Das Thema Organspende ist in Deutschland seit Jahren umstritten. Immer noch sterben viele Menschen, während sie auf ein Spenderorgan warten – 2022 waren es 743 (Quelle: BZgA).
Gleichzeitig stehen laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 84 Prozent der Deutschen der Organspende positiv gegenüber, allerdings gab es im Jahr 2022 nur 869 Organspenden.
Mit einer Quote von 10,3 Spenderinnen und Spendern auf eine Million Einwohner liegt Deutschland weit hinter anderen europäischen Ländern – in Spanien liegt die Quote beispielsweise bei 46.
Widerspruch statt Zustimmung?
Die sogenannte Widerspruchslösung, ein Vorstoß des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), sollte dieses Problem lösen:[1] Demnach wäre jeder Mensch in Deutschland automatisch Organspender. Wer das nicht möchte, müsste aktiv widersprechen.
Diese Regelung wurde im Januar 2020 im Bundestag abgelehnt, steht jedoch diesen Freitag auf Initiative mehrerer Länder erneut auf der Tagesordnung des Bundesrates.
In anderen Staat längst üblich
Im europäischen Raum ist die Widerspruchslösung längst üblich, zum Beispiel in Kroatien, Belgien, Österreich oder Spanien.
Kritiker weisen darauf hin, dass die in diesen Ländern höhere Anzahl an Spendern andere Gründe hat: Spanien hat in jedem Krankenhaus ein Koordinationsteam, dass sich um Organspenden kümmert – in Deutschland ist die Entnahme dagegen nur in bestimmten Kliniken möglich. Außerdem dürfen Spenderorgane bereits nach dem Herzstillstand entnommen werden. Eine Einführung der Widerspruchslösung würde nach Ansicht der Gegner also nicht notwendigerweise zu einem Anstieg der Spenderzahlen führen.
Widerspruchslösung: Dürfen Menschen zur Entscheidung gezwungen werden?
Der eklatante Widerspruch zwischen der Tatsache, dass 84 Prozent aller Deutschen die Organspende positiv sehen, und der äußerst geringen Anzahl tatsächlicher Spenden deutet darauf hin, dass Menschen sich mit diesem Thema nicht aktiv beschäftigen – ob aus Desinteresse oder tatsächlicher Ablehnung. Aber dürfen sie deshalb zu dieser Entscheidung gezwungen werden?
Oder anders gefragt: Wiegt das Recht eines schwer erkrankten Menschen auf ein Spenderorgan, dass ihm das Weiterleben ermöglicht, höher als das Selbstbestimmungsrecht potenzieller Spender? Oder ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit gefährdet, wenn man der Möglichkeit einer Organentnahme aktiv widersprechen muss?
Diese Frage war bereits 1999 Gegenstand mehrerer Verfassungsbeschwerden.[2] Die damals gültige erweiterte Zustimmungslösung räumte die Möglichkeit ein, dass nach dem Hirntod eines Menschen dessen Angehörige einer Organentnahme zustimmen, wenn eine entsprechende Erklärung des Verstorbenen fehlt. Die Beschwerdeführer hatten argumentiert, diese Regelung zwinge die Bürger de facto zur Abgabe einer Erklärung und stelle somit eine verfassungswidrige Nötigung dar.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Beschwerden abgewiesen: Da die Möglichkeit zum Widerspruch bestünde, hätten es die Beschwerdeführer „selbst in der Hand, den befürchteten Grundrechtsverletzungen vorzubeugen.“
Diese Entscheidung spricht nach einer Stellungnahme des Nationalen Ethikrates (inzwischen Deutscher Ethikrat) von 2007 für die Verfassungskonformität der Widerspruchslösung, „sofern sichergestellt ist, dass die Bevölkerung hinreichend über die Folgen eines unterlassenen Widerspruchs informiert ist.“
Der mit der Widerspruchsregelung verbundene Eingriff in die körperliche Integrität des Verstorbenen sei durch die höherwertigen Rechtsgüter der Erhaltung des Lebens und der Gesundheit von Patienten gerechtfertigt.
Ist die Widerspruchslösung moralisch zwingend?
Neben verfassungsrechtlichen Abwägungen spielt auch das Reziprozitätsprinzip eine Rolle: Da Deutschland dem Eurotransplant-System angeschlossen ist, können Menschen hier Spenderorgane erhalten, die aus Ländern stammen, in denen die Widerspruchlösung bereits gilt. Es erscheint nicht unbedingt fair, diesen Austausch weiterhin zu ungleichen Bedingungen laufen zu lassen.
Eine Frage, die man stellen könnte, wäre auch, ob Menschen, die die Widerspruchslösung aufgrund von unbestimmten Ängsten oder religiösen Überzeugungen ablehnen, ein Spenderorgan für sich selbst zurückweisen würden. In der Debatte 2020 hatte auch Karl Lauterbach (SPD), damals noch Abgeordneter, argumentiert: „Das was man von anderen erwartet, muss man selber auch tun. Alle Beteiligten würden Spenderorgane annehmen. Dann muss man auch bereit sein, zu spenden.“
So oder so: Selbst wenn es die Widerspruchslösung doch noch ins Gesetz schafft, wird Deutschland vermutlich nie an die Spenderzahlen in Spanien herankommen, da die strukturellen Vorraussetzungen in den Kliniken zu unterschiedlich sind. Allerdings könnte die Neuregelung zu einem kulturellen Umdenken beitragen, in dem das Solidaritätsprinzip die Interessen des Einzelnen überwiegt.
Quellen:
- BT-Drucksachen 19/11096, 19/16214
- BVerfG vom 28.1.1999 – 1 BvR 2261/98; BVerfG vom 18.2.1999 – 1 BvR 2261/98