Die Coronapandemie belastet die Kapazitäten des Gesundheitssystems auf allen Ebenen. Viele Ärzte und Pflegende sind seit geraumer Zeit im Dienste der betroffenen COVID-19-Patienten und zum Schutze der Bevölkerung überobligatorisch im Einsatz – mit gutem Erfolg. Allerdings verspricht die flächendeckende Fallzahl der Erkrankten sowie die Inzidenz pro Bundesland derzeit noch kein Ende der Arbeitsstrapazen und des Patientenleids.
Auch wenn die Überlebensrate von Corona-Patienten in Deutschland und die sogenannte Reproduktionszahl Hoffnung wecken, handelt es sich nach wie vor um eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation. Die zu behandelnden und zu erwartenden Krankheitsverläufe können nach einhelliger Meinung aller Experten auch in der Zukunft nur beherrscht werden, wenn die gesamte Bevölkerung einen guten Zugang zu den Gesundheitsleistungen hat.
Kritische Finanzlage
Die Sicherstellung dieser Versorgung ist Kernauftrag der gesetzlichen Krankenversicherer. Finanziert werden dabei die Leistungen in der Hauptsache gemäß § 220 Absatz 1 SGB V durch Beiträge, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch getragen werden. Diesem solidarischen Grundprinzip folgend stehen die gesetzlichen Krankenversicherer daher in einer besonderen Verantwortung und müssen mit den Beiträgen ihrer Versicherten sorgfältig und wirtschaftlich haushalten.
Im Zuge der Corona-Krise schlägt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, nun Alarm und teilt mit, dass die pandemiebedingten Einnahmeausfälle und Mehrausgaben die gesetzlichen Krankenkassen mit voller Wucht treffen. Seine Forderung an die Politik lautet daher erwartungsgemäß: „Es müssen so schnell wie möglich zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden.“
Am 11. Mai 2020 haben Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes und einige Kassenchefs mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die kritische Finanzlage besprochen. Erstmalig seit dem Jahr 2015 hätten die Ausgaben die Einnahmen überstiegen. Im Jahr 2019 stünden dem Einnahmevolumen von 250,4 Milliarden Euro 251,9 Milliarden Euro auf der Ausgabenseite gegenüber. Im laufenden Jahr würde sich dieses Defizit mit 14,1 bis 14,6 Milliarden Euro noch gravierender darstellen.
Gründe für die schlechte Kassenlage
Interessanterweise würden coronabedingte Zusatzausgaben, wie etwa nicht behandlungsbezogene Ausgaben für symptomunabhängige Tests auf Infektion oder Immunität und die pandemiebedingten Investitions- und Vorhaltekosten der Krankenhäuser zur Gefahrenabwehr, diese Misere nicht alleine hervorrufen. Mitverantwortlich seien auch gestiegene Ausgaben für Arzneimittel und Krankenhausbehandlungen, sowie verschiedene Gesetzesänderungen, die für mehr Pflegepersonal, veränderte Aufgabenspektren des Medizinischen Dienstes sowie für schnellere Termine bei Ärzten und Physiotherapeuten sorgen sollen.
Sollte der Steuerzahler nicht einspringen, müsste der Zusatzbeitrag von derzeit 1,1 Prozent auf 2,0 bis 2,2 Prozent verdoppelt werden, so die Vorhersage der Krankenkassen. Weitere Auswirkungen der Corona-Krise im Jahr 2021 – etwa geringere Einnahmen durch eine höhere Arbeitslosigkeit – seien dabei laut dem Tagesspiegel noch gar nicht berücksichtigt.
Ausblick
Vorerst ist davon auszugehen, dass die Beitragsituation – zumindest kurzfristig – noch stabil bleiben wird. Allerdings findet sich der sogenannte Schätzerkreis, der den Zusatzbeitrag prognostisch berechnet, in diesem Jahr erstmals früher als üblich zusammen. Diese verfrühte Zusammenkunft kann mit guten Gründen als Vorbote für eine angespannte Finanzsituation gedeutet werden.
Wird der finanzielle Mehrbedarf nicht mit Steuermitteln abgedeckt, erscheinen daher Beitragssatzanhebungen zulasten der Versicherten und Arbeitgeber zur Jahreswende 2020/2021 als wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang wird jedoch auch der Verbleib der Liquiditätsreserven aus den zurückliegenden Jahren mit guter Konjunktur zu thematisieren sein. Außerdem ist genau darauf zu achten, dass das aktuelle GKV-Leistungsspektrum nicht als Sparquelle entdeckt wird und den Versicherten im bisherigen Umfang erhalten bleibt.
Die Coronapandemie gebietet allen Verantwortlichen des Gesundheitssystems einen sorgfältigen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen, der sich zuvorderst am Wohl der Patienten und Versicherten orientieren muss.