Warum greift der Kündigungsschutz nicht?
- 1. Intro
- 2. Warum greift der Kündigungsschutz nicht?
Die Kündigung eines Arbeitnehmers, welcher ohne Unterbrechung länger als sechs Monate in einem Betrieb tätig war, ist nach § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Kündigung nicht durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist, vgl. § 1 Abs. 2 KSchG.
Handelt es sich um eine Kündigung aufgrund häufiger (Kurz-)Erkrankungen, so ist zu derer Rechtfertigung in erster Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen objektive Tatsachen vorliegen, die in Zukunft auf weitere Erkrankungen in vergleichbarem Umfang hindeuten. Ausgenommen ist, wenn die Krankheit(-en) zum Zeitpunkt der Kündigung vollständig ausgeheilt ist/sind. In zweiter Stufe müssen die prognostizierten Fehlzeiten außerdem zu erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen führen, bevor im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung schließlich geprüft werden muss, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber hingenommen werden müssen oder nicht.
Im Falle der Klägerin sind alle Stufen erfüllt. Der Kündigungsschutz greift nicht. Aufgrund der vermehrt aufgetretenen Erkrankungen im Arbeitszeitraum der Klägerin ist die Annahme zukünftiger Arbeitsausfälle nicht verkehrt. Dabei ist es unerheblich, ob beim Arbeitnehmer in der Vergangenheit mehrere unterschiedliche Krankheitsbilder aufgetreten sind, oder ob es sich lediglich um eine Erkrankung handelt. Die Klägerin fehlte im Durchschnitt rund 20 % eines Monats aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit. Ihre Darlegung, dass in Zukunft mit keinen weiteren Kurzerkrankungen zu rechnen sei, genügte dem Gericht nicht, da die Klägerin diesen Punkt nicht weiter erläutern konnte.
Betriebliches Interesse überwiegt
Die zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen zudem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Wie auch in den Jahren 2015 und 2016 wäre mit Entgeltfortzahlungen zu rechnen, die über einen Umfang von sechs Wochen hinaus gehen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG). Die Lohnfortzahlungskosten der Beklagten betrugen im gesamten Zeitraum des Arbeitsverhältnisses insgesamt mehr als 8.500 €. Außerdem stören die häufigen Arbeitsausfälle die betrieblichen Abläufe wesentlich. Zum einen habe die Beklagte den Anspruch zu erfüllen, Menschen angemessen zu betreuen und zu aktivieren, zum anderen monierten bereits im Vorfeld der Kündigung mehrere Mitarbeiter der Beklagten schriftlich ihre Überlastung aufgrund von Personalausfällen in der Einrichtung.
Nach Abwägung der wechselseitigen Interessen ist auch das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass die Beklagte diese Beeinträchtigungen nicht hinnehmen muss. Dem steht auch das fortgeschrittenere Lebensalter der Klägerin nicht entgegen. Es überwiegt das Interesse der Beklagten an einer kontinuierlichen und geregelten Versorgung der Heimbewohner. Auch eine mildere Maßnahme als die Kündigung stand nicht zur Verfügung, schließlich hat die Beklagte bereits zweimal ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit der Klägerin unternommen, bei denen sich jedoch keine Optionen zur Eindämmung der Fehlzeiten und Erkrankungen ergaben.
Praxistipp: Zwar stellt ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 167 SGB IX keine Voraussetzung für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung dar, jedoch ist die Durchführung eines BEM auch bei Beschäftigten, die aufgrund von Kurzerkrankungen länger als sechs Wochen pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt sind, zu empfehlen. Wurde kein BEM durchgeführt erhöht dies die Beweislast für den Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess.