
Operation mit verheerenden Folgen
Die im Jahre 1985 geborene Patientin unterzog sich 1998 drei Operationen wegen Gleichgewichtsstörungen, die ein Jahr zuvor bei einer Behandlung im Krankenhaus festgestellt wurden. Wegen des Verdachts eines zerebralen Anfallsleidens sowie einer Fehlhaltung und Instabilität zwischen dem ersten und zweiten Halswirbelkörper wurde sie in eine Klinik für Neurochirurgie überwiesen. Dort wurde eine Ausrenkung des Gelenks zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel festgestellt, welche zu einer Kompression des Rückenmarks führen könnte.
An dem sich anschließenden Geschehen waren vier Personen beteiligt:
- Der Operateur bei allen drei Operationen,
- Der Operationsassistent,
- der weitere Operationsassistent vom Eingriff am 14. April 1998 sowie
- der zum maßgeblichen Zeitraum zuständige Chefarzt und Klinikdirektor
Seitens der neurochirurgischen Klinik wurde den Eltern der Betroffenen nach einem Aufklärungsgespräch zu einem operativen Eingriff geraten. Bei der Operation am 16. Januar 1998 wurde ein aus dem Beckenknochen entnommener Knochenspan zwischen den ersten und zweiten Halswirbel eingepasst und mit einer Drahtumschlingung befestigt. Eine anschließende Röntgenkontrolle war unauffällig. Im Anschluss erhielt die Klägerin zur Stabilisierung eine steife Halskrause.
Bis zum 29. März 1998 fand eine stationäre Nachbehandlung in einer Rehabilitationsklinik statt, in deren Verlauf die Patientin am 6. März 1998 beim Duschen stürzte. Dies führte offensichtlich zu einer Lockerung der Drahtverbindung. Am 3. April 1998 stellte sich die Verunglückte erneut bei der beklagten Klinik vor. Nach einer Röntgenaufnahme und deren Auswertung wurde für den 14. April 1998 erneut zur Operation aufgerufen, die fatale Folgen für die Patientin haben sollte.
Nach diesem ersten Revisionseingriff hatte die Betroffene zunächst kein Gefühl mehr in den Beinen. Im weiteren Verlauf ihres stationären Aufenthalts wurde eine Enge der gelegten Drahtumschlingung festgestellt. Dies führte zu einem zweiten Revisionseingriff am 23. April 1998, bei dem die alten Drähte durch eine neue Drahtumschlingung ausgetauscht wurden. Nach dem Eingriff war die Frau jedoch ateminsuffizient und nicht ansprechbar war. Seitdem war sie von einer inkompletten Querschnittslähmung betroffen.
Inkomplette vs. komplette Querschnittslähmung:Bei einer kompletten Querschnittslähmung sind alle Nervenbahnen unterhalb der Schädigung vollständig unterbrochen, was zu einem vollständigen Verlust von Bewegung und Empfindung führt. Bei einer inkompletten Querschnittslähmung sind einige Nervenbahnen noch intakt, sodass zumindest einige Funktionen erhalten bleiben können.
Revision für Urteil
Die von nun an querschnittsgelähmte Frau hat in der Folge die Notwendigkeit des operativen Vorgehens infrage gestellt. Den Verantwortlichen wirft sie vor, die Aufklärung ihrer Eltern sei unzureichend gewesen. Insbesondere seien sie nicht über mögliche alternative Behandlungsmethoden zu der zu diesem Zeitpunkt schon veralteten Operationsmethode aufgeklärt worden. Die Eingriffe seien überdies fehlerhaft ausgeführt worden. Vor Gericht klagt sie.
Das Landgericht Magdeburg hat die Beklagten in erster Instanz als Gesamtschuldner zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro und ihre Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden festgestellt. Gegen das Urteil hatten die Betroffenen Berufung eingelegt, wobei das Oberlandesgericht Naumburg das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen hatte. Im Revisionsverfahren hat der Bundesgerichtshof hat das oberlandesgerichtliche Urteil wieder aufgehoben und die Revision als begründet deklariert.
Das Gericht ist der Auffassung, dass nach der nunmehr geltenden Regelung des § 630e Absatz 1 Satz 2 BGB den Eltern der Klägerin auch Behandlungsalternativen hätten aufgewiesen werden müssen.
Alternative in Behandlungsmethode der Verschraubung
Zur Überzeugung des Gerichts war angewandte Verdrahtungsmethode nicht mehr adäquat und brachte mehr Komplikationsrisiken, geringere Heilungschancen und höheres Risiko einer Querschnittslähmung als beispielsweise eine neuere Verschraubungsmethode.
Demnach seien veraltete Methoden dann als fehlerhaft und deplatziert zu bewerten, wenn risikoärmere und effektivere Alternativen unumstritten annehmbar wären. Im vorliegenden Fall versprach die Verschraubungsmethode eine bessere Heilungschance und eine geringere Komplikationsrate, ohne ein höheres Eingriffsrisiko zu haben.
Außerdem stellte das Gericht fest, dass die Verschraubungsmethode zwar Anfang des Jahres 1998 nur in wenigen Zentren verfügbar war, jedoch schon damals keine neue oder experimentelle Technik darstellte. Vielmehr wurde sie bereits von spezialisierten Kliniken angeboten, insbesondere bei seltenen Erkrankungen. Der Sachverständige vor Gericht hielt es für möglich, die Klägerin an eine Klinik mit entsprechender Erfahrung zu überweisen.
Resultat: Aufklärung fehlgeschlagen!
Nach Ansicht des BGH liegt die Primärschädigung bei fehlerhafter Aufklärung bereits im rechtswidrigen Eingriff an sich, dessen adäquate und äquivalente Kausalität für den Gesundheitsschaden nachgewiesen werden muss. Hierzu genüge es, dass der Eingriff nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele („conditio sine qua non“).
Der Nachweis, dass der Schaden bei einer anderen Behandlung ebenfalls eingetreten wäre, obliegt der Beklagten. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, das die erste Operation mit der Drahtumschlingung ein Risiko für Lockerungen barg. Die Revisionsoperation wurde dadurch erforderlich und in deren Folge trat die Querschnittslähmung als Sekundärschaden ein.
Im Ergebnis erweist sich die Annahme eines äquivalenten und adäquaten Kausalzusammenhangs auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts als zutreffend. Von dem Kausalzusammenhang zwischen der Revisionsoperation und der Querschnittslähmung hat sich das Berufungsgericht überzeugt. Da die Eltern ohne vollständige Aufklärung nicht wirksam einwilligen konnten, ist der Eingriff rechtswidrig.
Somit wird das Urteil des OLG Naumburg aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle: BGH vom 21. Januar 2025 – VI ZR 204/22