Um mehr Informationen über die tatsächliche Verbreitung von COVID-19 in der Bevölkerung zu bekommen, hat das Robert Koch-Institut (RKI) eine Studie in einem früheren Schwerpunkt des Infektionsgeschehens gestartet: In der Gemeinde Kupferzell im baden-württembergischen Hohenlohekreis läuft seit Dienstag, 19.5.2020, eine groß angelegte Untersuchung. Durch diese will man 2.000 Bürger erreichen, rund ein Drittel der Einwohner des Ortes. Die Studie soll dazu beitragen, die Dunkelziffer der Corona-Infektionen besser einschätzen zu können. Außerdem will man herausfinden, welche Personengruppen stärker von Corona betroffen sind und welcher Teil der Infektionen asymptomatisch verläuft. Drei Wochen lang werden hierzu Tests gesammelt. Erste Ergebnisse will das RKI in sechs Wochen vorstellen.
Ein Konzert startete Infektionsgeschehen im Ort
Das RKI, das zwei Studienzentren in der Gemeinde eingerichtet hat und auch einen Untersuchungs-Bus durch den Ort schickt, hat die 2.000 möglichen Teilnehmer repräsentativ ausgewählt. Allerdings nehmen nur Einwohner über 18 Jahren an der freiwilligen Untersuchung teil. Wer sich bereit erklärt mitzumachen, füllt einen Fragebogen aus und lässt sich eine Blutprobe sowie einen Rachen-Abstrich entnehmen. Getestet wird sowohl auf das aktuelle Vorhandensein von SARS-CoV‑2 als auch auf Antikörper gegen das Virus.
Der 6.000-Einwohner-Ort Kupferzell, im ländlich geprägten Nordosten Baden-Württembergs etwa auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Würzburg gelegen, gilt als einer der prominenten Corona-Hotspots Deutschlands. Bei einem Kirchenkonzert am 1. März hatten sich dort zahlreiche Menschen angesteckt; in den Folgewochen bekamen 112 Bewohner des Ortes ein positives Testergebnis. Dies trieb auch die Infektionszahlen von Baden-Württemberg insgesamt im gesamtdeutschen Vergleich über lange Zeit deutlich nach oben. „Die Bevölkerung ist sehr positiv gestimmt und steht voll hinter der Studie“, zitiert die Badische Zeitung den Bürgermeister Christoph Spieles, der sich als einer der Ersten dem Test unterzog.
„Heinsberg-Studie“ lieferte erste Hinweise zu unerkanntem Infektionsgeschehen
Die RKI-Studie gilt als zweite groß angelegte Untersuchung, um dem Phänomen der unerkannten Infektionen auf den Grund zu gehen. Bereits Anfang Mai hatte Professor Hendrik Streeck von der Universität Bonn seine Studie aus der Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg vorgestellt. Der 12.000-Einwohner-Ort an der niederländischen Grenze war eine der ganz frühen Ausgangspunkte von Corona in Deutschland. Dort war es auf einer Karnevalssitzung am 15. Februar, die ein unwissentlich infiziertes Paar besucht hatte, zu massenhaften Übertragungen gekommen. Der Kreis Heinsberg wurde in den Folgewochen zum ersten deutschen Epizentrum der Pandemie.
Für die sogenannte „Heinsberg-Studie“ hatte das Team von Streeck 919 Menschen aus 405 Haushalten getestet. Laut der Ergebnisse trugen 138, und damit rund 15 Prozent aller Probanden Virus-Antikörper in sich. Demnach hätte es im Ort fünfmal mehr Infektionen gegeben, als es offiziell dokumentiert war. 22 Prozent der positiv auf Antikörper getesteten Personen hätten keinerlei Symptome einer Erkrankung wahrgenommen.
Ebenfalls interessant war, dass ein Großteil der zusammen mit einem Infizierten in einem Haushalt lebenden Personen sich dennoch nicht ansteckte. Die Wissenschaftler setzten die sieben in Gangelt an Corona Verstorbenen zur hochgerechneten Gesamtzahl der Infektionsfälle in Beziehung, und kamen so auf eine Letalitätsrate von nur 0,37 Prozent. Medienberichten zufolge geriet die Heinsberg-Studie in Kritik, unter anderem weil mehrere Wissenschaftler der Studie eine grob fehlerhafte Berechnung vorwarfen. Die Autoren wiesen die Kritik jedoch zurück.
Quelle: Badische Zeitung, SWR, Südwest-Presse