Ein Charcotfuß ist in der Fußambulanz zu behandeln
Charcot­fuß im Frühsta­dium mit Knochen­mar­kö­dem in mehre­ren Mittel­fuß­kno­chen (MTK II, Os Cunei­forme II und Navicu­lare): Ein Fall für die Fußam­bu­lanz.

Ulzera, die sich nicht schlie­ßen, können unumkehr­bare Folgen wie Amputa­tio­nen und Todes­fälle nach sich ziehen. Das Risiko ist, je Ulkus­art, unter­schied­lich hoch. Bei einem Diabe­ti­schen Fußsyn­drom (DFS) oder bei malignen Hauter­kran­kun­gen ist das Risiko einer Amputa­tion beson­ders ausge­prägt.

Beim DFS sind Amputa­tio­nen in 10 bis 20 Prozent der Fälle zu verzeich­nen, in circa 6 Prozent der Fälle verster­ben die Patien­ten vor dem Wundschluss an überwie­gend kardio­vas­ku­lä­ren Begleit­erkran­kun­gen.[1]

Dauer­hafte, spezia­li­sierte Behand­lung gefor­dert

Daher fordert die inter­na­tio­nale Leitli­nie für die Betreu­ung von Menschen mit DFS „eine medizi­ni­sche Versor­gungs­struk­tur, welche auf die Bedürf­nisse der Patien­ten ausge­rich­tet ist“.

Hierbei ist beson­ders hervor­zu­he­ben, dass für dieses Patien­ten­kli­en­tel eine dauer­hafte Behand­lung und Betreu­ung notwen­dig ist. Eine Beschrän­kung der Behand­lung auf die Versor­gung der akut auftre­ten­den Probleme ist nicht zweck­mä­ßig, um das darge­stellte Gefah­ren­po­ten­zial nachhal­tig zu kompen­sie­ren.

Vielmehr muss ein ganzheit­li­cher Ansatz unter Betei­li­gung unter­schied­lichs­ter Fachdis­zi­pli­nen verfolgt werden, bei welchem das Geschwür nicht nur als singu­läre Wunde, sondern als Zeichen einer Multi­or­gan­krank­heit angese­hen wird. Die sachad­äquate Behand­lung und Versor­gung erfor­dert immer ein gut organi­sier­tes und einge­spiel­tes Behand­lungs­team.[2]

Es entspricht dem anerkann­ten Stand der medizi­ni­schen Wissen­schaft und Forschung,[3] dass Patien­ten mit den oben beschrie­be­nen Krank­heits­bil­dern zwingend an Einrich­tun­gen zu überwei­sen sind, die sich auf die Behand­lung dieses Patien­ten­kli­en­tels spezia­li­siert haben. Dazu heißt es in der Leitli­nie:

„[…] alle Menschen mit Diabe­tes und einem aktiven Diabe­ti­schen Fußul­kus (DFU) sollten unver­züg­lich an ein multi­dis­zi­pli­nä­res diabe­ti­sches Fußteam überwie­sen werden […]“

Darüber hinaus hat der Gemein­same Bundes­aus­schuss (G‑BA) im Disease Manage­ment Programm (DMP) „Diabe­tes melli­tus Typ 2“[4] festge­legt, dass eine Überwei­sung in eine, auf die Behand­lung des Diabe­ti­schen Fußes spezia­li­sierte Einrich­tung (Diabe­ti­sche Fußam­bu­lanz) statt­fin­den muss und zwar „bei oberfläch­li­cher Wunde mit Ischä­mie, bei allen tiefen Ulzera (mit oder ohne Wundin­fek­tion, mit oder ohne Ischä­mie) sowie bei Verdacht auf Charcot-Fuß“.[5] Bei allen anderen Stadien des DFS soll die Überwei­sung zumin­dest erwogen werden, so der G‑BA.

Der G‑BA als einer der wichtigs­ten Organe der Selbst­ver­wal­tung setzt damit die Behand­lung, welche sich am anerkann­ten Stand der medizi­ni­schen Wissen­schaft und Forschung zu orien­tie­ren hat, unter Berück­sich­ti­gung von evidenz­ba­sier­ten Leitli­nien oder nach der jeweils besten, verfüg­ba­ren Evidenz um. An dieser Stelle ist darauf hinzu­wei­sen, dass die Deutsche Diabe­tes­ge­sell­schaft, Einrich­tun­gen, die sich auf die Behand­lung solcher Krank­heits­bil­der spezia­li­siert haben, zerti­fi­ziert. In manchen DMP-Verträ­gen sind diese genau definiert.

Fallbei­spiele

Nachfol­gend zwei Beispiele, welche die fatalen Folgen für die Patien­ten bei unsach­ge­mä­ßer Behand­lung, aufzei­gen:

1. Fallbei­spiel

Ein 42-jähri­ger Lagerist ist seit dem 21. Lebens­jahr an einem Diabe­tes melli­tus Typ 1 erkrankt und leidet seit nunmehr 5 Jahren an einer Polyneu­ro­pa­thie. Dieser Patient erlei­det einen Charcot­fuß. Er ist in ortho­pä­di­scher Behand­lung. Die Diabe­tes-Schwer­punkt­pra­xis mit zerti­fi­zier­ter Fußam­bu­lanz, in der sich der Patient wegen des Diabe­tes einmal pro Quartal vorstellt, wird wegen des aufge­tre­te­nen Charcot­fu­ßes nicht einge­schal­tet. Es kommt zu verschie­de­nen Pannen. Unter anderem findet die Ruhig­stel­lung in einer Cast-Schiene statt, die der Patient nach einigen Wochen anwei­sungs­ge­mäß ablegt.

Danach soll er den Fuß mit 15 kg teilbe­las­ten. Erschwe­rend kommt hinzu, dass er mit seiner Familie in den Sommer­ur­laub fährt, so dass ihm die reduzierte Belas­tung des Fußes nicht gelingt. Es folgt eine drama­ti­sche Defor­mie­rung mit bleiben­der Gehbe­hin­de­rung. Seine Arbeit wurde während eines Kranken­haus­auf­ent­hal­tes gekün­digt und bei niedri­gem Ausbil­dungs­stand und der Gehbe­hin­de­rung konnte seit 6 Monaten keine neue Arbeit gefun­den werden. Der Ortho­päde spricht von einer schlech­ten Compli­ance des Patien­ten, der sein Schick­sal selbst zu verant­wor­ten habe.

2. Fallbei­spiel

Eine 78-jährige Patien­tin mit einem, seit 2 Jahren bestehen­den Diabe­tes melli­tus Typ 2 erlei­det ein Ulkus am Mittel­fuß­kno­chen (unter MTK 5). Neben einer Neuro­pa­thie besteht auch eine pAVK. Die Versor­gung erfolgt auf Anwei­sung des Hausarz­tes mit Lokal­the­ra­pie und einem Verband­schuh, eine Entlas­tung der Wunde erfolgt nicht.

Als Begrün­dung für die fehlende Entlas­tung wird ärztli­cher­seits angeführt, die Patien­tin habe einen Vorfuß­ent­las­tungs­schuh nicht tragen wollen. Die nahelie­gende Diabe­tes-Fußam­bu­lanz wird nicht konsul­tiert. Das Fußul­kus infiziert sich und nach mehre­ren Kranken­haus­auf­ent­hal­ten kommt es zur Unter­schen­kel­am­pu­ta­tion.

Bewer­tung der fehlen­den Heran­zie­hung der Fußam­bu­lanz

In beiden Fällen ist die Vermitt­lung einer alltags­ad­äqua­ten Ruhig­stel­lung oder Entlas­tung nicht gelun­gen. Eine Diabe­tes-Fußam­bu­lanz ist in der Kommu­ni­ka­tion mit Menschen, die aufgrund der Polyneu­ro­pa­thie Schmer­zen nur noch teilweise oder garnicht mehr wahrneh­men, spezia­li­siert. Der Behand­ler muss im Rahmen der so wichti­gen thera­peu­ti­schen Aufklä­rung (§ 630c Absatz 2 BGB) die Beson­der­hei­ten dieser Patien­ten, wie zum Beispiel das Phäno­men des „Leibes­in­sel­schwun­des“, zwingend einer Berück­sich­ti­gung zufüh­ren.

Eine Diabe­tes-Fußam­bu­lanz ist ferner so vernetzt, dass dem Patien­ten unter­schied­li­che Strate­gien der Entlas­tung angebo­ten werden können. In den vorlie­gen­den Fällen hat die Nicht­be­ach­tung der Überwei­sungs­re­geln, die gemäß der Leitli­nien, dem anerkann­ten Stand der medizi­ni­schen Wissen­schaft und Forschung zu entspre­chen hat, bei den beiden Patien­ten diese fatalen Rechts­gut­ver­let­zun­gen hervor­ge­ru­fen.

Bei Menschen, die von Ihrem Fuß nur noch wenig spüren und die Belas­tungs­in­ten­si­tät nicht steuern können ist „Compli­ance“ als Befol­gung vorge­ge­be­ner Entlas­tungs­maß­nah­men ohnehin kein sinnvol­les Konzept und ein Vorfuß­ent­las­tungs­schuh nicht hilfreich sondern eher kontra­in­di­ziert. Man spricht in solchen Fällen auch gerne von einem „Vorfuß­be­las­tungs­schuh“. Daher ist die, von den beiden behan­deln­den Ärzten angeführte „schlechte Compli­ance“ keine Begrün­dung dafür, dass die Patien­ten für ihr Schick­sal selbst verant­wort­lich sind.

Ergeb­nis

Die gesetz­li­chen Kranken­kas­sen müssen seit dem 1. Januar 2002 nach § 137f SGB V Disease-Manage­ment-Programme für chronisch Kranke anbie­ten, über die sich teilneh­mende Ärzte verpflich­ten, eine konti­nu­ier­li­che, struk­tu­rierte und quali­täts­ge­si­cherte Versor­gung vorzu­hal­ten.

Hierzu zählt auch die sachge­rechte Koordi­na­tion der thera­peu­ti­schen Optio­nen von sich in der Langzeit­be­treu­ung befind­li­chen Patien­ten, die den gesetz­li­chen und vertrag­li­chen Erfor­der­nis­sen zu entspre­chen haben. Für die komplexe Behand­lungs­si­tua­tion der DFS-Patien­ten bedeu­tet dies konkret, dass der koordi­nie­rende Arzt eine unver­züg­li­che Überwei­sung zu anderen spezia­li­sier­ten Einrich­tun­gen (= Fußam­bu­lan­zen) veran­las­sen muss.

Unter­lässt er dies und erlei­det der Patient einen auf die schuld­hafte Verlet­zung der verspä­te­ten oder unter­las­se­nen Überwei­sung beruhen­den Schaden, wird damit der sozial­ver­si­che­rungs­recht­lich zugesi­cherte Sorgfalts­maß­stab unter­schrit­ten, woraus sich letzt­lich auch eine im Zivil­recht relevante Haftung gegen­über dem Patien­ten auf Schadens­er­satz entwi­ckeln kann.

Denn der behan­delnde Arzt schul­det seinem Patien­ten gemäß § 630a Absatz 2 BGB eine Behand­lung, die dem anerkann­ten Stand der medizi­ni­schen Wissen­schaft und Forschung zu entspre­chen hat. Weicht der Arzt von dieser Soll-Forde­rung ohne Rückspra­che und Einwil­li­gung des Patien­ten ab, handelt er behand­lungs­feh­ler­haft. Ist dieser Fehler nachweis­lich ursäch­lich für den einge­tre­ten Schaden, steht einem Schadens­er­satz­an­spruch des geschä­dig­ten Patien­ten nichts mehr im Wege.

Autoren: Prof. Dr. Volker Großkopf, Michael Schanz

Anmer­kun­gen:

  1. Prompers L, Schaper N, Apelq­vist J, Edmonds M, Jude E, Mauricio D, et al. Predic­tion of outcome in indivi­du­als with diabe­tic foot ulcers: focus on the diffe­ren­ces between indivi­du­als with and without periphe­ral arterial disease. The EURODIALE Study. Diabe­to­lo­gia. 2008;51(5):747–55.
  2. Inter­na­tio­nal Working Group on the Diabe­tic Foot. 2019 IWGDF Guide­line­son the Preven­tion and Manage­men­tof Diabe­tic Foot Disease2019 02.06.2019. Available from: https://iwgdfguidelines.org/wp-content/uploads/2019/05/IWGDF-Guidelines-2019.pdf.
  3. Vgl. Bundes­mi­nis­te­rium der Justiz und für Verbrau­cher­schutz. Bürger­li­ches Gesetz­buch (BGB) § 630a Abs. 2 Vertrags­ty­pi­sche Pflich­ten beim Behand­lungs­ver­trag. Bundes­an­zei­ger (BAnz AT 22. März 2019 B5)2019.
  4. Richt­li­nie des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses zur Zusam­men­füh­rung der Anfor­de­run­gen an struk­tu­rierte Behand­lungs­pro­gramme nach § 137f Abs. 2 SGB V (DMP-Anfor­de­run­gen-Richt­li­nie/DMP-A-RL) in der Fassung vom 20.3.2014, BAnz AT 26.6.2014 B3; BAnz AT 26.8.2014 B2; zuletzt geändert durch: Beschluss des Gemein­sa­men Bundes­aus­schus­ses über die 15. Änderung der DMP-Anfor­de­run­gen-Richt­li­nie (DMP-A-RL): Änderung der Anlage 1 (DMP Diabe­tes melli­tus Typ 2) vom 17.1.2019, BAnz AT 22.3.2019 B5.
  5. Siehe: DMP-A-RL, S. 20: „Überwei­sung von der koordi­nie­ren­den Ärztin oder vom koordi­nie­ren­den Arzt zur jeweils quali­fi­zier­ten Fachärz­tin, zum jeweils quali­fi­zier­ten Facharzt oder zur quali­fi­zier­ten Einrich­tung“