Eine sofortige Versorgung mit ausreichend Schutzmaterialien, eine Mobilisierung aller Mitarbeiter von Prüfbehörden, eine kurzfristige Lohnzulage und eine dauerhafte Anhebung der Bezahlung in der Pflege – das sind die Forderungen einer Gruppe von Fachkräften, die die Petition ins Leben gerufen haben. Die zögerliche Einleitung der Maßnahmen sei „ein Trauerspiel“ gewesen, heißt es in der Petition. Jetzt drohe ein akuter Personalmangel auf den Intensivstationen, warnt die Gruppe von sechs bekannten Pflegefachkräften, die die Plattform „CareSlam!“ zur Erstveröffentlichung nutzten .
Über 200.000 haben sich auf change.org inzwischen als Unterstützer eingetragen. Die Forderungen, unter anderem nach einer Verstaatlichung von Produktionsstätten – im Notfall – zur Herstellung von Schutzkleidung, haben offenbar einen Nerv getroffen. Dass inzwischen zehn Millionen Schutzmasken unter Polizeischutz ausgeliefert werden, sei begrüßenswert, decke aber nur den akuten Bedarf, so Mitinitiator Marcus Jogerst-Ratzka gegenüber der Rechtsdepesche: „Ich kenne Einrichtungen, wo auch jetzt noch eine totale Unterversorgung herrscht und teilweise nur eine Schutzmaske pro Schicht vorhanden ist.“ Der Bedarf an wirksamen und zugelassenen Schutzmaterialien werde weiter drastisch steigen. Hierzu müsse man auch drastische Maßnahmen ergreifen.
Die Petition läutet vor allem die Alarmglocken, was die Personalsituation in den Heimen und Kliniken angeht: „Wer pflegt denn die Patienten auf den Intensivstationen, wer bedient die Maschinen?“ Im Krankenhausbereich sei Deutschland mit einem Personalschlüssel von 13 zu 1 das absolute Schlusslicht in Europa, klagt Jogerst-Ratzka. Der Geschäftsführer eines baden-württembergischen Seniorenheims sieht die Ursache hierfür nicht zuletzt in der mangelhaften Entlohnung von Pflegekräften. „Wenn irgendein Unternehmen Probleme hat, ausreichend Fachpersonal zu finden, wird es natürlich die Löhne erhöhen. In der Pflege wird stattdessen mit warmen Worten vertröstet und die Arbeitsbelastung auf weniger Schultern verteilt. Damit wird die Situation noch weiter verschlimmert“, kritisiert Jogerst-Ratzka. „Wir haben uns natürlich überlegt, ob wir in der jetzigen Situation auch die Entlohnung in der Pflege ansprechen sollen. Aber wann, wenn nicht jetzt, ist auch die öffentliche Unterstützung für solch weitgehende Schritte gegeben?“ Konkret fordert die Petition einen kräftigen Lohnzuschlag in der gegenwärtigen Situation, für alle die jetzt ihre eigene Gesundheit für die anderer riskieren. Zudem bringen Jogerst-Ratzka und seine Mitstreiter ein Einstiegsgehalt von 4.000 Euro in der Pflege in die Diskussion, statt der „lächerlichen Vorschläge“ knapp über Mindestlohn.
„Handeln Sie jetzt, Herr Spahn“, heißt es in der persönlich an den Bundesgesundheitsminister adressierten Petition, die stellenweise auch lobt, dass dieser die Kritik offensichtlich zur Kenntnis nehme „und sich zumindest partiell daran orientiere“. Andererseits reagieren die Petenten mit beißendem Sarkasmus auf die Anweisung der Behörden, auch verrentete Ärzte ins Geschehen einzubeziehen. „Wir freuen uns jetzt schon auf die Hochrisikogruppe an der Beatmungsmaschine hoch infektiöser Patienten. Eine unglaublich aussichtsreiche, durchdachte Maßnahme!“
Eine Reaktion Spahns auf den offenen Brief habe es bisher nicht gegeben, bedauert Jogerst-Ratzka im Gespräch mit der Rechtsdepesche. Doch die Situation der Beschäftigten in der Pflege sei dramatisch. „Sie stehen unter einer enormen physischen und psychischen Belastung. Viele Mitarbeiter leben in Angst, sich und ihre Familien zu infizieren.“ Das sei insgesamt ein unhaltbarer Zustand, der aufhören müsse, sonst „werden die Beatmungsmaschinen bald nutzlos herumstehen, weil niemand mehr da sein wird, der sie bedient“, heißt es warnend in der Petition. Er selbst habe Sorge um derartige Zustände: „Ich möchte nicht in die Situation kommen, wo wir Triage machen müssen und die Entscheidung dann lautet, einen 75-jährigen mit schwerer Lungenentzündung nur noch palliativ zu behandeln, um die Beatmungsmaschine für jemand Jüngeres freizumachen“. Diesen Worst Case gelte es jetzt gemeinsam zu vermeiden.