdig­keit und Lustlo­sig­keit
  • Frustra­tion unter dem Eindruck der langsa­men, zöger­li­chen Abhei­lung
Einschränkungen bei der Schuhauswahl
Einschrän­kun­gen bei der Schuh­aus­wahl (Abb. 4) Bild: Kerstin Protz

Auch der Dekubi­tus hat spezi­fi­sche schwer­wie­gende Auswir­kun­gen auf den Betrof­fe­nen. Als gravie­rendste Einschrän­kung gilt bei solchen Patien­ten nach Studi­en­lage der Schmerz. Viele der weiter genann­ten Aspekte folgen hieraus:

  • Einschrän­kun­gen der Mobili­tät
  • Reizre­du­zierte Umgebung durch „erzwun­gene“ Positio­nie­rung
  • Unbeque­mes Liegen auf thera­pie­not­wen­di­gem Unter­grund
  • Nächt­li­che Ruhestö­rung durch Wecken zur Positio­nie­rung
  • Minde­rung der sozia­len Kontakte
  • Gefühl der Wertlo­sig­keit und Empfin­den als Belas­tung

Um diesen Effek­ten entge­gen zu wirken, sollten die jewei­li­gen wund- und thera­pie­be­ding­ten Einschrän­kun­gen der Betrof­fe­nen sensi­bel erfasst werden. Auf dieser Basis erhält der Patient eine Versor­gung, die sein indivi­du­el­les Krank­heits­ver­ständ­nis berück­sich­tigt, seine Lebens­qua­li­tät fördert, die Wundhei­lung unter­stützt und die Rezidiv­bil­dung von Wunden vermei­det.

Erfas­sung der Lebens­qua­li­tät

Um die Lebens­qua­li­tät in die Behand­lung optimal einbe­zie­hen zu können, wird diese neben noch vorhan­de­nen Selbst­ma­nage­ment­fä­hig­kei­ten im Rahmen des pflege­ri­schen Versor­gungs­pro­zes­ses während der Anamnese erfasst. Entspre­chende Assess­ment­in­stru­mente müssen bestimmte Bedin­gun­gen erfül­len. Um eine aussa­ge­kräf­tige Einschät­zung zu gewähr­leis­ten, sollten sie objek­tiv, sensi­tiv (empfind­lich), valide (gültig) und relia­bel (zuver­läs­sig) sein. Hier wird unter anderem der Wound-Qol (W‑QoL) als Assess­ment­in­stru­ment empfoh­len. Dieser Bogen ist über www.dnqp.de kosten­los download­bar.

Ergän­zend gibt es den Wound-Act. Dieser leitet aus den Ergeb­nis­sen des Wound-QoL konkrete Handlungs­an­wei­sun­gen ab, was die Pflege­pla­nung und die Einlei­tung erfor­der­li­cher Maßnah­men bei bestimm­ten Einschrän­kun­gen erleich­tert.

Die Ermitt­lung der Lebens­qua­li­tät ist Teil der pflege­ri­schen Maßnah­men und sollte spätes­tens nach vier Wochen wieder­holt werden. In diesem Zeitraum ist zwar nicht unbedingt eine wesent­li­che Verbes­se­rung der chroni­schen Wunde an sich zu erwar­ten, aber wund- und thera­pie­be­dingte Einschrän­kun­gen, insbe­son­dere Schmer­zen, Geruch und Exsuda­tion sollten sich durch geeig­nete Strate­gien gemin­dert haben.

Die Daten ergeben sich aus der Selbst­ein­schät­zung des Patien­ten. Diese Vorge­hens­weise ist nur erfolg­ver­spre­chend, wenn der Patient in der Lage ist, die Fragen zu seiner gesund­heits­be­zo­ge­nen Lebens­qua­li­tät zu verste­hen und Aussa­gen darüber zu machen. Daher sollten geeig­nete Erfas­sungs­bö­gen keine Fachspra­che nutzen, sich allge­mein­ver­ständ­li­cher Begriffe bedie­nen und nicht durch Umfang und Unüber­sicht­lich­keit den Patien­ten überfor­dern.

Es ist zu überle­gen, ob der Patient allein für sich den Bogen ausfüllt, oder ob die Möglich­keit des Austauschs zum Beispiel beim Verband­wech­sel genutzt wird, um eventu­el­len Verständ­nis­schwie­rig­kei­ten zu begeg­nen.

Die Autorin Kerstin Protz ist Gesund­heits- und Kranken­pfle­ge­rin, Projekt­ma­na­ge­rin Wundfor­schung am Insti­tut für Versor­gungs­for­schung in der Derma­to­lo­gie und bei Pflege­be­ru­fen (IVDP) am Unikli­ni­kum Hamburg-Eppen­dorf, Referen­tin für Wundver­sor­gungs­kon­zepte, Vorstands­mit­glied Wundzen­trum Hamburg e.V. und European Wound Manage­ment Associa­tion (EWMA)

Quellen

  1. Bullin­ger M (1997). Gesund­heits­be­zo­gene Lebens­qua­li­tät und subjek­tive Gesund­heit. Überblick über den Stand der Forschung zu einem neuen Evalua­ti­ons­kri­te­rium in der Medizin. Psycho­ther Psycho­sum Med Psychol; 47: 76–91.
  2. Deutsches Netzwerk für Quali­täts­ent­wick­lung in der Pflege (DNQP) Hrsg. (2015). Exper­ten­stan­dard Pflege von Menschen mit chroni­schen Wunden, 1. Aktua­li­sie­rung, Osnabrück
  3. Initia­tive Chroni­sche Wunde e.V.: www.icwunden.de
  4. Panfil EM, Schrö­der G, Hrsg (2015). Pflege von Menschen mit chroni­schen Wunden, 3. Auflage, Huber Verlag, Bern
  5. Protz K, Timm JH (2019). Moderne Wundver­sor­gung, Praxis­wis­sen, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München
  6. Sailer, M (2004). Praxis­hand­buch Patien­ten­e­du­ka­tion: Schulung, Anlei­tung, Beratung, WK-Fachbü­cher, Elchin­gen
  7. Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion: www.euro.who.int/de/home