Säugling bekam Digitalis in achtfach höherer Dosis
Der Säugling sollte morgens und abends jeweils einen Tropfen eines Medika­ments mit dem Wirkstoff Digita­lis erhal­ten, bekam jedoch tatsäch­lich die achtfa­che Wirkmenge. Bild: Gert Vrey | Dreamstime.com

Der hier bespro­chene Fall wurde in der Berufungs­in­stanz durch ein Oberlan­des­ge­richt entschie­den. Wegen eines angebo­re­nen Herzfeh­lers verord­ne­ten die Ärzte einer Kinder­kli­nik einem Säugling ein Medika­ments mit dem Wirkstoff Digita­lis. Nach dem Entlass­brief an den weiter­be­treu­en­den Kinder­arzt sollte der Säugling morgens und abends jeweils einen Tropfen des Medika­ments erhal­ten.

Eine Mitar­bei­te­rin des Kinder­arz­tes erstellte darauf­hin ein Rezept über das Medika­ment in Tablet­ten­form statt der vorge­se­he­nen niedrig dosier­ten Tropfen. Der Kinder­arzt unter­zeich­nete das Rezept, ohne den Fehler zu bemer­ken.

Sachver­halt

Eine Tablette des Medika­ments enthält die achtfa­che Menge Digita­lis gegen­über einem Tropfen der Medika­men­ten­lö­sung, weshalb die Medika­tion in Tablet­ten­form auch nur für Erwach­sene und Heran­wach­sende bestimmt ist.

Auch der ausge­bende Apothe­ker kontrol­lierte die Verord­nung nicht. Aufgrund der Angaben auf dem Rezept und der Mittei­lung der Mutter war ihm aber bekannt, dass das Medika­ment für einen Säugling bestimmt war.

In der Folge erhielt der Säugling jeweils morgens und abends eine Tablette des Medika­ments. Durch die Überdo­sie­rung der Digita­lis erlitt der Säugling einen Herzstill­stand und musste für einen Zeitraum von 50 Minuten reani­miert werden. Zwar konnte das Leben des Kindes geret­tet werden, jedoch verblie­ben wegen einer Sauer­stoff­un­ter­ver­sor­gung schwerste Hirnschä­den, die zu einer dauer­haf­ten körper­li­chen und geisti­gen Behin­de­rung führten.

Haftung

Sowohl das Land- als auch das Oberlan­des­ge­richt bejah­ten neben der Haftung des Kinder­arz­tes auch eine Haftung des Apothe­kers. Er hätte das Medika­ment in Tablet­ten­form nicht zur Behand­lung eines Säuglings abgeben dürfen. Jedem Apothe­ker müsse insoweit bekannt sein, dass dieses poten­zi­ell gefähr­li­che Herzme­di­ka­ment in der Darrei­chungs­form einer Tablette nur für Erwach­sene und keines­falls für Klein­kin­der oder Säuglinge bestimmt sei.

Durch die unkri­ti­sche Befol­gung der ärztli­chen Verord­nung habe der Apothe­ker daher schuld­haft seine aus dem Kaufver­trag folgen­den vertrag­li­chen Neben­pflich­ten verletzt. Einen Apothe­ker träfen neben den allge­mei­nen Warn- und Hinweis­pflich­ten auch berufs­recht­li­che Beratungs­pflich­ten hinsicht­lich der von ihm abgege­be­nen Medika­mente. Ein blindes Vertrauen auf die Verord­nung des Arztes dürfe es daher nicht geben. Der Apothe­ker müsse sich vielmehr eigene Gedan­ken über die Richtig­keit und Sinnhaf­tig­keit einer Verord­nung machen.

Der Gesamt­scha­den beläuft sich im vorlie­gen­den Fall auf weit über eine Million Euro, welcher antei­lig von dem Apothe­ker bzw. dessen Haftpflicht­ver­si­che­rer zu überneh­men ist.

Fazit

Dieser Fall zeigt, dass auch für den Apothe­ker aufgrund eigener Beratungs- und Prüfungs­pflich­ten erheb­li­che Haftungs­ri­si­ken bestehen. Umso wichti­ger ist auch für Apothe­ker der Abschluss einer ausrei­chen­den Haftpflicht­ver­si­che­rung mit entspre­chend hohen Deckungs­sum­men.

Dieser Beitrag erschien in seiner ursprüng­li­chen From erstma­lig im MedLet­ter April 2016.

Quelle: RA Tanja Mannschatz, HDI Versi­che­rung AG, Köln