Zwischen Ebbe und Flut – das Exsudatmanagement
Verbandmittel bewirken lediglich eine Symptomlinderung. Daher geht das Exsudatmanagement über Aspekte der Produktauswahl hinaus und zielt primär darauf ab, die Wundbedingungen zu optimieren. Dies erfolgt durch kausaltherapeutische Maßnahmen, das heißt die Ursache ist vorrangig zu behandeln.
Hierzu gehört zum Beispiel bei infizierten Wunden eine Infektkontrolle und ‑sanierung durch Wunddébridement (Abb. 1), Einsatz von Lokalantiseptika (als Antiseptikum mit Octenidin oder Polihexanid oder als antiinfektives /antimikrobielles Verbandmittel, zum Beispiel mit Silber) (Abb. 2) oder bei systemischen Infekten durch Gabe von Antibiotika nach Antibiogrammbestimmung. Es ist zu bedenken, dass ein Keim nur einen Tod sterben kann. Daher ist es nicht sinnvoll, die genannten Versorgungsoptionen kombiniert einzusetzen! Bei stark exsudierenden venösen Ulzera in der Entstauungsphase ist eine sach- und fachgerechte Kompressionstherapie erforderlich.
Der unterstützende Einsatz von Hautpflege und ‑schutzpräparaten beugt der Schädigung von Wundrand und ‑umgebung vor. Bei deren Applikation ist auch die Benetzung von intakten Hautarealen, zum Beispiel Stegen oder Inseln, innerhalb der Wunde zu beachten. Um eine Beobachtung der Haut jederzeit zu ermöglichen, sind farblose, durchsichtige Produkte bevorzugt zu verwenden (Abb. 3). Zudem kann Hautirritationen durch Einsatz nicht-haftender Verbandmittel oder solchen mit hautfreundlichen Silikonbeschichtungen vorgebeugt werden.
Ergänzend sind Verbandmittel nach Aufnahmevermögen und Retention sowie anhand notwendiger Wechselintervalle entsprechend auszuwählen; ggf. ist auch zusätzlich auf die Fähigkeit zur Geruchsbindung zu achten. Insbesondere sogenannte Superabsorber-Wundverbände sind für hohe Exsudatmengen indiziert. Sie enthalten superabsorbierende Polymere (SAP), die in der Lage sind Exsudat einzuschließen und ein Vielfaches ihres Eigengewichtes an Flüssigkeit zu speichern. Der Vorteil gegenüber anderen absorbierenden Verbandmitteln ist, dass Superabsorber-Wundverbände auch unter Druck, zum Beispiel Kompressionstherapie, die aufgenommene Flüssigkeit nicht wieder abgeben, das heißt über eine gute Retention verfügen.
Für die Wechselintervalle gilt: so häufig wie nötig, so selten wie möglich! Für Betroffene ist die Anpassung ihrer Kleidung, zum Beispiel weit, lang und schwarz, ein wichtiger Hinweis, um mögliche Feuchtigkeitsflecken nach außen zu kaschieren.
Wundexsudat – Erfassen, bewerten und reagieren
Das Exsudat ist nach Menge, Konsistenz, Farbe und Geruch zu spezifizieren, da diese Aspekte Aufschluss über die vorliegende Wundheilungsphase, den Wundzustand und die Keimsituation einer Wunde geben. Daher sind diese Spezifizierungen im Wundassessment entsprechend zu erfassen und zu dokumentieren.
Exsudatmenge: Als relative Größe lässt sich die Menge des Wundexsudats nicht objektiv beschreiben. Die typischen Formulierungen, wie „(besonders/sehr) viel, mittel/mäßig, wenig/kaum/gering“, basieren auf subjektiven Eindrücken. Hinweise können die Länge der Verbandwechselintervalle und die Sättigung der Verbandmittel geben. Wesentlich ist, dass im Behandlungsteam Einigkeit über die verwendeten Begriffe zur Beschreibung der Exsudatmenge besteht.
Exsudatkonsistenz: Dieser Begriff beschreibt die Beschaffenheit des Exsudats. Sie kann von „dünnflüssig/serös“ bzw. „niedrigviskös“ bis zu „zäh“ bzw. „hochviskös“ oder „klebrig“ variieren.
Wundexsudat ist typischerweise eine seröse Flüssigkeit, die während der Granulationsphase dazu dient, die Zellmigration zu ermöglichen. Die dünnflüssige Konsistenz ist zudem typisch bei fortgeschrittener chronischer venöser Insuffizienz (CVI), bei lymphatischen Erkrankungen, bei dekompensierter Herzinsuffizienz, Harnwegs- und Lymphfistel (Abb. 4) oder Mangelernährung.
Wenn das Wundexsudat zäh ist, deutet dies auf einen hohen Eiweißanteil hin, der zum Beispiel auf eine Infektion oder Wunden in der Reinigungsphase bzw. Autolyse von Nekrosen zurück zu führen ist. Aber auch Rückstände von Verbandmitteln, zum Beispiel Hydrokolloidverbände (Abb. 5) und Darmfisteln, können Ursache für hochvisköses Exsudat sein.
Exsudatfarbe: Sie umfasst ein großes Spektrum an Tönungen. Das normale seröse Erscheinungsbild ist klar, transparent bis leicht gelblich, kann aber auch auf eine Lymph- bzw. Harnwegsfistel oder CVI hindeuten. Eine Entzündung oder Infektion färbt das Wundexsudat unter anderem durch Fibrinfäden trübe, milchig bzw. cremefarben. Ist ein Pseudomonas aeruginosa der Auslöser, erscheint das Wundexsudat meist grünlich (Abb. 6). Eine rosige oder rote Färbung (Abb. 7) kann auf Blutzellen hindeuten, zum Beispiel aufgrund einer Verletzung. Darm- und Harnwegsfisteln aber auch Rückstände von Verbandmittel (insbesondere Hydrokolloidverbände) sowie Wundschorf färben das Wundexsudat gelb bis bräunlich. Auch bläuliche, grau-schwarze Färbungen können ein Hinweis für Rückstände von Verbandmitteln, insbesondere silberhaltigen Produkten (Abb. 8), sein.
Exsudatgeruch: Im Zusammenhang mit der Wunde empfinden Betroffene den Geruch persönlich und sozial als sehr belastend. Im schlimmsten Fall kann dies zu sozialer Isolation und Körperbildstörungen führen. Da Menschen Gerüche subjektiv sehr unterschiedlich wahrnehmen, ist auf eine Spezifizierung, zum Beispiel in jauchig, faulig, besonders übelriechend, stinkend, süßlich, säuerlich, zu verzichten. Eine Dokumentation von „ja – vorhanden“ und „nein – nicht vorhanden“ ist ausreichend. Unangenehmen Gerüchen können unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen, zum Beispiel Wundinfektion, malignom-assoziierte Wunden oder Nekrosen in der Autolyse. Geruch ist immer ein störender Einflussfaktor und deshalb entsprechend zu behandeln. In der lokalen Behandlung kann der Einsatz von Aktivkohleauflagen eine wichtige Unterstützung sein.
Verbandmittel im Einsatz zwischen den Gezeiten
Fazit
Im Exsudatmanagement arbeiten die Versorger eng mit dem Betroffenen zusammen. Patienten und Patientinnen sind daher über Entstehung und Bedeutung des Wundexsudats und entsprechende Behandlungsstrategien aufzuklären. Ihre Wünsche und Vorlieben sind bei der Entscheidung für die Versorgungsoptionen ebenso maßgeblich wie Wundzustand und begleitende Erkrankungen. Unter Berücksichtigung der individuellen Wund- und Lebenssituation sollte hierdurch eine bestmögliche Lebensqualität erreicht werden
Kerstin Protz: Gesundheits- und Krankenpflegerin, Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, Referentin für Wundversorgungskonzepte, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e.V., Deutscher Wundrat e.V. und European Wound Management Association (EWMA)
Quellen
Dissemond J et al. Standards des ICW e. V. für die Diagnostik und Therapie chronischer Wunden. WundManagement. 2017; 11(2): 81–86.
Protz K (2019). Moderne Wundversorgung, Praxiswissen, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München
Winter GD. Formation of the scab and the rate of epithelialization of superficial wounds in the skin of the young domestic pig. Nature 1962 Jan 20; 193:293–294.
World Union of Wound Healing Societies (WUWHS) – Konsensdokument. Wundexsudat: effiziente Beurteilung und Behandlung Wounds International, 2019
Wundzentrum Hamburg e. V., Standards: www.wundzentrum-hamburg.de