Der hier besprochene Fall wurde in der Berufungsinstanz durch ein Oberlandesgericht entschieden. Wegen eines angeborenen Herzfehlers verordneten die Ärzte einer Kinderklinik einem Säugling ein Medikaments mit dem Wirkstoff Digitalis. Nach dem Entlassbrief an den weiterbetreuenden Kinderarzt sollte der Säugling morgens und abends jeweils einen Tropfen des Medikaments erhalten.
Eine Mitarbeiterin des Kinderarztes erstellte daraufhin ein Rezept über das Medikament in Tablettenform statt der vorgesehenen niedrig dosierten Tropfen. Der Kinderarzt unterzeichnete das Rezept, ohne den Fehler zu bemerken.
Sachverhalt
Eine Tablette des Medikaments enthält die achtfache Menge Digitalis gegenüber einem Tropfen der Medikamentenlösung, weshalb die Medikation in Tablettenform auch nur für Erwachsene und Heranwachsende bestimmt ist.
Auch der ausgebende Apotheker kontrollierte die Verordnung nicht. Aufgrund der Angaben auf dem Rezept und der Mitteilung der Mutter war ihm aber bekannt, dass das Medikament für einen Säugling bestimmt war.
In der Folge erhielt der Säugling jeweils morgens und abends eine Tablette des Medikaments. Durch die Überdosierung der Digitalis erlitt der Säugling einen Herzstillstand und musste für einen Zeitraum von 50 Minuten reanimiert werden. Zwar konnte das Leben des Kindes gerettet werden, jedoch verblieben wegen einer Sauerstoffunterversorgung schwerste Hirnschäden, die zu einer dauerhaften körperlichen und geistigen Behinderung führten.
Haftung
Sowohl das Land- als auch das Oberlandesgericht bejahten neben der Haftung des Kinderarztes auch eine Haftung des Apothekers. Er hätte das Medikament in Tablettenform nicht zur Behandlung eines Säuglings abgeben dürfen. Jedem Apotheker müsse insoweit bekannt sein, dass dieses potenziell gefährliche Herzmedikament in der Darreichungsform einer Tablette nur für Erwachsene und keinesfalls für Kleinkinder oder Säuglinge bestimmt sei.
Durch die unkritische Befolgung der ärztlichen Verordnung habe der Apotheker daher schuldhaft seine aus dem Kaufvertrag folgenden vertraglichen Nebenpflichten verletzt. Einen Apotheker träfen neben den allgemeinen Warn- und Hinweispflichten auch berufsrechtliche Beratungspflichten hinsichtlich der von ihm abgegebenen Medikamente. Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes dürfe es daher nicht geben. Der Apotheker müsse sich vielmehr eigene Gedanken über die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit einer Verordnung machen.
Der Gesamtschaden beläuft sich im vorliegenden Fall auf weit über eine Million Euro, welcher anteilig von dem Apotheker bzw. dessen Haftpflichtversicherer zu übernehmen ist.
Fazit
Dieser Fall zeigt, dass auch für den Apotheker aufgrund eigener Beratungs- und Prüfungspflichten erhebliche Haftungsrisiken bestehen. Umso wichtiger ist auch für Apotheker der Abschluss einer ausreichenden Haftpflichtversicherung mit entsprechend hohen Deckungssummen.
Dieser Beitrag erschien in seiner ursprünglichen From erstmalig im MedLetter April 2016.
Quelle: RA Tanja Mannschatz, HDI Versicherung AG, Köln