Bakteriendiagnostik
Die Diagnostik von Patienten mit chronischen Wunden kann entsprechend der ABCDE-Regel durchgeführt werden. Hierbei werden unter „B“ alle diagnostischen Maßnahmen für den Nachweis von Bakterien beziehungsweise Infektionskrankheiten zusammengefasst.
ABCDE-Regel der Wunddiagnostik
- A = Anamnese
- B = Bakterien
- C = Klinische Untersuchung
- D = Durchblutung
- E = Extras
Vor der Durchführung einer bakteriologischen Diagnostik muss zuerst geklärt werden, was die klinische Fragestellung ist. Hierbei kann grundsätzlich zwischen einem Screening auf multiresistente Erreger (MRE) und dem Nachweis für Erreger von Infektionskrankheiten differenziert werden.
Für ein Screening auf MRE* sollte der bakteriologische Abstrich chronischer Wunden vor der Durchführung einer Wundreinigung beispielsweise in Form des Essener Kreisels durchgeführt werden. Hierbei wird der Abstrichtupfer in Spiralform unter leichtem Druck von außen nach innen über die gesamte Wundoberfläche geführt.
*Als MRE werden verschiedene Bakterien bezeichnet, die Vielfachresistenzen gegen Antibiotika aufweisen. Die wichtigste Bedeutung für die Wundbehandlung hat hierbei sicherlich der Nachweis des Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Es werden aber auch zunehmend multiresistente gramnegative Erreger nachgewiesen, sodass durch die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) beschlossen wurde, diese als multiresistente, gramnegative Bakterien mit Resistenz gegen drei (3MRGN) oder vier (4MRGN) Antibiotikagruppen zu bezeichnen.
Wenn klinisch der Hinweis auf eine Infektionskrankheit vorliegt, sollte entsprechend der Empfehlungen der WUWHS der Abstrich nach Wundreinigung in der Levine Technik durchgeführt werden. Die Abstrichentnahme erfolgt dann unter leichtem Druck von einem circa 1 cm² großen Areal aus einem klinisch infiziert erscheinendem Areal. Durch die Wundreinigung mit einer sterilen Kompresse und ggf. steriler Ringer- oder physiologischer Kochsalzlösung sollen locker haftende Beläge und die klinisch nicht relevanten Kontaminaten entfernt werden.
Für den Nachweis von Bakterien in chronischen Wunden reicht im klinischen Alltag meist ein bakteriologischer Abstrich der Wundoberfläche. Biopsien sollten allerdings bei Patienten mit Wundinfektionen und tieferen Ulzerationen, diabetischem Fußulcus, schweren Weichgewebeinfektionen, Fistelgewebe oder v.a. spezifische Erreger wie zum Beispiel Mykobakterien, Leishmanien oder Schimmelpilzen erfolgen.
Empfehlungen der ICW zur praktischen Durchführung der bakteriologischen Diagnostik bei Patienten mit chronischen Wunden
Bakteriologischer Abstrich ohne vorherige Wundsäuberung
- Nachweis/Ausschluss multiresistenter Erreger (MRE Screening)
Bakteriologischer Abstrich mit vorheriger Wundsäuberung
- Auffinden kausaler Erreger bei klinisch relevanter Wundinfektion
- Besiedlung/Infektion mit Hefepilzen
Biopsie für die Erregerdiagnostik
- Wundinfektion bei tieferen Wunden, diabetischem Fußulcus
- Fistelgewebe, wenn kein Fistelinhalt gewonnen werden kann
- Vermutete Erreger: Mykobakterien, Leishmanien, Aktinomyzeten, Nocardien, Schimmelpilze
- Wundinfektion ohne Erregernachweis im Abstrich
Kontinuum der Wundinfektion
Als Kontinuum der Wundinfektion werden die verschiedenen progressiven Stadien von einer harmlosen bakteriellen Kontamination bis zu der potentiell lebensgefährlichen systemischen Infektion bezeichnet. Hierbei werden mehrere aufeinanderfolgende Stufen, beginnend mit der Kontamination, der Kolonisation, der kritischen Kolonisation, der lokalen Wundinfektion und schließlich der systemischen Infektion mit dem Risiko einer Sepsis beschrieben.
Allerdings wird insbesondere die Einstufung als kritische Kolonisation heute sehr kontrovers diskutiert, da es hierfür keine eindeutigen diagnostischen Kriterien gibt.
Lokale Wundinfektionen
Eine unumstrittene Indikation für den Einsatz der antimikrobiellen Wundtherapie ist das Vorliegen einer lokalen Infektion. Die große Schwierigkeit in der Praxis besteht aber darin, die lokale Wundinfektion eindeutig zu diagnostizieren und von einer systemischen Infektion abzugrenzen.
Eine Infektion beschreibt die Invasion von Krankheitserreger in Gewebe, deren Multiplikation sowie die Reaktion des Wirtsgewebes auf diese Erreger. Infektionskrankheiten werden meist durch Bakterien, Viren oder Pilze verursacht. Der Wirt versucht, die Infektion durch den Einsatz seines Immunsystems zu bekämpfen und als eine Voraussetzung für die physiologische Gewebereparatur nekrotische Zellen und zerstörtes Gewebe zu beseitigen.
Akute Wunden, wie beispielsweise postoperative oder traumatische Wunden, zeigen in der Regel die klassischen Anzeichen und Symptome einer lokalen Infektion wie neue oder zunehmende Schmerzen, Erythem, lokale Wärme, Schwellung, eitriger Ausfluss, Fieber oder verzögerte Heilung. Bei Patienten mit chronischen Wunden sind diese Zeichen nicht immer so eindeutig festzustellen. Dies macht die klinische Diagnose oft schwierig. Klinische Scores können dann bei der individuellen Einschätzung helfen.
Therapeutischer Index für Lokale Infektionen (TILI)-Score
Im Jahr 2019 wurde durch eine Expertengruppe im Auftrag der Initiative Chronische Wunden (ICW) e.V. der Therapeutische Index für Lokale Infektionen (TILI)-Score für die Diagnostik lokaler Wundinfektionen entwickelt. Dieser TILI-Score ist ein einfach anzuwendendes Instrument, das als Hilfe für die rasche Diagnostik im klinischen Alltag dient und explizit auch weniger erfahrenere Wundtherapeuten bei der Einschätzung der Wundsituation unterstützt.
TILI-Score für die Diagnostik lokaler Wundinfektionen
Keine direkte Indikation – unspezifische Kriterien
- Periläsionales Erythem
- Überwärmung
- Ödem, Verhärtung oder Schwellung
- Spontaner Schmerz oder Druckschmerz*
- Stagnation der Wundheilung
- Anstieg und/oder Änderung der Farbe oder des Geruchs des Exsudats
Direkte Indikation
- Nachweis potentiell pathogener Mikroorganismen#
- Chirurgische septische Wunde
- Freier Eiter
*Vorsicht bei Patienten mit Polyneuropathie oder bei Einnahme von Schmerzmitteln.
#Dies kann in verschiedenen Ländern und Institutionen sehr unterschiedlich sein. Ein Beispiel ist der Nachweis von multiresistenten Bakterien wie Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).
Wenn im TILI-Score mindestens 5 der 6 unspezifischen Zeichen („keine direkte Indikation“) oder eines der direkten Zeichen gefunden werden, dann ergibt sich der Hinweis auf die klinische Notwendigkeit einer antimikrobiellen Wundtherapie.
Wound-At-Risk (W.A.R.)-Score
Der Wound-At-Risk (W.A.R.)-Score wurde 2016 von einer internationalen Expertengruppe entwickelt, um Patienten zu identifizieren, bei denen ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung einer Wundinfektion besteht. Hierfür wurden verschiedene endogene und exogene Faktoren von jedem Patienten einem Punktwert zugeordnet. Ein Wert von ≥3 Punkten bedeutet, dass für den Patienten ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Wundinfektion festgestellt wurde und daher eine antimikrobielle Behandlung in das Therapiekonzept integriert werden sollte.
1 Risikopunkt |
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Erworbene immunsuppressive Erkrankung, z.B. Diabetes mellitus |
Erworbener Immundefekt durch medikamentöse Therapie wie Ciclosporin, Methotrexat, Glukokortikoide, Antikörper |
Erkrankungen mit soliden Tumoren |
Hämatologische Systemerkrankung |
Postchirurgische Wundheilungsstörung, welche zu (ungeplanter) Sekundärheilung führt |
Durch Lokalisation besonders keimbelasteter Wunden, z.B. Perineum, Genitale |
Problematische hygienische Bedingungen durch soziales oder berufliches Umfeld, z.B. Landwirte, LKW-Fahrer |
Lebensalter ≥ 80 |
Geringeres Lebensalter des Patienten, z.B. Frühgeborene, Babys, Kleinkinder |
Bestehensdauer der Wunde > 1 Jahr |
Wundgröße ≥ 10 qcm |
Chronische Wunden aller Kausalitäten mit einer Tiefe > 1,5 cm |
Stationärer Langzeitaufenthalt des Patienten > 3 Wochen |
2 Risikopunkte |
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Schwere erworbene Immundefekte, z.B. HIV-Infektion |
Stark verschmutze Akutwunden |
Biss‑, Stich- und Schusswunden zwischen 1,5 und 3,5 cm Tiefe |
3 Risikopunkte |
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Verbrennungswunden mit Beteiligung von > 15 Prozent Körperoberfläche |
Wunden, welche eine direkte Verbindung zu Organen oder Funktionsstrukturen aufweisen, z.B. auch Gelenke bzw. körperfremdes Material enthalten |
Schwerste, angeborene Immundefekte wie beispielsweise Agammaglobulinämie, schwere kombinierte Immundefekte (SCID) |
Biss‑, Stich- und Schusswunden >3,5 cm Tiefe |
Quick SOFA (qSOFA) Score
Auch für Wundtherapeuten ist es im klinischen Alltag sehr wichtig, möglichst frühzeitig systemische Wundinfektion beziehungsweise eine beginnende, potentiell lebensbedrohliche Sepsis einschätzen zu können. Im klinischen Alltag hat sich für eine Ersteinschätzung der quick SOFA (Sepsis-related Organ Failure Assessment) Score etabliert, da er schnell und unkompliziert ermittelt werden kann. Der Verdacht auf eine Sepsis liegt vor, wenn mindestens zwei der quick SOFA (qSOFA) Kriterien erfüllt sind.
Quick SOFA (qSOFA)-Score für die Diagnostik einer Sepsis
- Atemfrequenz: ≥ 22/Minute (Tachypnoe)
- Bewusstseinsveränderung: Glasgow-Koma-Skala < 15
- Systolischer Blutdruck: ≤ 100 mmHg (Hypotonie)
Wundspülung und Débridement
Wundspülung und Débridement sind oft die ersten wichtigen Schritte im Rahmen einer phasengerechten modernen Wundbehandlung. Flüssigkeiten, die aktuell für Wundspülungen empfohlen werden, sind sterile Ringer- oder physiologische Kochsalz-Lösung. Nach Anbruch ist die Sterilität jedoch nicht mehr gewährleistet, so dass diese nicht-konservierten Spüllösungen ausschließlich für den einmaligen Verbrauch bestimmt sind und Reste verworfen werden sollten. Der Einsatz von Leitungswasser ist entsprechend der aktuellen Hygienebestimmungen nur statthaft, wenn es mit endständigen Filter mit einer Porengröße von maximal 0,2 µm filtriert wird. Als Débridement wird die Entfernung von anhaftendem, abgestorbenem Gewebe, Krusten oder Fremdkörpern aus Wunden bezeichnet. Die Durchführung erfolgt als autolytisches, biochirurgisches, chirurgisches, mechanisches, osmotisches, proteolytisches oder technisches Débridement.
Im Rahmen dieser physikalischen Maßnahmen kann meist schon ein Großteil der Bakterien aus den Wunden entfernt werden.
Antimikrobielle Wundtherapie
Für die antimikrobielle Wundtherapie stehen heute verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung, die in Form von Lösungen oder Wundauflagen appliziert werden. Nach kritischer Bewertung der Evidenz wurde eine differenzierte Expertenempfehlung erstellt (Tabelle 1).
Expertenempfehlung für den Einsatz antimikrobieller Wundtherapie entsprechend der klinischen Indikationen
Klinische Indikation | Antimikrobieller Wirkstoff | |
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1. Wahl | 2. Wahl | |
Kritisch kolonisierte und infektionsgefährdete Wunden | PHMB | NaOCl/HOCl, Hypochlorit, Silber, OCT/PE |
Verbrennungswunden | PHMB | NaOCl/HOCl |
Biss‑, Stich‑, Schusswunden | PVP-Iod | OCT/PE |
MRE-kolonisierte oder ‑infizierte Wunden | OCT/PE | OCT, PHMB, Silber |
Dekontamination akuter und chronischer Wunden | NaOCl/HOCl, PHMB, Octenidin | OCT/PE |
Peritonealspülung | NaOCl/HOCl | - |
Risiko der Exposition des ZNS | NaOCl/HOCl | - |
Wunden mit fehlender Abflussmöglichkeit | NaOCl/HOCl | - |