Interview mit Dr. Anya Miller: Alles über Lymphödeme
Dr. Anya Miller ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Expertin in den Bereichen Allergologie, Phlebologie und Lymphologie. Als Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie hat Frau Dr. Miller mit Rechtsdepesche-Redakteur Henning Roesner über die Entstehung, Behandlung und Folgen von Lymphödemen gesprochen.
Schauen Sie sich hier das Interview in voller Länge an:
Die Fragen des Interviews im Überblick
- (Min. 0:20) Was ist ein Lymphödem und wie erkenne ich ein Lymphödem?
- (Min. 4:03) Ist ein Lymphödem schmerzhaft?
- (Min. 5:08) Wie gefährlich ist ein Lymphödem und welche Folgen können auftreten?
- (Min. 6:55) Ist ein Lymphödem heilbar?
- (Min. 8:40) An welche Ärzte kann ich mich wenden und wie wird ein Lymphödem behandelt?
- (Min. 15:03) Welche Möglichkeiten habe ich zur Prävention im Alltag?
Wie erkenne ich ein Lymphödem?
Ödeme sind – einfach gesagt – Schwellungen, die überall am menschlichen Körper auftreten können. Sie treten besonders häufig an den Körperextremitäten oder auch im Brustkorbbereich auf.
Bei einem Lymphödem handelt es sich um eine Flüssigkeitsansammlung im Gewebe, die durch eine Insuffizienz des Lymphgefäßsystems hervorgerufen wird. Das bedeutet, dass die Flüssigkeit im Zellgewebe nicht mehr über die Lymphgefäße abtransportiert werden kann. Es kommt zur Schwellung.
Die Diagnose eines Lymphödems hängt auch stark von der Anamnese ab. Zunächst wird der Patient oder die Patientin befragt, wo, seit wann und welche Schwellungen da sind. Ein Lymphödem kann sowohl angeboren sein (primär) als auch später im Leben eines Menschen auftreten (sekundär).
Typischerweise treten Lymphödeme nach Krebs-Operationen auf, wenn in diesem Zuge die Lymphknoten entnommen werden. Ebenfalls häufig ist das Aufkommen eines Lymphödems nach Verletzungen, zum Beispiel beim Sport. Ein angeborenes Lymphödem macht sich bereits bei Säuglingen bemerkbar, beispielsweise an geschwollenen Beinen oder Füßen.
Oftmals geht ein Lymphödem mit einem unangenehmen, drückenden Gefühl an der geschwollenen Stelle einher. Im Laufe der Zeit wird bei einem Lymphödem die Haut dicker und fest, quasi ein wenig „panzerartig“. Es kommt also zu Veränderungen an der Haut. Beispielhaft hierfür sind die Zehen, die bei einer Erkrankung am Fuß häufig etwas „kastenförmig“ aussehen.
Weitere Folgen eines Lymphödems sind kleine Zysten an der Hautstelle, also die Bildung kleinerer Bläschen. All dies sind Anzeichen dafür, dass es sich bei einer Schwellung um ein Lymphödem handelt.
Ist ein Lymphödem schmerzhaft?
Ein Lymphödem ist erst einmal nur in seltenen Fällen wirklich schmerzhaft. Vielmehr entsteht durch das Ödem ein Druckgefühl, dadurch dass die Extremität dauerhaft gespannt ist.
Tritt ein Lymphödem jedoch um die Hand- oder Fußgelenke auf, führt die Hautverdickung dazu, dass das Gelenk nicht mehr richtig bewegt werden kann. Dies kann mitunter sehr schmerzhaft sein.
Bei einer anderen Ödem-Form, dem sogenannten Lipödem, sieht das schon wieder ganz anders aus. Hierbei ist der große Schmerz das führende Symptom.
Wie gefährlich ist ein Lymphödem?
Lymphödeme sind per se eigentlich nicht gefährlich. Wie auch beim Schmerz sind es die Folgen, die durchaus Gefahren aufweisen.
Wird die Haut durch das Lymphödem „panzerartig“, so kann es passieren, dass die Immunabwehr an der entsprechenden Stelle stark geschwächt wird. Kleine Verletzungen oder Wunden können somit leichter in Entzündungen im Unterhautfettgewebe führen, die mit Antibiotika behandelt werden müssen.
In seltenen Fällen bringt ein Lymphödem auch das Risiko einer bösartigen Entartung mit sich, sogenannte Angiosarkome. Hierbei kommt es zu plötzlichen, Blutergüssen ähnelnden Flecken auf der Haut. In solchen Fällen gilt es zu prüfen, ob zusätzlich zum Lymphödem eine weitere Beschwerde oder Erkrankung vorliegt.
Ist ein Lymphödem heilbar?
Die Heilbarkeit eines Lymphödems hängt von der Ursache der Erkrankung ab:
Bei primären, also angeborenen Lymphödemen sind diese in der Regel ein Leben lang vorhanden. Grund dafür ist, dass das Lymphgefäßsystem vor der Geburt im Mutterleib nicht richtig entwickelt worden ist.
Bei einem sekundären Lymphödem, welches beispielsweise nach einer Verletzung entstanden ist, kann der Zustand durch eine Operation möglicherweise verbessert werden. Jedoch bleibt in diesem Fall eine Narbe im Lymphgefäßsystem und es besteht ein erhötes Risiko für zukünftige Schwellungen.
Die Ausnahme: Kurze Schwellungen nach Verletzungen, wie einem leichten Umknicken beim Laufen, fallen auch unter die Kategorie Lymphödem, gehen im Normalfall nach einiger Zeit jedoch wieder weg. Jedoch ist auch dann das Risiko für weitere Schwellungen höher als vorher.
Handelt es sich also um ein „schwereres“ Lymphödem, ist dieses meistens lebenslang beständig.
Welche Ärzte behandeln Lymphödeme?
Bei der Therapie eines Lymphödems steht aktuell ein großes Problem im Vordergrund: Die meisten Ärzte wissen laut Frau Dr. Miller zu wenig über das Lymphödem – obwohl es jeder Arzt erkennen und behandeln können sollte. Das Ärztestudium umfasse den Bereich der Lymphologie kaum. Die Fachbezeichnung „Lymphologe / Lymphologin“ gibt es nicht.
Eine Weiterbildung durch Kurse oder Tagungen wäre jedoch für viele Ärzte nötig. Zumindest in der Phlebologie-Ausbildung werde das Thema mittlerweile umfassender behandelt.
In Deutschland gibt es eine kleine Gruppe von Ärzten, die das Problem erkannt hat und sich zunehmend mit dem Bereich Lymphologie auseinandersetzt. Dazu zählen Allgemeinmediziner, Internisten, Gynäkologen und vor allem die Dermatologen.
Das Problem liege laut Frau Dr. Miller darin, dass durch die Anamnese vor der Diagnose sehr genau hingeschaut und hingehört werden muss, die Untersuchungen also sehr viel Zeit beanspruchen. Man müsse sich den Verlauf und die Entwicklung der Schwellung immer wieder anschauen und die Messungen aktualisieren. Für diesen Aufwand gäbe es zudem nur schwache Löhne. Natürlich sei es dann einfacher zu sagen, das solle jemand anderes übernehmen, so Frau Dr. Miller.
In Deutschland leiden knapp 2 Millionen Menschen an einem Lymphödem und dessen Folgen, die zumeist unterversorgt sind.
Wie kann man Lymphödeme therapieren?
Die Behandlung eines Lymphödems fußt grundsätzlich auf fünf Säulen:
- Manuelle Lymphdrainage: Hierbei handelt es sich um eine spezielle Massagetechnik, die Physiotherapeuten als Zusatzqualifikation erlernen. Die Hautoberfläche wird so bewegt und die Lymphe in bestimmte Richtungen gedrückt, dass der Lymphabfluss angeregt wird. Dies erfordert jedoch viel Feingefühl und sollte nur von Profis durchgeführt werden.
- Kompression: Eine Lymphdrainage hält bis zu vier Stunden. Damit das Lymphgefäß nicht wieder vollläuft, muss von außen dagegengedrückt werden. Zunächst geschieht dies mit speziellen Kompressionsbandagen, die zwischen den Therapiesitzungen auf der Haut bleiben müssen. Hilft dies nicht, kommen spezielle, individuell angepasste Kompressionsstrümpfe zum Einsatz. Diese halten das Bein schlank und durch die Bewegung arbeitet das Gewebe weiter.
- Bewegung: Durch zusätzliche Bewegung kann man bewirken, dass durch die Muskelarbeit auch von „innen“ gegen das Lymphgefäß gedrückt wird. Dies sorgt für eine zusätzliche Anregung des Flüssigkeit-Abtransports.
- Hautpflege: Die Hauptfunktion der Hautoberfläche ist die Immunabwehr. Diese wird durch das Lymphödem gestört. Deshalb ist eine gute Pflege der Haut bei der Therapie elementar wichtig, um die Abwehrfunktion der Haut zu erhalten.
- Selbstmanagement: „Der Patient soll so viel wie möglich selber wissen und behandeln können“, so Frau Dr. Miller. Die Behandlung eines Lymphödems sei eine Teamarbeit. Mit einem Team aus Physiotherapeuten, Ärzten und dem Patienten selbst kann eine gute Behandlung des Lymphödems gelingen.
Praxistipp: Zur Prävention vor einem Lymphödem hilft sportliche Betätigung. Fitte und schlanke Menschen sind nachweislich deutlich weniger anfällig für Ödeme als zum Beispiel Menschen mit Übergewicht. Die Gewichtsreduktion ist deshalb ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Therapie.