Sachverhalt
In einem aktuellen Fall befand sich der junge Patient bei seiner Augenärztin in ständiger Behandlung. Im Rahmen dieser fortdauernden Behandlung stellte sich der Patient mit einer erheblichen Verschlechterung der Sehschärfe vor. Die Augenärztin verordnete daraufhin eine neue Brille.
In der Folgezeit kam es zu einer weiteren Sehverschlechterung auf dem rechten und später auch auf dem linken Auge. Trotz mehrmaliger Vorstellung bei der Augenärztin konnte diese die Ursache hierfür nicht finden. Die Augenärztin stellte vielmehr bei der Verschlechterung auf die mangelnde Compliance des Patienten ab. Weitere Untersuchungen, insbesondere eine Bildgebung des Kopfes, unterblieben.
Der Patient stellte sich später bei einem anderen Augenarzt vor, welcher umgehend eine bildgebende Diagnostik veranlasste und hierüber einen Optikustumor feststellte. Aufgrund der nunmehr verstrichenen Zeit war eine Operation zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Der Patient wandte sich im Anschluss an die zuständige Gutachterstelle und beantragte eine Prüfung des Vorgangs. Die Berufshaftpflichtversicherung der Augenärztin stimmte dem Verfahren nach Rücksprache mit der Ärztin zu.
Der von der Gutachterstelle beauftragte Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Ärztin weitere Untersuchungen, insbesondere eine Bildgebung des Schädels, hätte veranlassen müssen. Nach seiner Einschätzung wäre der Tumor bei früherer Bildgebung entdeckt worden und in diesem Zeitpunkt auch operativ behandelbar gewesen.
Schadenursächlich lag aufgrund der verstrichenen Zeit ein Gesichtsfeldausfall auf dem linken Auge vor. Der junge Patient hat einen Grad der Behinderung von 60 %. Auch besteht ein nicht unerhebliches Risiko dafür, dass der gutartige Tumor trotz Behandlung wächst und die Raumforderung den Patienten weiter beeinträchtigt.
Rechtliche Würdigung
Das Unterbleiben der weiteren Diagnostik war vorliegend als Befunderhebungsfehler zu würdigen. Hiervon ist auszugehen, wenn der Arzt es unterlässt, gebotene bzw. dringend gebotene Befunde zu erheben oder zu sichern und sich bei Durchführung der versäumten Untersuchung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich die Verkennung dieses Befunds als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen müsste.
So war es im vorliegenden Fall. Bei einer früheren Bildgebung wäre der Tumor bereits eindeutig zu erkennen gewesen.
Aufgrund des festgestellten Befunderhebungsfehlers tritt eine sogenannte Beweislastumkehr mit der Folge ein, dass der Arzt beweisen muss, dass der Fehler für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich war. Nach den Feststellungen des Gutachters wäre der Tumor bei rechtzeitiger bildgebender Diagnostik erkennbar und auch operabel gewesen, sodass der Beweis der Nichtursächlichkeit der unterlassenen Befunderhebung für den Schadeneintritt auf der Grundlage des Gutachtens nicht zu führen war.
Aber auch nach eigener Würdigung des Gutachtens und der Gutachterkommissionsentscheidung kamen wir in Absprache mit der versicherten Ärztin zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen der Gutachterstelle medizinisch und rechtlich zutreffend waren. Wir setzten uns daraufhin umgehend mit der Patientenseite in Verbindung und teilten unsere grundsätzliche Einigungsbereitschaft mit.
In einem persönlichen Regulierungsgespräch konnte daraufhin ein Teilvergleich zur Kompensation des entstandenen Schadens erarbeitet, aber auch das weitere Vorgehen bezüglich des fortbestehenden Zukunftsrisikos konstruktiv festgelegt werden. Im Rahmen des Gesprächs wurde zudem der Wunsch der Eltern deutlich, zu erfahren, ob und gegebenenfalls welche weitergehenden Behandlungsmöglichkeiten bestünden. Wir sagten daraufhin unsere Unterstützung zu und vermittelten kurzfristig Termine bei ausgewiesenen Spezialisten. Dort erhielt der Patient sodann weiteren sachkundigen Rat. Neben dem monetären Schadenausgleich konnte dem Patienten und dessen Eltern somit auch persönlich und hier insbesondere emotional geholfen werden.
Fazit
Der Vorteil des vorliegenden Gutachterstellenverfahrens lag in diesem Fall für den Patienten darin, dass dieser schnell und ohne Kostenlast zu einem auch von der Berufshaftpflichtversicherung anerkannten Gutachten gekommen ist. Infolgedessen wurde zeitnah in die Schadenregulierung eingetreten.
Im Fall der Ablehnung des Gutachterstellenverfahrens wäre die Angelegenheit mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt in ein Gerichtsverfahren übergegangen. Insoweit konnten die mit einem Gerichtsverfahren einhergehenden Kosten, aber auch die damit verbundenen emotionalen Belastungen für alle Direktbeteiligten (den Patienten, dessen Angehörige sowie die betroffene Ärztin) vermieden werden.
Quelle: Rechtsanwalt Sebastian Schmitz, HDI Versicherung AG, Köln