Delegation und Substitution als Lösung: Das Versorgungsproblem in Deutschland
Heilkundliche Tätigkeiten müssen prinzipiell von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden. Welche Maßnahmen hierzu zählen, ist in § 28 SGB V näher beschrieben. Demnach gilt als ärztliche Tätigkeit eine Maßnahme, „die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist.“
Die Berufspflichten, die sich auch aus dem Behandlungsvertrag ergeben, müssen Ärztinnen und Ärzte in der Regel auch persönlich erbringen. Mit Blick auf eine sich weiter zuspitzende Versorgungsproblematik im deutschen Gesundheitswesen gibt es allerdings Ausnahmesituationen, in denen dieser Arztvorbehalt umgangen werden kann. So können bestimmte ärztliche Tätigkeiten auch vom Pflegepersonal übernommen werden, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten.
Zentral ist hier die Delegation und die Substitution ärztlicher Tätigkeiten. Durch die Übernahme ärztlicher Tätigkeiten entstehen allerdings neue rechtliche Haftungsfragen, die für eine sichere Patientenversorgung zu klären sind. Inwieweit müssen also Nicht-Ärztinnen und Nicht-Ärzte bei der Übernahme ärztlicher Tätigkeiten haften?
Delegation ärztlicher Tätigkeiten
Die Delegation also Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal unterliegt einigen rechtlichen Vorgaben. Nach dem Bundesmantelvertrag Ärzte gibt es ärztliche Tätigkeiten die nicht übertragen werden können, die im Einzelfall übertragen werden können und die generell übertragen werden können.
Der Bundesmantelvertrag benennt auch konkret welche Tätigkeiten in die jeweilige Gruppe fallen. Im Folgenden werden ärztliche Tätigkeiten genannt, die in keinem Fall übertragen werden können:
- Anamnese
- Indikationsstellung
- Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen
- Diagnosestellung
- Aufklärung und Beratung von Patientinnen und Patienten
- Entscheidung über Therapien
- Durchführung invasiver Therapien einschließlich operativer Eingriffe
Abseits der genannten ärztlichen Tätigkeiten, können alle weiteren Leistungen theoretisch delegiert werden. Eine Delegation ist allerdings nur dann denkbar, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die ausgewählte Pflegefachkraft die Aufgabe genauso gut wie ein Facharzt durchführen kann. Sie benötigt also eine passende formelle und materielle Qualifikation, um überhaupt für die Delegation in Frage zu kommen.[1]
Haftung bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten
Zentral für Haftungsfragen bei der Delegation von ärztlichen Tätigkeiten ist das Weisungsrecht der Ärztin oder des Arztes.
Das bedeutet, nur weil eine Pflegefachkraft über die nötige Qualifikation verfügt, um eine ärztliche Tätigkeit zu übernehmen, darf sie das nicht automatisch. Die Ärztin oder der Arzt dürfen immer noch selbst entscheiden, an wen sie die Leistung delegieren.
Ärztinnen und Ärzte haben hierbei drei Pflichten zu beachten:
- Auswahlpflicht
- Anleitungspflicht
- Überwachungspflicht
Das ärztliche Personal entscheidet also, welche Pflegefachkraft bei geeigneter Qualifikation eine Aufgabe übernehmen darf. Dann muss die Ärztin oder der Arzt die Pflegekraft anleiten die Aufgabe richtig durchzuführen und den Eingriff im Anschluss in regelmäßigen Abständen überwachen.
Haftung des leistungsabgebenden Arztes
Das bedeutet, die Verantwortung für Eingriffe bei der Delegation von ärztlichen Tätigkeiten, trägt nicht die Pflegefachkraft, die die Aufgabe übernimmt, sondern die Ärztin oder der Arzt. Schließlich besteht der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient und das nicht-ärztliche Personal tritt nur als Erfüllungsgehilfe auf.
Entsteht durch einen Behandlungsfehler ein Schaden bei der Patientin oder dem Patienten muss also in der Regel die Ärztin oder der Arzt haften, wenn sie oder er nicht beweisen kann, dass die beruflichen Pflichten erfüllt wurden.
Haftung des nicht-ärztlichen Personals
Es gibt allerdings auch Fälle, in denen das nicht-ärztliche Personal für eigenes Verschulden im Rahmen einer Delegation verantwortlich gemacht werden kann.[2] Zum einen kann es zur Haftung für Schäden kommen, wenn die Pflegefachkraft entgegen der ärztlichen Weisung handelt.
Allerdings sollte den ärztlichen Anweisungen auch nicht einfach blind gefolgt werden. Erkennt die Pflegefachkraft, dass eine ärztliche Anweisung fehlerhaft ist, dann muss sie dies der Ärztin oder dem Arzt mitteilen. Sollte sie die Behandlung trotz Zweifel ohne Widerspruch durchführen, kann es zur Haftung für entstandene Schäden beim Patienten kommen.
Eine mögliche Haftung ergibt sich außerdem aus der sogenannten „Remonstrationspflicht“. Demnach dürfen Pflegefachkräfte nur jene ärztlichen Tätigkeiten übernehmen, die sie vollständig beherrschen. Glaubt die Pflegefachkraft der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, muss sie das Delegationsgesuch ablehnen.
Substitution ärztlicher Tätigkeiten
Die Substitution ist grundsätzlich von der Delegation zu unterscheiden. Während bei der Delegation die Pflegefachkraft unter ärztlicher Anordnung handelt, ist das bei der Substitution nicht so. Hier handelt die Pflegefachkraft eigenverantwortlich.
In der Praxis ist die Substitution allerdings noch nicht angekommen. Zwar wurde schon 2008 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG) eine Substitution ärztlicher Tätigkeiten zumindest theoretisch möglich, allerdings wurde keine praktische Umsetzung dieser Möglichkeit etabliert. Auch nicht, nachdem die Entwicklung von Modellen durch den Gesetzgeber eigentlich verpflichtend wurde.
Aus diesem Grund sollen die Regelungen der Modellprogramme nach § 63 Absatz 3b und 3c sowie § 64 SGB V durch ein neues Pflegekompetenzgesetz aufgehoben werden. Das befindet sich allerdings noch im Entwurfsstadium; erweiterte Versorgungsaufgaben sollen zukünftig für qualifizierte Pflegefachpersonen bereithalten werden.
Darunter insbesondere Befugnisse im Bereich der (komplexen) Wundversorgung, der Versorgung von Menschen mit diabetischer Stoffwechsellage und von Menschen mit demenziellen Erkrankungen.
In Ergänzung hierzu sorgt das bereits verabschiedete Pflegestudium-Stärkungsgesetz (PfStudStG) ab dem 1. Januar 2025 für eine Aufwertung der hochschulischen Ausbildung. Ergänzt wird hier das Pflegestudium durch Inhalte, die eine eigenverantwortliche und selbstständige Ausübung von erweiterten heilkundlichen Tätigkeiten ebenfalls in den Bereichen Wundversorgung, Diabetes und Demenz ermöglichen.
Die aktuelle Gesetzeslage sorgt also dafür, dass nötige Qualifikationen für die Substitution von ärztlichen Leistungen über den akademischen Weg erlangt werden können. Somit ist vermutlich erst im Jahr 2029 damit zu rechnen, dass ausreichend fertig studierte Pflegefachkräfte mit der nötigen Qualifikation im Einsatz sind.
Wenn im Folgenden also die Haftung bei der Substitution ärztlicher Tätigkeiten diskutiert wird, ist von hypothetischen Gegebenheiten die Rede, die erst zukünftig relevant sind.
Haftung bei der Substitution ärztlicher Tätigkeiten
Wenn zukünftig im Rahmen der Substitution heilkundliche Tätigkeiten übernommen werden, treten die genannten ärztlichen Pflichten in den Hintergrund, weil die Pflegefachpersonen in eigener Verantwortung handeln. Entsprechend kann aus haftungsrechtlicher Sicht nichts mehr durch Ärztinnen oder Ärzte aufgefangen werden.
In dem Sinne handelt es sich also bei der Substitution um eine neue Form der ärztlichen Leistungserbringung, bei der das volle Haftungsrisiko auf die qualifizierte Pflegefachperson übergehen würde.
Nach der bisherigen gesetzgeberischen Konzeption ist die Erstdiagnose des Arztes die Grundvoraussetzung für die substituierenden Tätigkeiten von qualifizierten Pflegefachpersonen.
Für alle weiteren Maßnahmen zur heilkundlichen Behandlung der Patientinnen und Patienten in den drei genannten Bereichen tragen die Pflegefachpersonen die fachliche, wirtschaftliche und rechtliche Verantwortung.
FAQ
Was ist Delegation und Substitution ärztlicher Tätigkeiten?
Delegation ärztlicher Tätigkeiten bedeutet die Übertragung bestimmter medizinischer Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten an qualifizierte Pflegefachpersonen, das unter ärztlicher Anweisung handelt. Substitution hingegen beschreibt die eigenverantwortliche Übernahme solcher Aufgaben durch Pflegefachpersonen, ohne direkte ärztliche Anleitung. Während Delegation in der Praxis gängig ist, ist die Substitution noch weitgehend theoretisch und rechtlich in der Entwicklung.
Wie sieht die Haftung bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten aus?
Bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten haftet grundsätzlich die Ärztin oder der Arzt, da sie für die Auswahl, Anleitung und Überwachung der Pflegefachpersonen verantwortlich sind. Die Verantwortung bleibt überwiegend bei den Ärztinnen und Ärzten, es sei denn, die Pflegefachkraft begeht eigenes Verschulden.
Wie sieht die Haftung bei der Substitution ärztlicher Tätigkeiten aus?
Bei der Substitution ärztlicher Tätigkeiten übernimmt die Pflegefachperson die volle Verantwortung für die ausgeführte heilkundliche Aufgabe. Sie handelt eigenverantwortlich und ohne direkte ärztliche Anweisung. In diesem Fall tragen die Pflegefachpersonen die fachliche, wirtschaftliche und rechtliche Verantwortung.
Quellen:
- Di Bella, Marco (2008): Delegation der Behandlungspflege. Perspektiven für die praktische Umsetzung. Köln: G&S Verlag.
- Achterfeld, Claudia (2014): Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen. Rechtliche Rahemenbedingungen der Delegation. Berlin: Springer.