Neben den zuvor genannten Ursachen chronischer Wunden, existiert noch eine Vielzahl seltenerer Erkrankungen, die zu Wundheilungsstörungen führen können (siehe nachfolgende Auflistung). Im Folgenden werden einige dieser Krankheitsbilder mit den wichtigsten Aspekten der spezifischen Klinik, Diagnostik und Therapie vorgestellt.
Seltene Ursachen, die chronische Wunden verursachen können
- Vaskulitiden, z. B. kutane leukozytoklastische Vaskulitis, Panarteriitis nodosa
- Vaskulopathien, z. B. Livedovaskulopathie, Necrobiosis lipoidica
- Neutrophile Dermatosen, z. B. Pyoderma gangraenosum, Morbus Behçet
- Neoplastische Erkrankungen, z. B. Plattenepithel‑, Basalzell-Karzinom
- Infektionskrankheiten, z. B. Leishmaniose, Buruli-Ulcus
- Hämatologische Erkrankungen, z. B. Sichelzellanämie, Gerinnungsstörungen
- Genetische Erkrankungen, z. B. Klinefelter-Syndrom, Progeroid-Syndrome
- Medikamente, z. B. Hydroxyura, Cumarine
Vaskulitiden
Als Vaskulitiden wird eine heterogene Gruppe verschiedener Erkrankungen bezeichnet, die zu einer ausgeprägten Inflammation mit anschließender Okklusion und Schädigung von Gefäßen führen. Hiervon können potenziell alle Gefäße in jedem Organ des Körpers betroffen sein. Die Einteilung der Vaskulitiden erfolgt heute meist entsprechend der 2012 überarbeiteten Chapel Hill Konsensus-Konferenz.
Die kutane leukozytoklastische Angiitis ist die häufigste Form der Vaskulitis, die Wunden an der Haut verursacht. Die hier zugrundeliegenden Ursachen können Infektionskrankheiten, Medikamente oder auch Neoplasien sein. Klinisch typisch ist das Auftreten einer initial palpablen Purpura, die zu Nekrosen und dann ggf. zu sehr schmerzhaften, multiplen Ulzerationen führen können. Die Prädilektionsstellen dieser oft beidseitig auftretenden Hautveränderungen, sind die distalen Unterschenkel und Füße.
Für die Diagnostik und exakte Zuordnung der Vaskulitiden ist die Entnahme einer Biopsie möglichst noch vor Einleitung einer systemischen Therapie unbedingt notwendig. Zusätzlich zu den konventionellen Färbungen, wird meist auch eine direkte Immunfluoreszenzdiagnostik (DIF) empfohlen. Weiterführende Untersuchungen von Blut, Urin etc. sollten für die Organdiagnostik durchgeführt werden. Hierbei sind insbesondere die Nierenparameter zu beachten. Weiterführend kann ggf. auch eine indirekte Immunfluoreszenzdiagnostik (IIF) mit der Bestimmung der Autoantikörper wie beispielsweise ANA, ENA und ANCA erfolgen.
Bei ausgeprägten Befunden sollte eine systemische immunsuppressive Therapie, initial meist mit Glukokortikoiden durchgeführt werden. Insbesondere bei therapierefraktären Befunden können auch Biologika wie der anti-CD-20 Antikörper Rituximab verabreicht werden.
Livedo-Vaskulopathie
Die Livedo-Vaskulopathie entsteht durch thrombotische Verschlüsse von kleinen Hautgefäßen. Bei Erstmanifestation sind viele der typischen Patienten junge Erwachsene ohne familiäre Disposition. Frauen sind deutlich häufiger betroffen. Lokale Triggerfaktoren, die das Auftreten der Livedo-Vaskulopathie begünstigen sind Traumata und andere durchblutungshemmende Mechanismen, die zu einer Thrombenbildung mit konsekutiver kutaner Ischämie („Hautinfarkte“) führen.
Die sehr schmerzhaften Wunden sind initial meist klein, sternförmig und von einem entzündlich-hämorrhagischen Rand umgeben. Die Prädilektionsstellen der oft beidseits auftretenden, sehr schmerzhaften Wunden sind die distalen Unterschenkel und die Fußrücken.
Typischen klinisches Trias der Livedo-Vaskulopathie:
- Livedo racemosa
- Atrophie blanche
- Ulzeration
Die Verdachtsdiagnose sollte histopathologisch durch eine Biopsie, die aus dem Wundrand entnommen wurde, gesichert werden. Zudem wird empfohlen verschiedenen serologische Parameter insbesondere zur Abklärung von Gerinnungsstörungen zu bestimmen.
Die systemische Behandlung der Patienten mit gesicherter Livedo-Vaskulopathie sollte heute meist mit einer rheologischen Therapie erfolgen. Hier kommen niedermolekulares Heparin oder direkte orale Antikoagulantien (DOAK) wie beispielsweise Rivaroxaban zum Einsatz.
Pyoderma gangraenosum
Bei dem Pyoderma gangraenosum handlet es sich um eine seltene ulzerative neutrophile Dermatose unklarer Ätiologie. Anamnestisch wird von den betroffenen Patienten häufig das Auftreten nach (kleineren) Traumata beschrieben, was auch als Pathergie-Phänomen bezeichnet wird. Es entstehen dann äußerst schmerzhafte, rasch größenprogrediente Wunden mit dunkel-lividen, teilweise unterminierten Rändern.
Früher gab es die gängige Lehrmeinung, dass es sich bei einem Pyoderma gangraenosum um eine Ausschlussdiagnose handelt. Das ist heute nicht mehr richtig. Mit dem validierten PARACELSUS-Score kann die Diagnose eines Pyoderma gangraenosums gesichert werden (Tabelle 1).
Tabelle 1
PARACELSUS-Score für die Diagnostik des Pyoderma gangraenosum. Zu beachten ist, dass einige der Aspekte über die Anamnese und/oder klinische Fotos erhoben werden sollten.
Bewertung: Punkte ≥ 10 = Pyoderma gangraenosum sehr wahrscheinlich.
Punkte < 10 = Pyoderma gangraenosum sehr unwahrscheinlich.
Klinischer Aspekt | Punkte | Kategorie |
Progredienter Krankheitsverlauf | 3 | Hauptkriterien |
Ausschluss relevanter Differentialdiagnosen | 3 | |
Rötlich-livider Wundrand | 3 | |
Ansprechen auf Immunsuppressiva | 2 | Nebenkriterien |
Charakteristische, bizarre Form der Ulzeration | 2 | |
Extremer Schmerz, VAS > 4 | 2 | |
Lokales Pathergie Phänomen | 2 | |
Suppurative Inflammation in der Histopathologie | 1 | Zusatzkriterien |
Unterminierter Randsaum | 1 | |
Progredienter Krankheitsverlauf | 1 |
Die Prädilektionsstellen des Pyoderma gangraenosum sind die Streckseiten der Unterschenkel. Als potentiell relevante Komorbiditäten wurden (hämatologische) Neoplasien, Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis, Niereninsuffizienz und chronisch entzündliche Darmerkrankungen beschrieben.
Der Stellenwert der histopathologischen Untersuchung einer Biopsie ist umstritten, da die Befunde oft nicht spezifisch sind. Dennoch können hierdurch meist relevante Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden. Daher wird heute empfohlen, möglichst frühzeitig eine Biopsie zu entnehmen.
Der Goldstandard der Therapie ist die systemische Gabe von Glukokortikoide. Die ansonsten besten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus RCTs liegen zu systemischen Therapien mit Ciclosporin oder dem TNFα-Inhibitor Infliximab vor.
Necrobiosis lipoidica
Die Necrobiosis lipoidica ist eine chronische, entzündliche, granulomatöse Hauterkrankung, die bei etwa der Hälfte der Patienten mit Diabetes mellitus assoziiert ist.
Klinisch zeigen sich initial gelblich-braune Plaques mit erythematösem Randsaum. Im weiteren Verlauf kommt es zentral zu einer Größenzunahme mit Atrophie; Teleangiektasien werden sichtbar. Bei etwa einem Drittel der betroffenen Patienten kann es im weiteren Verlauf der Erkrankung zu sehr schmerzhaften Wunden kommen. Die Prädilektionsstellen sind die Streckseiten der Unterschenkel und die Fußrücken. Die Diagnose kann durch eine Biopsie oft eindeutig gesichert werden.
Therapeutisch werden meist topische und/oder systemische Glukokortikoide sowie UV-Lichttherapien eingesetzt. Bei schweren therapierefraktären Verläufen können auch Fumarate, Ciclosporin oder Biologika wie z.B. TNFα-Inhibitoren eingesetzt werden.
Kalziphylaxie
Die Kalziphylaxie ist eine potentiell letal verlaufende systemische Erkrankung, die bei >90% der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz und Hämodialyse assoziiert ist. Durch eine Störung des Kalziumphosphat-Stoffwechsels kommt es u.a. zu Gefäßverkalkungen und thrombotische Gefäßverschlüsse.
Klinisch typisch sind Nekrosen und extrem schmerzhafte Ulzerationen, die von lividen Erythemen umgeben sind. Prädilektionsstellen sind die unteren Extremitäten. Die Diagnose sollte unbedingt histopathologisch gesichert werden. Serologisch sollte u.a. das Kalziumphosphatprodukt bestimmt werden.
Für die Kalziphylaxie gibt es keine Standardtherapie. Viele Therapiekonzepte basieren auf einer intensivierten Dialyse und der systemischen Gabe von Natriumthiosulfat oder Bisphosphonate. Zudem sollten begünstigende Faktoren wie die Einnahme von Vitamin K Antagonisten wie z.B. Phenprocoumone (Marcumar®) vermieden werden.
Neoplasien
Plattenepithel- oder Basalzell-Karzinome sowie andere kutane Neoplasien oder Metastasen sind eine seltene, aber sehr wichtige Differentialdiagnose chronischer Wunden.
Plattenepithelkarzinome können nicht nur die primäre Ursache einer chronischen Wunde sein, sondern sich auch sekundär Jahre oder Jahrzehnte auf dem Boden eines chronischen Entzündungsprozesses wie beispielsweise bei Ulcus cruris venosum oder auf Verbrennungsnarben entwickeln. In dieser Konstellation wird die chronische Wunde dann auch als Marjolin-Ulcus bezeichnet.
Klinisch typisch kommt es oft zu knotigen, eventuell hyperkeratotischen Tumoren oder langsam fortschreitenden, wenig schmerzhaften Ulzerationen. Die Prädilektionsstellen epithelialer Neoplasien sind Bereiche mit chronischer Lichtexposition wie beispielsweise die Unterschenkel. Die Diagnose sollte histopathologisch gesichert werden. Es kommt aber immer wieder vor, dass Biopsien keinen Anhalt für eine kutane Neoplasie zeigen. Hier sollten dann bei entsprechenden klinischen Befunden ggf. wiederholt Biopsien aus verschiedenen Bereichen entnommen werden. Die Therapie der Wahl ist meist die vollständige Exzision.
Fazit für die Praxis
Bei vielen Patienten mit chronischen Wunden werden heute die pathophysiologisch relevanten Ursachen unzureichend diagnostiziert und die Wundbehandlung somit auf das Symptom Wunde reduziert. Es gilt hier aber der Leitspruch:
„Treat the whole patient and not just the hole in the patient“
(Behandle den ganzen Patienten und nicht nur das „Loch“ im Patienten)
Somit sollte immer versucht werden, für jede Wunde die pathophysiologisch relevanten Faktoren zu identifizieren. Eine erfolgreiche Behandlung der Patienten basiert auf einer an den Ursachen ansetzenden kausalen Therapie. Insbesondere bei klinisch atypischen Wunden und/oder therapierefraktären Verläufen, sollte auch an seltenere Ursachen der Wunden gedacht werden. Die diagnostische Abklärung erfordert ebenso wie die oft komplexe Therapie dann eine gute interdisziplinäre und interprofessionelle Kooperation.
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