Rechtsdepesche: Herr Dr. Spassov, was genau meint der Bundesrechnungshof mit seinem Vorwurf der Intransparenz?
Dr. Alexander Spassov: Im Jahr 2018 teilte der Bundesrechnungshofs dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) seine Kritik an der intransparenten Datenlage zur kieferorthopädischen Versorgung in Deutschland mit. Konkret bemängelte er, dass es in Deutschland ungenügend Daten über Durchführung, Wirksamkeit und Nutzen der kieferorthopädischen Versorgung – und damit letztlich zu ihrer Wirtschaftlichkeit – gebe. Und dies, obwohl ein Großteil der kieferorthopädischen Versorgung auf Kosten der Solidargemeinschaft durchgeführt wird
Rechtsdepesche: Herr Prof. Großkopf, lässt sich auch eine Intransparenz gegenüber den Patienten feststellen?
Prof. Dr. Volker Großkopf: Die Verpflichtung zur Transparenz beginnt bereits im Vorfeld einer kieferorthopädischen Behandlung, denn es besteht eine grundsätzliche Beratungs- und Aufklärungspflicht. Der Patient muss über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und deren Pros, Cons und deren Kosten aufgeklärt werden.
Rechtsdepesche: Herr Dr. Spassov, welche Behandlungsmöglichkeiten sind hierbei aus ärztlicher Sicht grundsätzlich gemeint?
Spassov: Wenn wir, wie hier auf dem Kongress über Zahnbegradigung sprechen, kommen als Methoden die klassische Anwendung über feste Zahnspangen und der Einsatz von herausnehmbaren Zahnschienen den sogenannten neuartigen Aligner in Frage.
Rechtsdepesche: Herr Prof. Großkopf, welchen Stellenwert haben die neuen Aligner-Anbieter und welchem Handlungsrahmen unterliegen sie?
Großkopf: Die Aligner Start-ups gibt es seit etwa fünf Jahren. Aus einer haftungsrechtlichen Perspektive betrachtet unterliegen sie dem Patientenrechtegesetz. Als neue Behandlungsmethode müssen sie sich gegenüber den etablierten Möglichkeiten ebenfalls an den Maßstäben der anerkannten Wissenschaft und Forschung messen lassen.
Vom alteingesessenen Teil der Branche werden sie naturgemäß kritisch beäugt. Ausschlagend in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass die neuen durchaus kostengünstigeren Behandlungsmethoden qualitativ den Ansprüchen des § 630a Abs. 2 BGB entsprechen. Dies unterstellt wären Zahnkorrekturen für einen Bruchteil der Kosten und damit für einen Großteil der Bevölkerung darstellbar. Mithin würde hierdurch eine Demokratisierung der Zahnkorrekturbranche herbeigeführt werden.
Rechtsdepesche: Herr Dr. Spassov, Sie gelten als Verfechter für Qualität und Fairness in der kieferorthopädischen Behandlung. Welchen Reformbedarf sehen Sie als Kritiker des Status quo?
Spassov: Die entscheidenden Fragen, die die Gesundheitspolitik angehen muss, sind:
- Wer ist und wer sollte berechtigt sein, kieferorthopädische Behandlungen durchzuführen?
- Wer hat Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung? In diesem Zusammenhang ist die Frage der Diagnose ausschlaggebend.
- Welche Ergebnisqualität ist ausschlaggebend und wie soll diese gemessen werden?
- Wer ist und wer soll zuständig für die Qualitätsmessung bzw. das Qualitätsmonitoring sein.
Anmerkung der Redaktion: Dr. Spassov und Prof. Dr. Großkopf haben zu diesem Thema jüngst einen Fachartikel publiziert, zu finden unter www.thrombose-initiative.de