Wundversorgung
Inga Hoffman-Tisch­ner ist Betrei­be­rin eines spezia­li­sier­ten Wundzen­trums für chroni­sche Wunden in Aachen. Bild: Wundma­nage­ment Köln

Prof. Dr. Volker Großkopf: Die HKP-Richt­li­nie und die flankie­ren­den Rahmen­emp­feh­lun­gen gemäß § 132a SGB V haben im Feld der Wundver­sor­gung für sehr viel Unruhe gesorgt. Gerade das zusätz­li­che Quali­fi­ka­ti­ons­kon­zept, das eine Weiter­bil­dungs­ver­pflich­tung für 84 Unter­richts­ein­hei­ten vorsieht, empfin­den viele als bevor­mun­dend und kosten­in­ten­siv. Der Punkt ist insbe­son­dere proble­ma­tisch, weil die Fortbil­dung zu Wundexpert:innen des ICW nur 56 Unter­richts­ein­hei­ten anbie­tet. Dazu kommt noch der jährli­che Nachweis von zehn Zeitstun­den Fortbil­dungs­ver­pflich­tung. Wie siehst du die Maßnah­men als Fachfrau in diesem Gebiet?

Inga Hoffmann-Tisch­ner: Dass es eine neue Regelung gibt, ist erst mal gut. So gibt es Trans­pa­renz bezüg­lich der Quali­fi­ka­tion des Perso­nals, und wir können bundes­ein­heit­lich auf Quali­täts­struk­tu­ren zurück­grei­fen. Über die Stunden­zah­len der zu leisten­den Unter­richts­ein­hei­ten kann man strei­ten. Aber wenn man zum Beispiel auf die spezia­li­sierte Pallia­tiv-Pflege schaut, da sind 160 Stunden Fortbil­dung vorge­se­hen. Da liegen die Hürden also noch höher und die zehn Stunden Fortbil­dung im Jahr habe ich sowieso schon immer einge­plant, von daher hat mich das eigent­lich nicht geschockt.

Großkopf: Dann bist du ein Leucht­turm, der die Dinge schon so gemacht hat, wie sie jetzt gesetz­lich gefor­dert werden. Viele stellen sich aber die Frage, ob diese zusätz­li­chen Quali­fi­ka­tio­nen denn überhaupt nötig waren. Wurden Wunden denn früher, bevor es die neue Quali­täts­in­itia­tive gab, schlech­ter versorgt?

Mehr Quali­tät in der Wundver­sor­gung?

Hoffmann-Tisch­ner: Ein ganz klares „Ja“. In NRW zum Beispiel durfte die Versor­gung eines Dekubi­tus Katego­rie 2 – vor der HKP-Anpas­sung – von Kolle­gen erbracht werden, die die Kranken­kas­sen wenig wertschät­zend „sonstige geeig­nete Pflege­kräfte“ nennt. Diese haben einen dreimo­na­ti­gen Quali­fi­zie­rungs­kurs gemacht und mussten zuerst zwei Jahre Berufs­er­fah­rung in der Pflege haben, später reichte dann ein Jahr. Die Perso­nen hatten dadurch gar keinen Schwer­punkt in der Behand­lungs­pflege, durften diese Leistung aber trotz­dem erbrin­gen.

Doch auch ein Dekubi­tus der Katego­rie 2 braucht den gleichen hygie­ni­schen Rahmen und die gleiche Kranken­be­ob­ach­tung wie beispiels­weise ein Ulcus cruris venosum oder ein Dekubi­tus der Katego­rie 3. Für alle schwer­hei­len­den oder chroni­schen Wunden braucht es deshalb ein umfas­sen­des Wissen, und da kann ich die neue HKP-Anpas­sung nur unter­strei­chen. Letzt­lich wertet das die Pflege auch auf und ist das, was wir Wundexpert:innen uns eigent­lich immer gewünscht haben: Unsere Weiter­bil­dun­gen sollten einen Nutzen haben und anerkannt werden. Von daher kann man die neue Richt­li­nie nur als positiv betrach­ten.

Großkopf: Was in dem Zusam­men­hang von vielen Betrof­fen in der Wundver­sor­gung fast schon als Schock empfun­den wurde, ist die Tatsa­che, dass durch die HKP-Richt­li­nie eine Ausgren­zung vorge­nom­men wird. Um die Leistun­gen heute erbrin­gen zu können, brauchst du entwe­der eine dreijäh­rige Ausbil­dung als Kranken­pfle­ger, eine Ausbil­dung als Gesund­heits­pfle­ger nach dem neuen Pflege­be­ru­fe­ge­setz oder mindes­tens eine dreijäh­rige Alten­pfle­ge­aus­bil­dung. Die auf Länder­ebene bestehende zweijäh­rige Alten­pfle­ge­aus­bil­dung reicht jetzt nicht mehr. Auch medizi­ni­sche Fachan­ge­stellte dürfen die Leistung nicht mehr erbrin­gen. Jetzt fühlen sich genau diese Leute ausge­grenzt und sagen: „wir haben seit Jahrzehn­ten chroni­sche Wunden versorgt und jetzt dürfen wir es nicht mehr“.

Wundver­sor­gung nur mit entspre­chen­der Quali­fi­ka­tion

Hoffmann-Tisch­ner: Dies betrifft auch einzelne Kolle­gen, die ich persön­lich kenne und auch schätze. Man muss es aber auch einmal im Gesamt­kon­text sehen und sich anschauen worüber wir hier eigent­lich reden. Die Wundver­sor­gung ist eine Pflege­vor­be­halts­tä­tig­keit im Pflege­pro­zess. Es geht also nicht um einen norma­len Wundver­band, sondern die Versor­gung und Pflege von Menschen mit chroni­schen Wunden im Rahmen dieses Pflege­pro­zes­ses. Es geht somit auch um Eduka­tion und die Selbst­wirk­sam­keit der Patient:innen und das kann nur eine Pflege­fach­per­son mit entspre­chen­der Quali­fi­ka­tion leisten.

Großkopf: Jetzt betreibst du ja eine spezia­li­sierte Einrich­tung zur Wundver­sor­gung. Ihr sollt nach der neuen Regelung bei der Wundver­sor­gung nur dann einsprin­gen, wenn die Wunde so komplex ist oder solche beson­de­ren hygie­ni­schen Anfor­de­run­gen bedarf, dass eine häusli­che Pflege der ambulan­ten Dienste nicht ausreicht. Dies erfor­dert dann eine ärztli­che Verord­nung. Wie sieht es mit den immobi­len chroni­schen Wundpatient:innen aus? Kommen die also tatsäch­lich immer zu euch oder geht ihr auch mal in die Häuslich­keit der Patient:innen?

„Wundzen­tren und Pflege­dienste müssen zusam­men­ar­bei­ten“

Hoffmann-Tisch­ner: Nein wir fahren nicht zu den Patient:innen. Viele werden von Angehö­ri­gen gebracht, andere haben einen Taxischein, den sie nutzen. Andere verbin­den das mit dem Einkau­fen. Die Patient:innen sind also sehr kreativ, wie sie zu uns kommen und wir müssen da gar nichts mitor­ga­ni­sie­ren. Es ist nämlich wichtig, dass die Menschen zu uns kommen: Es zeigt einmal die Adhärenz aber auch die Selbst­wirk­sam­keit der Patient:innen. Außer­dem haben wir in der Einrich­tung ganz andere Hygiene- und Behand­lungs­mög­lich­kei­ten. Das sehen die Patient:innen auch und möchten ganz bewusst ins Wundzen­trum kommen.

Die HKP-Richt­li­nie sehe ich deshalb als ersten Entwick­lungs­schritt. Ich glaube, dass Wundzen­tren und ambulante Pflege­dienste zukünf­tig auch sehr gut zusam­men­ar­bei­ten können, ohne in Konkur­renz zu treten. Nämlich dort, wo die Immobi­li­tät der Patient:innen so im Vorder­grund steht, dass es wirklich sehr schwie­rig ist in ein Wundzen­trum zu kommen. Auch sind Koope­ra­tio­nen möglich, bei denen wir unter­stüt­zen, wenn die Wunde droht aus dem Ruder zu laufen.

Großkopf: Wie lange werden denn die Patient:innen bei euch behan­delt, bis die Wunde verschlos­sen ist? Oder was sind die Krite­rien für den Abschluss der Versor­gung?

Hoffmann-Tisch­ner: Es kommt schon mal vor, dass Patient:innen die letzten zwei bis vier Verbände selbst machen, wenn die Wunde schon fast verheilt ist und der Patient gut angelei­tet ist. Das kommt insbe­son­dere bei Patient:innen vor, die weit entfernt wohnen und sonst eine lange Anreise hätten. In der Regel werden die Patient:innen bei Wundver­schluss entlas­sen, so gibt es auch die HKP-Richt­li­nie vor. Aber aus Erfah­rung kann ich sagen, dass alle Patient:innen auch danach regel­mä­ßig vorbei­kom­men und ganz glück­lich die geheilte Wunde zeigen. Von daher glaube ich, dass anschlie­ßende Kontroll­ter­mine für viele Patient:innen hilfreich wären, auch um zu schauen, ob sie noch in der Lage sind ihre Rezidiv­pro­phy­laxe zu machen. Laut Richt­li­nie dürfen wir sie im Anschluss nicht mehr beglei­ten.

Probleme mit den Kranken­kas­sen

Großkopf: Was man immer wieder als große Kritik an der Richt­li­nie hört, sind Probleme, die beson­de­ren Leistun­gen der spezia­li­sier­ten Wundver­sor­gung bei den Kranken­kas­sen zu geneh­mi­gen. Welche Erfah­run­gen hast du gemacht?

Hoffmann-Tisch­ner: Es ist natür­lich so, dass es noch ganz viel Wissens­de­fi­zit auf Seiten der Kosten­trä­ger gibt. Die stellen dann viele Leistun­gen infrage oder haben Vorbe­halte gegen die Quali­fi­ka­tion der Pflege. Das ist aber wie alles auch menschen­ab­hän­gig. Es gibt auch Mitar­bei­tende bei den Kranken­kas­sen, die sehr offen sind und das gut finden.

Die Schwie­rig­kei­ten sehe ich hierbei auch weniger bei uns im Wundzen­trum. Die Kranken­kas­sen wissen, dass die Patient:innen bei uns gut betreut sind. Es sind eher die spezia­li­sier­ten Pflege­dienste, die über Vieles disku­tie­ren, worüber es eigent­lich nichts zu disku­tie­ren gibt. Laut HKP-Richt­li­nie spricht man von einer chroni­schen Wunde erst ab 12 Wochen und wenn der Pflege­dienst Leistun­gen abrech­nen will, dann wird von den Kassen oft gesagt: „Aber diese 12 Wochen liegen noch nicht vor“. Dabei kann jeder erken­nen, dass es sich um eine schwer­hei­lende Wunde handelt und die Defini­tion der ICW für eine chroni­sche Wunde ist zudem anders. Das ist kräfte­zeh­rend und fordert viele Ressour­cen vom Pflege­dienst.

Großkopf: Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!

Zur Person: Inga Hoffman-Tisch­ner ist Betrei­be­rin eines spezia­li­sier­ten Wundzen­trums für chroni­sche Wunden in Aachen. Die Einrich­tung hat als erste das ICW-Siegel erhal­ten. Zusam­men mit vier spezia­li­sier­ten Pflege­fach­per­so­nen ist sie für die spezia­li­sierte pflege­ri­sche Wundbe­hand­lung verant­wort­lich. Außer­dem ist Frau Hoffmann-Tisch­ner Pflege­dienst­lei­te­rin des Kölner Pflege­diens­tes mit Spezia­li­sie­rung auf die Versor­gung von chroni­schen und schwer­hei­len­den Wunden. Der Kölner Pflege­dienst erbringt darüber hinaus spezia­li­sierte und allge­meine ambulante Pallia­tiv­ver­sor­gung.