Einleitung
Die Behandlungskonzepte von Patienten mit chronischen Wunden stellen im klinischen Alltag oft eine große interdisziplinäre und interprofessionelle Herausforderung dar. Da die zugrundeliegenden Ursachen chronischer Wunden vielfältig und unterschiedlich sein können, sollte die Basis hierbei immer die adäquate und umfassende Diagnostik darstellen. Um diese Diagnostik strukturiert planen zu können, wurde die ABCDE-Regel der Wunddiagnostik entwickelt.
A – Anamnese
Der erste Schritt in der Diagnostik sollte die gezielte Anamnese sein. Patienten werden dabei nicht nur zu den aktuellen Wunden, sondern u.a. auch zu Wunden in der Vergangenheit, Komorbiditäten und der Familienanamnese befragt.
Anamnestische Aspekte, die auf eine spezifische Genese hindeuten können:
- CVI – Abends „müde und schwere“ Beine
- PAVK – Claudicatio intermittens, „Schaufensterkrankheit“
- Diabetes – Polyneuropathie, fehlende Schmerzhaftigkeit
- Dekubitus – Immobilität
- Pyoderma gangraenosum – Beginn als „Insektenstich“, nach Trauma
- Artefizielle Ulcera – Auftreten plötzlich „über Nacht“
- Necrobiosis lipoidica – Diabetes mellitus
B – Bakterien
Bakterien sind selten die alleinige Ursache für die Entstehung chronischer Wunden.
Bakterielle Infektionskrankheiten, die Wunden verursachen können:
- Chlamydia trachomatis – Lymphogranuloma venereum
- Clostridium perfringens – Gasbrand
- Corynebacterium diphtheriae – Diphterie
- Haemophilus ducreyi – Ulcus molle
- Klebsiella granulomatis – Granuloma inguinale
- Mycobakterien – Buruli-Ulcus, Lupus vulgaris
- Treponema pallidum – Lues maligna
Bakterien in Wunden können die Wundheilung erheblich beeinflussen und zu teils erheblichen Komplikationen führen. Zudem stellt das Patientenkollektiv mit chronischen Wunden eine Gruppe mit hohem Risiko für multiresistente Erreger (MRE) wie beispielsweise Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) dar. Daher sollten bei allen Patienten mit chronischen Wunden zumindest bakteriologische Abstriche aus der Wunde erfolgen. Bei tieferen Wunden wie beispielsweise den diabetischen Fußulcera oder den zuvor genannten Infektionskrankheiten wird für die Bakteriendiagnostik die Entnahme einer Biopsie aus dem Wundgrund empfohlen.
C – Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung der Wundpatienten kann bereits sehr wichtige Hinweise auf die Genese und die daraufhin durchzuführenden weiteren spezifischen diagnostischen Maßnahmen ergeben.
Prädilektionsstellen chronischer Wunden:
- CVI – Malleolus medialis
- PAVK – Zehen
- Diabetes – Plantar Vorfuß, Zehen
- Dekubitus – Sakral, Fersen
- Necrobiosis lipoidica – Tibia, Fußrücken
- Thrombangiitis obliterans – Zehen
- Artefizielle Ulcera – gut zugängliche Stellen, z.B. Brust, Bauch, Oberschenkel
Auch durch die klinische Inspektion von Wundrand und Wundumgebung können sich weitere Hinweise auf die zugrundeliegenden, potentiell pathophysiologisch relevanten Faktoren ergeben. Hierbei werden u. a. die Farbe und Konsistenz der umgebenden Haut untersucht.
Klinische Merkmale der wundumgebenden Haut:
- Livides Erythem – Pyoderma gangraenosum, Vaskulitis, Vaskulopathie, Kalziphylaxie
- Ekzem – Stauungsdermatitis bei CVI, allergisches oder toxisches Kontaktekzem
- Sklerose – Dermatoliposklerose bei CVI, Sklerodermie, Graft-versus-Host Erkrankung
- Hyperpigmentierung – Purpura jaune d’ocre bei CVI, postinflammatorisch
- Hyperkeratose – Polyneuropathie, Plattenepithel-Karzinom
- Beinglatze – PAVK, Thrombangiitis obliterans
- Atrophie blanche – CVI, Livedovaskulopathie, Hydroxyurea-Einnahme
Die klinische Testung auf das Vorliegen von Ödemen kann durch Druck auf die Haut über der Tibia erfolgen. Bleibt hier eine tiefe Delle stehen, bezeichnet man dies als positives Godet Zeichen. Da ein Lymphödem im Gegensatz zu den meisten anderen Ödemen auch die Zehen betrifft, wird hier das sogenannte Stemmer Zeichen geprüft. Dafür versucht man die Haut über dem Grundgelenk der zweiten Zehe als Falte abzuheben. Gelingt dies nicht, ist das Stemmer Zeichen positiv – es liegt dann ein Lymphödem vor.
D – Durchblutung
Insbesondere bei chronischen Wunden an den unteren Extremitäten, sollte das venöse und arterielle Gefäßsystem untersucht werden.
Die Untersuchung des arteriellen Gefäßsystems beginnt mit dem Tasten der (Fuß-)Pulse. Zudem sollte immer auch dopplersonographisch der Knöchel-Arm-Druck-Index (KADI, englisch ankle-brachial-index [ABI]) bestimmt werden.
Schweregrad der PAVK entsprechend der KADI-Werte:
- > 1,3 falsch hohe Werte, Verdacht auf Mediasklerose
- > 0,9 Normalbefund
- 0,75–0,9 leichte PAVK
- 0,5–0,75 mittelschwere PAVK
- < 0,5 schwere PAVK, kritische Ischämie
Weiterführend kann bei Patienten mit PAVK dann mittels Duplex-Sonographie oder eine Bildgebung wie Computertomographie (CT)- oder Magnetresonanztomographie (MRT)-Angiographie durchgeführt werden.
Die Basisdiagnostik der Patienten mit Verdacht auf das Vorliegen einer chronischen venösen Insuffizienz (CVI) erfolgt mittels Doppler- oder besser mittels Duplex-Sonographie der Beinvenen. Ergänzt werden kann die Venendiagnostik zudem durch funktionelle Untersuchungsverfahren wie beispielsweise die digitale Photoplethysmographie (DPPG).
E – Extras
Es existieren zahlreiche weiterführende Diagnostikverfahren, die allerdings individuell sehr unterschiedlich ausgewählt werden sollten.
Ergänzende diagnostische Verfahren:
- Biopsie – Neoplasie, Vaskulitis, Vaskulopathie, Leishmaniose
- Serologische Untersuchung – Vaskulitis, Kalziphylaxie
- Pathergie-Test – Pyoderma gangraenosum, Morbus Behçet
- Rumpel-Leede Test – Vaskulitis, Gerinnungsstörung
- Epicutan-Testung – Allergisches Kontaktekzem
- Kapillarmikroskopie – Kollagenosen
- Genetische Analysen – Klinefelter-Syndrom, Faktor-V-Leiden-Mutation
- Polyneuropathie-Diagnostik* – Diabetes mellitus
*für eine orientierende neurologische Untersuchung können Tiptherm, Stimmgabel und/oder Monofilament nach Semmes-Weinstein genutzt werden.
Fazit
Die hier aufgezeigte Diagnostik zeigt lediglich einen Teil der heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf. Aufgrund der vielfältigen Optionen, wird aber bereits jetzt klar, dass diese Diagnostik interprofessionell erfolgen muss. Hierbei können teils erhebliche Kosten entstehen. Umso wichtiger ist es die Diagnostik zielgerichtet einzusetzen, um das Konzept einer angepassten Diagnostik bei Patienten mit chronischen Wunden individuell strukturiert zu planen.
CVI = chronische venöse Insuffizienz
PAVK =periphere arterielle Verschlusskrankheit
Weitere Infos zu speziellen Wundheilungsstörungen finden Sie im 2.Teil