Rechtsdepesche: Wann und in welcher Form kommt der Pflegebonus von 3.000 Euro?
Claudia Moll: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Bund zur Anerkennung der herausragenden Leistung von Pflegekräften während der Pandemie eine weitere Milliarde Euro zur Verfügung stellen wird. Dazu soll die Steuerfreiheit eines von den Einrichtungen ausgezahlten Pflegebonus auf 3.000 Euro angehoben werden. Das Bundesministerium für Gesundheit bereitet derzeit einen Gesetzentwurf vor, der in Kürze vorgelegt werden wird.
Der Bonus darf nicht zu Neiddebatten unter den Beschäftigten einer Einrichtung führen. Und die Bonuszahlung darf jedoch nur ein weiteres Etappenziel sein. Nachhaltige Wertschätzung führt über attraktivere Arbeitsbedingungen in der Pflege mit deutlich höheren Löhnen und einer bundesweit geltenden Personalbedarfsbemessung.
Pflege: Impfquote unter Fachkräften hoch
Rechtsdepesche: Oft wird von einem bevorstehenden Pflegenotstand gesprochen, auch vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung. Spüren Sie die Gefahr eines Pflexit?
Moll: Jeder, der in der Pflege arbeitet weiß, dass es in vielen Regionen bereits Engpässe bei der Pflegeversorgung gibt. Es kommen zwar immer mehr Auszubildende in die Pflege, gleichzeitig geben aber viele Pflegekräfte schon weit vor der Rente auf, weil sie nicht mehr können. Deshalb brauchen wir schnell mehr Personal in den Einrichtungen durch ein einheitliches Personalbemessungsinstrument in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Das haben wir im Koalitionsvertrag verabredet.
Rechtsdepesche: Wie ist die Stimmung in der Branche bezüglich der Pflege-Impfpflicht? Wie viele Pflegekräfte geben zum Stichtag 16. März Ihrer Einschätzung nach auf?
Moll: Die Impfquote bei den Pflegefachkräften ist ganz überwiegend sehr hoch. Ich verstehe, wenn jemand vor einer Impfung Angst hat, akzeptieren muss ich das aber nicht. Gerade Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sollten wissen, wie gefährlich Corona ist. Ich selbst habe Jahre lang in der Pflege gearbeitet und natürlich bin ich geimpft und geboostert. Wenn ich als ungeimpfte Pflegerin meine Bewohner anstecken würde und sie dann schwer erkranken oder sogar sterben müssten, würde ich mir das niemals verzeihen.
Aber es geht bei der Impfpflicht ja auch um Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, um Reinigungskräfte und Servicepersonal. Ich habe das Gefühl, dass sich gerade in dieser Gruppe viele jetzt doch noch impfen lassen. Der Impfstoff Novavax ist da sicherlich hilfreich.
Tariflohnpflicht ab September
Rechtsdepesche: Es gab schon viele Initiativen, um die Lage der Pflegenden zu verbessern. Wie beurteilen Sie zum Beispiel die Konzertierte Aktion Pflege? Was ist Ihr Ansatz, um wirksame Verbesserungen zu erzielen?
Moll: Das Problem an der Konzertierten Aktion war, dass all die vereinbarten Maßnahmen der Verbände freiwillig waren. Vieles ist deshalb – und natürlich auch wegen der Pandemie – nicht richtig in die Gänge gekommen. Was wir nun brauchen sind gesetzliche Maßnahmen, um die Löhne weiter zu verbessern und Pflegekräften familienfreundliche, verlässliche Arbeitszeiten zu bieten. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag zum Beispiel steuerfreie Zuschläge, trägereigene Springerpools und die Abschaffung geteilter Dienste vereinbart.
Gesunde und motivierende Arbeitszeiten müssen besser refinanziert und von allen Arbeitgebern, egal ob tarifgebunden oder nicht, angeboten werden. Mit der Tariflohnpflicht ab September wird ein wichtiger Schritt kommen für gerechte Löhne in der Langzeitpflege. Für gute Löhne und Arbeitszeitmodelle sind allerdings in erster Linie die Sozialpartner in der Verantwortung. Mein Plädoyer an die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege lautet deshalb: Organisiert euch, unterstützt eure Tarifverhandler – es lohnt sich!
Pflege im Brennpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit
Rechtsdepesche: Hat sich die Pflege seit Ihrer aktiven Zeit inhaltlich stark verändert? Was ist Ihre Prognose für die Zukunft der Pflege, gerade zum Thema Akademisierung?
Moll: Meine Arbeit in einer Einrichtung ist erst ein paar Jahre her! Ich denke, dass in den letzten Jahren vieles angestoßen worden ist und spätestens mit der Pandemie die Pflege im Brennpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit steht. Das will ich nutzen, um für Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte die Versorgungsbedingungen weiter zu verbessern.
Zum Stichwort Akademisierung kann ich sagen, dass wir mehr Pflegekräfte hochschulisch ausbilden wollen. Ziel muss sein, die Aufgabenverteilung zwischen Fach‑, Hilfskräften, akademisierten Pflegekräften und anderen Berufsgruppen in den Einrichtungen grundsätzlich sinnvoller zu gestalten, um die heutigen Versorgungsanforderungen zu meistern.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Claudia Moll wurde am 15. Dezember 1968 in Eschweiler bei Aachen geboren. Sie ist eine deutsche Politikerin, Mitglied in der SPD und Altenpflegerin. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages, in dem sie das Direktmandat des Bundestagswahlkreis Aachen II vertritt. Seit Januar 2022 ist sie Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter. Claudia Moll ist gelernte Altenpflegerin mit Zusatzqualifikation in der Gerontopsychiatrie und arbeitete bis zu ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag bei der Caritas.