Mit dem Blick auf die Handlungsermächtigung des nichtärztlichen Personals gestattet § 5a IfSG den Angehörigen der Pflegefachberufe und den Notfallsanitätern nunmehr die eigenständige und eigenverantwortliche Wahrnehmung heilkundlicher Tätigkeiten. Durch diese Kompetenzerweiterung sollen Ärztinnen und Ärzte insbesondere von Behandlungen entlastet werden, die ein ärztliches Tätigwerden in dem Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordern.
Ausübung der Heilkunde durch Pflege
Voraussetzung für die zunächst vorübergehende Ausübung der jeweiligen heilkundlichen Tätigkeit durch nichtärztliches Personal ist die persönliche Kompetenz der jeweiligen Person, die sich sowohl aus der Ausbildung wie den persönlichen Fähigkeiten der handelnden Person ergibt. Indem die gesetzliche Begründung darauf abstellt, dass sich die persönlichen Fähigkeiten aus Berufserfahrung oder aus Fort- und Weiterbildungen ergeben können, wird – in Abgrenzung zu § 63 Absatz 3c SGB V in Verbindung mit § 14 PflBG – nur auf das Vorhandensein der materiellen Qualifikation abgestellt. Nicht erforderlich ist somit eine zusätzliche formelle Qualifizierung. Entscheidend für die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten sind also lediglich das tatsächliche Können und die persönliche Fähigkeit im Zeitpunkt der Ausführung der betreffenden Maßnahme.
Der Handelnde muss allerdings den individuellen Gesundheitszustand des Patienten berücksichtigen und diesen nebst der ausgeübten heilkundlichen Tätigkeit verpflichtend dokumentieren. Erfordert der Zustand des Patienten nach seiner Art und Schwere eine ärztliche Behandlung im Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend, ist die Vornahme der jeweils erforderlichen Maßnahme ausdrücklich nach dem gesetzgeberischen Willen durch die Ausnahmeregelung von § 5a IfSG gestattet, auch wenn sie der ärztlichen Heilkunde zuzurechnen ist. Zur fachlichen Absicherung und als Grundlage weiterer ärztlicher Behandlungsentscheidungen muss der verantwortliche oder behandelnde Arzt im Nachhinein unverzüglich über die vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen informiert werden. Befindet sich der Patienten in einem kritischen Zustand obliegt demgegenüber nach wie vor dem Arzt die Handlungshoheit über die Ausübung der Heilkunde.
Verordnung von Verbandmitteln?
Nicht erfasst wird von § 5a IfSG jedoch die Verordnungskompetenz der heilkundlich tätigen Pflegekräfte. Diese ist in der Heilkundeübertragungs-Richtlinie in der Diagnose „Chronische Wunden“ als Art und Umfang des pflegerischen Handlungskonvolutes hinterlegt. Allerdings setzt das Tätigwerden der in diesem Bereich tätig werdenden Fachpersonen eine zusätzliche Qualifikation voraus. Das hierzu notwendige Qualifikationsprofil wird zur Zeit von der Fachkommission, die seitens des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sowie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingesetzt worden ist, erarbeitet.
Mithin ist es folgerichtig, dass im Rahmen des § 5a IfSG die Verordnungskompetenz nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde. Auch weist die im August 2019 aktualisierte Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) zum Themenkomplex „Versorgung chronischer Wunden“ die Verordnungskompetenz eindeutig und unmissverständlich dem ärztlichen Bereich zu. So heißt es in § 3 Absatz 4 HKP-RL, dass die Leistungserbringer an die Verordnung und die Genehmigung des Arztes gebunden sind. In § 7 Absatz 2 HKP-RL wird ferner darauf hingewiesen, dass ausschließlich der Arzt nach Sichtung der Pflegedokumentation über die erforderlichen Maßnahmen und die mögliche Folgeverordnung entscheidet.
Ausblick
Die gesetzliche Situation zeigt, dass noch einige Wege beschritten werden müssen, bis das seit dem Jahr 2008 diskutierte Anliegen der pflegerischen Verordnungskompetenz in die Praxis und die Handlungsrealität überführt werden wird. Dies alles wird unter anderem auch die Fortschreibung der jeweiligen Ausbildungsordnungen und die Festschreibung neuer Abrechnungswege erfordern. Nicht zuletzt ist auch an den hinreichenden, haftpflichtversicherungsrechtlichen Deckungsschutz für alle Professionen im Gesundheitsdienst zu denken.