Mehrweg
Nach einigen Tagen kontrol­liert das Labor Hohen­stein, ob und wie viele Keime gewach­sen sind Bild: Hohen­stein

Mehrweg-OP-Texti­lien wie Opera­ti­ons­män­tel und ‑hosen, oder OP-Abdeck­tü­cher haben über die Nutzungs­dauer betrach­tet klare ökolo­gi­sche und auch ökono­mi­sche Vorteile gegen­über Einweg-Materia­lien. Des Weite­ren bieten sie einen spürbar höheren Komfort für die Träge­rin­nen und Träger.

Dennoch gibt es nach wie vor Vorbe­halte gegen­über der Wieder­auf­be­rei­tung und zykli­schen Mehrfach­nut­zung solcher Hightech-Texti­lien. Immer noch verbrei­tet ist unter anderem die Annahme, dass es sich dabei um fusselnde Baumwoll­tex­ti­lien handelt, die hygie­nisch bedenk­lich sind – mitnich­ten. Es handelt sich dabei um Medizin­pro­dukte, die ebenso wie alle anderen Medizin­pro­dukte nach strengs­ten Vorga­ben geprüft sind.

Um dies einmal zu verdeut­li­chen, verfol­gen wir in diesem Artikel einen OP-Mantel auf seinem Weg durch die verschie­de­nen Labor­prü­fun­gen, die jedes dieser Produkte erfolg­reich absol­vie­ren muss, bevor sie als Medizin­pro­dukt in der EU vermark­tet werden dürfen. Die hierfür heran­ge­zo­ge­nen Prüfnor­men sind im Wesent­li­chen die DIN EN ISO 13795 und die DIN EN ISO 10993-Reihe.

1. Ankunft im Labor

Bönnig­heim, Hohen­stein Labora­to­ries an einem Nachmit­tag im Mai. Unser OP-Mantel kommt im Logis­tik-Zentrum an und wird bereits hier mit einer eindeu­ti­gen Auftrags­num­mer und entspre­chen­dem Barcode verse­hen. So gelabelt findet er umgehend den Weg ins richtige Prüfla­bor.

Im Labor wird dann überprüft, ob der Kunde genug Material geschickt hat, mit dem Material alles in Ordnung ist (Sicht­prü­fung auf Schäden) und dann noch Fotos zur eindeu­ti­gen Produkt­zu­ord­nung gemacht. Ein Rückstell­mus­ter, das bei Medizin­pro­duk­ten dann 10 Jahre aufbe­wahrt werden muss, wird entnom­men und archi­viert. Jetzt kann es losge­hen.

2. Prüfung auf Barrie­re­wir­kung gegen­über Flüssig­kei­ten und Infek­ti­ons­er­re­ger

  • Mikro­bio­lo­gi­sche Reinheit: („Biobur­den“): Zualler­erst geht unser Prüftex­til baden. Das Muster wird auf eine vorge­ge­bene Größe zugeschnit­ten und in einer Kochsalz­lö­sung geschüt­telt. Eventu­ell produk­ti­ons­sei­tig vorhan­dene Keime gehen so in die Lösung über. Die Lösung wird auf Nährbo­den­plat­ten gegeben und bebrü­tet. Nach einigen Tagen kontrol­liert man, ob und wie viele Keime gewach­sen sind. Da die OP-Texti­lien in der Anwen­dung vor dem Einsatz nochmal autokla­viert werden, dürfen hier geringe Mengen an Keimen vorhan­den sein, aber eben nicht zu viele!
  • Flüssig­keits­pe­ne­tra­tion: In dieser physi­ka­li­schen Prüfung wird geschaut, ab welchem Wasser­druck Flüssig­keit durch das Material dringt. Soll der Kittel später mit hoher Leistungs­stufe im kriti­schen Bereich einge­setzt werden, muss das Material mindes­tens 100 cm Wasser­säule aushal­ten.
  • Keimpene­tra­tion nass: Bakte­rien der Art Staphy­lo­coc­cus aureus werden in einem spezi­el­len Prüfge­rät aktiv auf dem Hightech-Textil verrie­ben. Dabei werden alle Keime „aufge­fan­gen“, die das Muster durch­drin­gen konnten. Die zugrun­de­lie­gende Prüfnorm DIN EN ISO 22610 kennt hier kein Pardon – kein einzi­ger Keim darf das Textil passie­ren.
  • Keimpene­tra­tion trocken: Auch hier wird unser OP-Mantel heraus­ge­for­dert, diesmal im trocke­nen Zustand. Feines Talcum­pul­ver versetzt mit Sporen der Art Bacil­lus atrophaeus wird in definier­ter Menge auf das Textil gegeben und in einer spezi­el­len Vorrich­tung stark geschüt­telt. Auch hier werden alle Sporen, die das Material durch­drin­gen, aufge­fan­gen und analy­siert.
  • Parti­kel­frei­set­zung: Niemand mag Staub und Fussel, erst recht nicht im OP. Deshalb würde ein „fusseln­der“ Baumwoll­kit­tel spätes­tens hier aussor­tiert. Die Prüftex­ti­lien werden nämlich in einer Vorrich­tung heftig gestaucht und gedreht („Linting“). Die während dieser massi­ven mecha­ni­schen Belas­tung freige­setz­ten Parti­kel werden durch­gän­gig aufge­fan­gen und hinsicht­lich ihrer Größen­ver­tei­lung analy­siert. Nur sehr geringe Parti­kel­men­gen sind hier erlaubt.
  • Berst­druck: Bei dieser Prüfung wird geschaut, ab welcher Belas­tung, bzw. welchem Druck das Material bricht oder beein­träch­tigt wird, wie zum Beispiel durch einen Ellen­bo­gen, der gegen den Mantel drückt. Die Prüfung erfolgt jeweils im trocke­nen und nassen Zustand.
  • Höchst­zug­kraft: Ab welcher Zugkraft reißt das Material? Mit dieser Frage beschäf­tigt sich die Prüfung der Höchst­zug­kraft bzw. Höchst­zug­kraft­deh­nung. Auch hier wird das Muster trocken und nass, sowie längs und quer bis zur Reißgrenze geprüft.

3. Prüfung auf Biokom­pa­ti­bi­li­tät

Wie bei jedem Medizin­pro­dukt muss auch bei OP-Texti­lien die Verträg­lich­keit – die Biokom­pa­ti­bi­li­tät – sicher­ge­stellt sein. Je nach Anwen­dungs­sze­na­rio und dem daraus resul­tie­ren­den Risiko­po­ten­zial eines Produkts schlägt die zustän­dige Prüfnorm DIN EN ISO 10993 bestimmte Labor­prü­fun­gen vor. Unser OP-Kittel durch­läuft die drei gängigs­ten und für kurzzei­tig auf gesun­der Haut getra­gene Medizin­pro­dukte empfoh­le­nen Prüfun­gen:

  • Chemi­sche Charak­te­ri­sie­rung (DIN EN ISO 10993–18): Sind in meinem Muster toxische Substan­zen enthal­ten? Das sieht man dem Prüfob­jekt nicht an, deshalb wird jeweils mit einem unpola­ren und einem polaren Lösemit­tel eine Extrak­tion durch­ge­führt. Die dabei freige­setz­ten Stoffe werden mittels Gaschro­ma­to­gra­phie und Massen­spek­tro­sko­pie (GC/MS) analy­siert und identi­fi­ziert. Ob die gefun­den Stoffe gefähr­lich sind oder nicht wird mit Hilfe eines Toxiko­lo­gen ermit­telt.
  • Zytoto­xi­zi­tät (DIN EN ISO 10993–5): Sind die extra­hier­ba­ren Stoffe in meinem Muster schäd­lich für die mensch­li­che Haut? Dies kann man mit Hautzel­len in einer Zellkul­tur feststel­len. Man will sehen, ob diese Zellen in ihrem Wachs­tum gehemmt werden, wenn sie mit einem Extrakt, bestehend aus dem Material und künst­li­cher Schweiß­lö­sung zusam­men­ge­bracht werden. Der Schweiß­ex­trakt wird im Hohen­stein-Labor in mehre­ren Verdün­nun­gen auf die Hautzel­len gegeben und über mehrere Tage inkubiert. Die photo­me­tri­sche Auswer­tung am Ende zeigt uns, wieviele der Zellen im Vergleich zu einer Kontrolle abgestor­ben, bzw. im Wachs­tum gehemmt sind. Höchs­tens 30% Wachs­tums­hem­mung sind erlaubt, ansons­ten fällt das Muster durch.
  • Prüfung auf Irrita­tion am künst­li­chen Hautmo­dell (DIN EN ISO 10993–23): Um eine mögli­che Hautir­ri­ta­tion noch näher an der Reali­tät abzubil­den, kann man Extrakte der Prüfmus­ter auf einer künst­lich gezüch­te­ten Haut testen. Hierfür wird unser OP-Kittel zunächst in einem öligen, sowie einem wässri­gen Lösemit­tel gebadet und der daraus entste­hende Extrakt dann auf die Labor-Haut gegeben. Mindes­tens 50% der Hautzel­len müssen intakt bleiben, um diese Prüfung zu bestehen.
  • Alle bislang durch­ge­führ­ten Prüfun­gen durch­lebte unser OP-Mantel im Neuzu­stand. Der eigent­li­che Vorteil von Mehrweg­tex­ti­lien liegt aber klar in ihrer Wieder­ver­wert­bar­keit. Und auch hier kennen die Prüfnor­men kein Pardon. Alle bisher beschrie­be­nen Prüfun­gen muss unser OP-Kittel erneut durch­lau­fen und auch bestehen – nachdem er 25, 50, 80 oder sogar 100-mal indus­tri­ell gewaschen und getrock­net wurde! Das hängt davon ab, wieviele Wasch-Trocken­zy­klen der Herstel­ler nachher erlaubt.

4. Jetzt geht’s rund – die Wieder­auf­be­rei­tung

Um das Verhal­ten von Texti­lien aller Art beim Waschen und Trock­nen beurtei­len zu können, unter­hält Hohen­stein ein profes­sio­nel­les Wasch­tech­ni­kum, in dem jedes gewünschte Wasch- und Trock­nungs­ver­fah­ren einge­rich­tet und angewen­det werden kann.

Da bei den Materi­al­prü­fun­gen generell und bei Medizin­pro­duk­ten im Beson­de­ren die Repro­du­zier­bar­keit der Ergeb­nisse eine entschei­dende Rolle spielt, müssen Maschi­nen und Verfah­ren unter genorm­ten Bedin­gun­gen laufen. Zur Simula­tion von gewerb­li­chen Wieder­auf­be­rei­tungs­pro­zes­sen kommt meist die Norm „DIN EN ISO 15797 Texti­lien – Indus­tri­elle Wasch- und Finish­ver­fah­ren zur Prüfung von Arbeits­klei­dung“ zur Anwen­dung, auch für unseren OP-Kittel.

In dieser Norm sind vier unter­schied­li­che Wasch­ver­fah­ren und zwei Trock­nungs­ver­fah­ren (Tumbler- und Finis­her­trock­nung) definiert, nach denen die Texti­lien gewaschen und getrock­net werden müssen.

Für die Aufbe­rei­tung von Mehrweg-OP-Texti­lien können jedoch nicht alle in der Norm genann­ten Verfah­ren zur Anwen­dung kommen. Da laut Vorga­ben des Robert-Koch-Insti­tuts (RKI) die Wäsche für den Einsatz im Kranken­haus frei von Krank­heits­er­re­gern und keimarm sein muss, können ledig­lich chemo­ther­mi­sche Desin­fek­ti­ons­wasch­ver­fah­ren einge­setzt werden.

Hierbei wird die desin­fi­zie­rende Wirkung meist durch den Zusatz von Peres­sig­säure erreicht. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die vorge­schrie­bene Konzen­tra­tion des Desin­fek­ti­ons- sowie des Wasch­mit­tels, das Flotten­ver­hält­nis und die Tempe­ra­tur, während dem gesam­ten Wasch­pro­zess einge­hal­ten werden.

Die Verfah­rens­pa­ra­me­ter im Aufbe­rei­tungs­pro­zess (z.B. pH-Wert und Tempe­ra­tur) müssen also konti­nu­ier­lich überwacht werden; in Hohen­stein zeich­net ein Compu­ter die Daten daher konti­nu­ier­lich auf. OP-Abdeck­tü­cher und OP-Beklei­dung muss nach der desin­fi­zie­ren­den Wasch­be­hand­lung zusätz­lich noch steri­li­siert werden, bevor sie wieder zum Einsatz kommen dürfen.

Am Ende verlei­hen die Hohen­stein-Exper­ten unserem OP-Kittel den grünen Haken. Im ausführ­li­chen Prüfbe­richt sind alle durch­ge­führ­ten Messun­gen und die zugehö­ri­gen Ergeb­nisse aufge­führt. Das Produkt hat den Prüfpar­cours erfolg­reich absol­viert. Das schaf­fen nur echte Hightech-Produkte!

Nadja Karl, Dr. Iris Wurzbach, Hohen­stein Labora­to­ries GmbH & Co. KG