Wundexsudat – was, wo und wie?
Im Versorgungsalltag ist Wundexsudat als Wundflüssigkeit/-feuchtigkeit, Nässen der Wunde oder auch Wundsekret bekannt. Letzterer Begriff ist verbreitet aber sachlich falsch, da Sekret aus Drüsen austritt. Wundexsudat hingegen tritt bei einer Gewebeschädigung aus dem sogenannten interstitiellen Zwischenraum aus, der die einzelnen Körperzellen umgibt. Bei intaktem Gewebe gelangt diese Flüssigkeit aus dem Blut in die Zellzwischenräume und wird von dort aus durch die Lymphgefäße aufgenommen und wieder in die Blutgefäße zurückgeführt.
Wird dieser Kreislauf durch Verletzungen unterbrochen, fließt die Flüssigkeit in die Wunde und wird zu Wundexsudat. Dessen Zusammensetzung ähnelt dem Blutplasma und besteht somit etwa zu 90 Pprozent aus Wasser. Weitere Bestandteile sind:
- Fibrinfäden und Thrombozyten, die eine rasche Blutgerinnung gewährleisten
- Glukose, die Energiequelle der Zellen
- Immunzellen, zum Beispiel Lymphozyten und Makrophagen, zur Infektabwehr
- Wachstumsfaktoren, die eine rasche Wiederherstellung des geschädigten Gewebes initiieren
- Proteasen, die Proteine abbauen, die Migration neuer Zellen und die Autolyse unterstützen
Auf dem Weg in die Wunde nimmt das Wundexsudat noch weitere Bestandteile auf, wie Zelltrümmer, Abfallstoffe und Mikroorganismen, die in jeder Wunde vorkommen. Die Initiative Chronische Wunden (ICW) definiert als Wundexsudat die Flüssigkeiten „[…], die von einer Wunde freigesetzt werden. In Abhängigkeit des Wundzustandes kann dies Lymphe, Blut, Proteine, Keime, Zellen und Zellreste beinhalten.“
Wirkung – zu viel oder zu wenig?
Schon in den 1960er Jahren stellte George Winter fest, dass ausgetrocknete und verkrustete Wunden langsamer heilen. Daher liegt ein Schwerpunkt der Wundversorgung auf Schaffung und Erhaltung eines feuchten Wundmilieus. Mit der Bildung von Wundexsudat reagiert der Körper auf eine Gewebschädigung. Ziel ist zum einen, Fremdkörper und Abfallstoffe aufzunehmen und aus der Wunde zu spülen, um die Regeneration vorzubereiten. Zum anderen liefert Wundexsudat mit dem Transportmedium Wasser wesentliche Heilungsfaktoren in die verletzten Bereiche.
Es handelt sich somit um einen physiologischen Prozess, der auf natürliche Weise reguliert wird und am stärksten in der Wundheilungsphase auftritt, die entsprechend als „Reinigungsphase“ oder noch treffender als „Exsudationsphase“ (Abb.1) bezeichnet wird. Mit dem Ablauf der nun folgenden Phasen der Wundheilung, Granulationsphase (Abb. 2) und Epithelisierungsphase (Abb. 3), nimmt die Menge an Wundexsudat üblicherweise kontinuierlich ab. Ausnahmen sind Wunden, die auf bestimmte Krankheitsbilder zurückgehen.
Hohe Exsudatmengen sind unter anderem typisch bei infizierten Wunden (Abb. 4), venösen (Abb. 5)/ lymphatischen Ulzera (Abb. 7) in der Entstauungsphase, malignom-assoziierten Wunden und Verbrennungen. Je größer und tiefer die Wunde ist, desto mehr Exsudat kann auftreten. Zudem können Erkrankungen, wie Nieren- und Herzinsuffizienz aber auch das fortgeschrittene Alter sowie eine Malnutrition die Exsudatmenge erhöhen.
Im Gegensatz dazu stehen Wunden mit krankheitsbedingt geringer Exsudation, wie ischämische Ulzera (Abb. 6) und solche aufgrund von systemischer Störung, wie Dehydration und hypovolämischer Schock.
Wenn die Wundexsudation jedoch das normale Maß über- oder unterschreitet, kann dies folgenschwere Konsequenzen für den Abheilungsprozess haben. In einer zu trockenen Wunde laufen die Abheilungsprozesse oft verzögert ab oder kommen ganz zum Erliegen. Hohe Exsudatmengen erschweren die Versorgung mit Verbandmitteln, die womöglich regelrecht „wegschwimmen“ und schränken die Produktauswahl ein. In diesem Fall führt die hohe Wundexsudation zu einer gravierenden Belastung der Lebensqualität des Betroffenen und zudem zu zusätzlichem Aufwand an Zeit, Material und Kosten im Versorgungsprozess.
Auch die Zusammensetzung des Exsudats hat Einfluss auf die Wundheilung. Bei einer chronischen Wunde liegt oft ein übermäßig hoher Anteil an Matrix-Metallo-Proteinasen (MMP) vor. Diese werden durch Entzündungsmediatoren stimuliert und bauen die extrazelluläre Matrix ab, die zum Gewebeaufbau benötigt wird. Zudem behindern sie die Arbeit der Wachstumsfaktoren. In diesem Fall wandelt sich Wundexsudat vom wichtigen Unterstützer zum Gegenspieler der Abheilung.
Die Lebensqualität im Blick
Mit stark exsudierenden Wunden geht oft auch eine unangenehme Geruchsentwicklung einher. Zudem zeichnet sich das Wundexsudat als Flecken auf der Kleidung ab (Abb. 7) und wird nach außen sichtbar. Beides hat Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden des Betroffenen sowie seine gesellschaftliche Teilhabe. Dies führt dazu, dass die eigene Wohnung kaum mehr verlassen wird und eine soziale Isolation droht. Die zur Aufnahme des Wundexsudats notwendigen dicken Verbände tragen zudem auf und schränken die Kleider- und Schuhauswahl sowie die Beweglichkeit ein. Der Termindruck durch die kurzen Verbandwechselintervalle hat zudem Auswirkungen auf die selbständige Gestaltung von Sozial‑, Privat- und Arbeitsleben. Hinzu kommen Schmerzen, denn ein hohes Exsudataufkommen, das permanent über einen längeren Zeitraum auf Wundrand einwirkt kann diesen und die umgebende Haut nachhaltig schädigen. Eine hohe Wundexsudation geht mit dem Verlust von Flüssigkeit sowie wichtigen Proteinen und Elektrolyten einher, die entsprechend wieder zuzuführen sind. Eine hohe Exsudation beeinträchtigt also die Lebensqualität und das Wohlbefinden des Betroffenen in vielfacher Hinsicht.
In Teil 2 dieses Beitrags (folgt in Kürze) erfahren Sie, wie man durch Maßnahmen des Exsudatmanagements auf diese Probleme reagiert und den Versorgungsprozess zum Wohle des Patienten gestaltet.
Kerstin Protz: Gesundheits- und Krankenpflegerin, Projektmanagerin Wundforschung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, Referentin für Wundversorgungskonzepte, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg, Deutscher Wundrat und European Wound Management Association (EWMA)
[1] Dissemond J et al. Standards des ICW e.V. für die Diagnostik und Therapie chronischer Wunden. WundManagement. 2017; 11(2): 81–86.
[2] Protz K (2019). Moderne Wundversorgung, Praxiswissen, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München
[3] Winter GD. Formation of the scab and the rate of epithelialization of superficial wounds in the skin of the young domestic pig. Nature 1962 Jan 20; 193:293–294.
[4] World Union of Wound Healing Societies (WUWHS) – Konsensdokument. Wundexsudat: effiziente Beurteilung und Behandlung Wounds International, 2019
[5] Wundzentrum Hamburg e. V., Standards: www.wundzentrum-hamburg.de