Rechtsdepesche: Frau Hochleitner, Gendermedizin ist ihr Fachgebiet. Bei der Behandlung und Erforschung von Krankheiten konzentriert sich die Medizin vor allem auf den männlichen Körper. Dabei zeigen Frauen oft andere Symptome oder reagieren anders auf Medikamente. Was sind das für Unterschiede und warum sollte man diese beachten?
Margarete Hochleitner: Ein Grundsatz der Schulmedizin ist evidence-based, d.h. beruhend auf wissenschaftlichen Untersuchungen und das können wohl auch Frauen für sich verlangen.
Dass Frauen auf Medikamente anders reagieren können war schon sehr lange bekannt, was auch auf unterschiedliches Gewicht und Körpergröße, unterschiedlichen Fett‑, Wasser- und Muskelanteil, sowie unterschiedliche Stoffwechselvorgänge zurückzuführen ist. Dazu kommt, dass Frauen generell mehr Unverträglichkeiten, Allergien und Nebenwirkungen auf Medikamente zeigen.
Trotzdem wurden lange Zeit medizinische Angebote „von Männern für Männer gemacht“, z.b. Medikamente hauptsächlich oder ausschließlich an Männern getestet, aber dann auch an Frauen verordnet unter dem Motto „da wird schon kein großer Unterschied sein“.
Dass das keine wissenschaftliche Betrachtungsweise ist, muss wohl nicht diskutiert werden. Dies hatte auch massive Folgen, von Wirkungslosigkeit bis zu Lebensgefahr.
Gendermedizin: Pharmaindustrie hat bereits reagiert
Rechtsdepesche: Was muss passieren, damit die Pharmaindustrie zusätzliche Kosten und Mühen auf sich nimmt für spezialisierte Medikamente?
Margarete Hochleitner: Dies ist bereits geschehen. Hier nutzen nur gesetzliche Vorgaben im Rahmen der Zulassungsbestimmungen und dies ist in allen Industrieländern eingeführt und wird auch durchgeführt. Selbstverständlich bleiben noch Optimierungswünsche offen.
Rechtsdepesche: Wie unterscheiden sich die Immunsysteme von Mann und Frau? Was hat das für Konseqenzen für die Gesundheit?
Margarete Hochleitner: Einfach ausgedrückt ist das Immunsystem dasselbe, allerdings wird es vor allem durch Hormone beeinflusst. Simpel formuliert: Östrogene stärken es, Testosterone bremsen es. Das heißt: Frauen sind gegen Infektionskrankheiten und Krebs besser geschützt als Männer (siehe Todesfallstatistik), Frauen haben mehr Allergien, Unverträglichkeiten, Nebenwirkungen und Autoimmunkrankheiten.
Rechtsdepesche: Kann man generell Unterschiede in Krankheitsverläufen zwischen Mann und Frau feststellen und wie kann die Medizin darauf reagieren?
„Krankheiten treten bei einem Geschlecht häufiger auf“
Margarete Hochleitner: Die meisten Krankheiten treten bei einem Geschlecht häufiger auf. Oft auch mit schwererer form, höherer Mortalitätsrate, schlechteren Behandlungsmöglichkeiten. So werden sehr viele Krankheiten einem Geschlecht zugeschrieben, Frauen z.b. Osteoporose, Brustkrebs, Schilddrüsenerkrankungen, Essstörungen, Depressionen und vieles andere mehr.
Alle diese Krankheiten treten auch beim anderen Geschlecht auf. Die Gefahr ist immer eine späte Diagnose und damit späte Behandlungsmöglichkeit. Die idee der Gendermedizin ist eben, diese Unterschiede zu untersuchen und daraus für das benachteiligte Geschlecht Therapiemöglichkeiten zu finden, z.b. sind Brustkrebs und Osteoporose jetzt auch als Männerkrankheiten erkannt worden.
Rechtsdepesche: Wie würden Sie das Standing der Gendermedizin beschreiben? Werden Sie persönlich auch angegriffen für Ihre Initiative und Forschung?
Margarete Hochleitner: Gendermedizin ist zwischenzeitlich in den meisten Curricula der medizinischen Universitäten angekommen, Angriffe gab es sehr wohl, aber vor 30 Jahren.
Rechtsdepesche: Wie kann die Politik Gendermedizin unterstützen und fördern? Gibt es dazu eine Bereitschaft und wie könnte das geschehen?
Situation von Transmenschen und non-binären Personen
Margarete Hochleitner: Wie immer mit Geld, für Frauengesundheitseinrichtungen, Gendermedizin-Fortbildung, Gendermedizin-Studien. Hier sehe ich noch viele Optimierungsmöglichkeiten.
Rechtsdepesche: Was ist mit Transmenschen und nicht-binären Personen – wie ist da der Stand der Forschung in Sachen Medikation und Behandlung?
Margarete Hochleitner: Dies ist ein Problem der Forschung. Die Medizinforschung ist fokussiert auf quantitative Forschung, das setzt aber große Fallzahlen voraus, was bei diesen Gruppen eher nicht gegeben ist.
Dazu kommt, dass auch die Förderaktionen, also Drittmittel, sowie Publikationsmöglichkeiten auf quantitative Forschung fokussiert sind und darüberhinaus ist Geschlecht und Alter aus den Krankengeschichten abzuleiten, sexuelle orientierung nicht, d.h. auch retrospektive Auswertungen und Trendanalysen sind in dem Bereich kaum möglich.
Hier ist also nicht nur ein guter Wille einzelner ForscherInnen, sondern ein Umdenken in der ganzen Forschungslandschaft notwendig.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!