Wundheilungsstörungen
Prof. Dr. med. Joachim Disse­mond – Facharzt für Derma­to­lo­gie und Venero­lo­gie mit der Zusatz­be­zeich­nung Aller­go­lo­gie

Einlei­tung

Die Behand­lungs­kon­zepte von Patien­ten mit chroni­schen Wunden stellen im klini­schen Alltag oft eine große inter­dis­zi­pli­näre und inter­pro­fes­sio­nelle Heraus­for­de­rung dar. Da die zugrun­de­lie­gen­den Ursachen chroni­scher Wunden vielfäl­tig und unter­schied­lich sein können, sollte die Basis hierbei immer die adäquate und umfas­sende Diagnos­tik darstel­len. Um diese Diagnos­tik struk­tu­riert planen zu können, wurde die ABCDE-Regel der Wunddia­gnos­tik entwi­ckelt.

A – Anamnese

Der erste Schritt in der Diagnos­tik sollte die gezielte Anamnese sein. Patien­ten werden dabei nicht nur zu den aktuel­len Wunden, sondern u.a. auch zu Wunden in der Vergan­gen­heit, Komor­bi­di­tä­ten und der Famili­en­ana­mnese befragt.

Anamnes­ti­sche Aspekte, die auf eine spezi­fi­sche Genese hindeu­ten können:

  • CVI – Abends „müde und schwere“ Beine
  • PAVK – Claudi­ca­tio inter­mit­tens, „Schau­fens­ter­krank­heit“
  • Diabe­tes – Polyneu­ro­pa­thie, fehlende Schmerz­haf­tig­keit
  • Dekubi­tus – Immobi­li­tät
  • Pyoderma gangrae­no­sum – Beginn als „Insek­ten­stich“, nach Trauma
  • Artefi­zi­elle Ulcera – Auftre­ten plötz­lich „über Nacht“
  • Necro­bio­sis lipoidica – Diabe­tes melli­tus

B – Bakte­rien

Bakte­rien sind selten die allei­nige Ursache für die Entste­hung chroni­scher Wunden.

Bakte­ri­elle Infek­ti­ons­krank­hei­ten, die Wunden verur­sa­chen können:

  • Chlamy­dia trachoma­tis – Lympho­gra­nu­loma venereum
  • Clostri­dium perfrin­gens – Gasbrand
  • Coryne­bac­te­rium diphthe­riae – Diphte­rie
  • Haemo­phi­lus ducreyi – Ulcus molle
  • Klebsi­ella granu­lo­ma­tis – Granu­loma ingui­nale
  • Mycobak­te­rien – Buruli-Ulcus, Lupus vulga­ris
  • Trepo­nema palli­dum – Lues maligna

Bakte­rien in Wunden können die Wundhei­lung erheb­lich beein­flus­sen und zu teils erheb­li­chen Kompli­ka­tio­nen führen. Zudem stellt das Patien­ten­kol­lek­tiv mit chroni­schen Wunden eine Gruppe mit hohem Risiko für multi­re­sis­tente Erreger (MRE) wie beispiels­weise Methi­cil­lin-resis­ten­ter Staphy­lo­coc­cus aureus (MRSA) dar. Daher sollten bei allen Patien­ten mit chroni­schen Wunden zumin­dest bakte­rio­lo­gi­sche Abstri­che aus der Wunde erfol­gen. Bei tiefe­ren Wunden wie beispiels­weise den diabe­ti­schen Fußul­cera oder den zuvor genann­ten Infek­ti­ons­krank­hei­ten wird für die Bakte­ri­en­dia­gnos­tik die Entnahme einer Biopsie aus dem Wundgrund empfoh­len.

C – Klini­sche Unter­su­chung

Die klini­sche Unter­su­chung der Wundpa­ti­en­ten kann bereits sehr wichtige Hinweise auf die Genese und die darauf­hin durch­zu­füh­ren­den weite­ren spezi­fi­schen diagnos­ti­schen Maßnah­men ergeben.

Prädi­lek­ti­ons­stel­len chroni­scher Wunden:

  • CVI – Malleo­lus media­lis
  • PAVK – Zehen
  • Diabe­tes – Plantar Vorfuß, Zehen
  • Dekubi­tus – Sakral, Fersen
  • Necro­bio­sis lipoidica – Tibia, Fußrü­cken
  • Throm­ban­gii­tis obliterans – Zehen
  • Artefi­zi­elle Ulcera – gut zugäng­li­che Stellen, z.B. Brust, Bauch, Oberschen­kel

Auch durch die klini­sche Inspek­tion von Wundrand und Wundum­ge­bung können sich weitere Hinweise auf die zugrun­de­lie­gen­den, poten­ti­ell patho­phy­sio­lo­gisch relevan­ten Fakto­ren ergeben. Hierbei werden u. a. die Farbe und Konsis­tenz der umgeben­den Haut unter­sucht.

Klini­sche Merkmale der wundum­ge­ben­den Haut:

  • Livides Erythem – Pyoderma gangrae­no­sum, Vasku­li­tis, Vaskul­opa­thie, Kalzi­phy­la­xie
  • Ekzem – Stauungs­der­ma­ti­tis bei CVI, aller­gi­sches oder toxisches Kontakt­ek­zem
  • Sklerose – Derma­to­li­po­skle­rose bei CVI, Sklero­der­mie, Graft-versus-Host Erkran­kung
  • Hyper­pig­men­tie­rung – Purpura jaune d’ocre bei CVI, postin­flamm­a­to­risch
  • Hyper­ke­ra­tose – Polyneu­ro­pa­thie, Platten­epi­thel-Karzi­nom
  • Beinglatze – PAVK, Throm­ban­gii­tis obliterans
  • Atrophie blanche – CVI, Livedo­vas­kul­opa­thie, Hydro­xy­urea-Einnahme

Die klini­sche Testung auf das Vorlie­gen von Ödemen kann durch Druck auf die Haut über der Tibia erfol­gen. Bleibt hier eine tiefe Delle stehen, bezeich­net man dies als positi­ves Godet Zeichen. Da ein Lymph­ödem im Gegen­satz zu den meisten anderen Ödemen auch die Zehen betrifft, wird hier das sogenannte Stemmer Zeichen geprüft. Dafür versucht man die Haut über dem Grund­ge­lenk der zweiten Zehe als Falte abzuhe­ben. Gelingt dies nicht, ist das Stemmer Zeichen positiv – es liegt dann ein Lymph­ödem vor.

D – Durch­blu­tung

Insbe­son­dere bei chroni­schen Wunden an den unteren Extre­mi­tä­ten, sollte das venöse und arteri­elle Gefäß­sys­tem unter­sucht werden.

Die Unter­su­chung des arteri­el­len Gefäß­sys­tems beginnt mit dem Tasten der (Fuß-)Pulse. Zudem sollte immer auch doppler­so­no­gra­phisch der Knöchel-Arm-Druck-Index (KADI, englisch ankle-brachial-index [ABI]) bestimmt werden.

Schwe­re­grad der PAVK entspre­chend der KADI-Werte:

  • > 1,3 falsch hohe Werte, Verdacht auf Media­skle­rose
  • > 0,9 Normal­be­fund
  • 0,75–0,9 leichte PAVK
  • 0,5–0,75 mittel­schwere PAVK
  • < 0,5 schwere PAVK, kriti­sche Ischä­mie

Weiter­füh­rend kann bei Patien­ten mit PAVK dann mittels Duplex-Sonogra­phie oder eine Bildge­bung wie Compu­ter­to­mo­gra­phie (CT)- oder Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie (MRT)-Angiographie durch­ge­führt werden.

Die Basis­dia­gnos­tik der Patien­ten mit Verdacht auf das Vorlie­gen einer chroni­schen venösen Insuf­fi­zi­enz (CVI) erfolgt mittels Doppler- oder besser mittels Duplex-Sonogra­phie der Beinve­nen. Ergänzt werden kann die Venen­dia­gnos­tik zudem durch funktio­nelle Unter­su­chungs­ver­fah­ren wie beispiels­weise die digitale Photo­p­le­thys­mo­gra­phie (DPPG).

E – Extras

Es existie­ren zahlrei­che weiter­füh­rende Diagnos­tik­ver­fah­ren, die aller­dings indivi­du­ell sehr unter­schied­lich ausge­wählt werden sollten.

Ergän­zende diagnos­ti­sche Verfah­ren:

  • Biopsie – Neopla­sie, Vasku­li­tis, Vaskul­opa­thie, Leish­ma­ni­ose
  • Serolo­gi­sche Unter­su­chung – Vasku­li­tis, Kalzi­phy­la­xie
  • Pather­gie-Test – Pyoderma gangrae­no­sum, Morbus Behçet
  • Rumpel-Leede Test – Vasku­li­tis, Gerin­nungs­stö­rung
  • Epicu­tan-Testung – Aller­gi­sches Kontakt­ek­zem
  • Kapil­lar­mi­kro­sko­pie – Kolla­ge­no­sen
  • Geneti­sche Analy­sen – Kline­fel­ter-Syndrom, Faktor-V-Leiden-Mutation
  • Polyneu­ro­pa­thie-Diagnos­tik* – Diabe­tes melli­tus

*für eine orien­tie­rende neuro­lo­gi­sche Unter­su­chung können Tiptherm, Stimm­ga­bel und/oder Monofi­la­ment nach Semmes-Weinstein genutzt werden.

Fazit

Die hier aufge­zeigte Diagnos­tik zeigt ledig­lich einen Teil der heute zur Verfü­gung stehen­den Möglich­kei­ten auf. Aufgrund der vielfäl­ti­gen Optio­nen, wird aber bereits jetzt klar, dass diese Diagnos­tik inter­pro­fes­sio­nell erfol­gen muss. Hierbei können teils erheb­li­che Kosten entste­hen. Umso wichti­ger ist es die Diagnos­tik zielge­rich­tet einzu­set­zen, um das Konzept einer angepass­ten Diagnos­tik bei Patien­ten mit chroni­schen Wunden indivi­du­ell struk­tu­riert zu planen.

CVI = chroni­sche venöse Insuf­fi­zi­enz
PAVK =periphere arteri­elle Verschluss­krank­heit

Weitere Infos zu spezi­el­len Wundhei­lungs­stö­run­gen finden Sie im 2.Teil