
Notdienst während des Arbeitskampfes
Die jüngsten Warnstreiks von Verdi im März 2025 haben den medizinischen Betrieb in Deutschland wieder maßgeblich eingeschränkt. Während die einen für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren, leiden andere unter Umständen an einem medizinischen Notfall und brauchen umgehende Hilfe. Damit Betroffene nicht ihrem Schicksal überlassen werden, müssen auch im Streikfall Notdienste zur Versorgung der Bevölkerung aufrechterhalten werden. Die werden normalerweise von der streikenden Gewerkschaft und dem Arbeitgeber im Einvernehmen organisiert. Vorgegeben ist das durch die geltenden Arbeitskampfrichtlinien.
Demnach müssen Arbeitgeber und Gewerkschaft Art, Umfang und Personaleinsatz des Notdienstes gemeinsam vereinbaren. Dass das nicht immer einwandfrei funktioniert, zeigt ein Fall vom Dezember 2023 über den nun entschieden wurde.
Streit zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber
Damals hatte Verdi im Zuge von Tarifverhandlungen zu Streiks aufgerufen, was zu einem Streit zwischen der Gewerkschaft und einem nicht tarifgebundenen Klinikbetreiber führte. Bei der Organisation des Notdienstes hatte die Gewerkschaft nach Ansicht des Arbeitgebers zu wenig Personal und zu wenige Betten eingeplant – eine Einigung kam somit nicht zustande.
Verdi wollte das nicht auf sich sitzen lassen und ging rechtlich gegen den blockierenden Arbeitgeber vor. Durch eine einstweilige Verfügung sollte er dazu verpflichtet werden, die vorgeschlagene Notdienstvereinbarung abzuschließen.
Zur Begründung sagte die Gewerkschaft, dass der beklagte Arbeitgeber schon seit über einem halben Jahr und mehreren Streiktagen Verhandlungen verweigere. Durch die moderate Reduzierung der Bettenkapazität solle der Druck in den Verhandlungen erhöht werden.
Während das ArbG Stralsund der Sache in erster Instanz stattgegeben hatte, widersprach in zweiter Instanz das LAG Mecklenburg-Vorpommern der Gewerkschaft und erklärte die arbeitsgerichtliche Entscheidung für fehlerhaft.
Nur Arbeitgeber kann Notdienst im Streitfall anordnen
Laut LAG habe die Gewerkschaft nämlich überhaupt kein Recht darauf, im Streitfall einen Notdienst einzurichten. Das könne nur der Arbeitgeber, die Gewerkschaft müsse den Plan schließlich dulden. Entsprechend könne auch nur der Arbeitgeber im Streitfall eine einstweilige Verfügung gegen die Gewerkschaft erwirken und nicht andersherum.
Völlig ausgeschlossen ist eine einstweilige Verfügung im Sinne der Gewerkschaft allerdings nicht. Eine solche kann gegen den Arbeitgeber erwirkt werden, wenn dieser einen Notdienst anordnet, „der das erforderliche Maß überschreitet“.
Warum nur der Arbeitgeber den Notdienst anordnen könne, liege hauptsächlich darin begründet, dass nur er – wegen seiner tiefen Betriebskenntnis – wissen könne, welche Arbeiten tatsächlich erforderlich seien. Außerdem trage der Arbeitgeber das Haftungsrisiko sowie die wirtschaftliche und unternehmerische Verantwortung.
Treuepflichten der Arbeitnehmer gelten auch im Streik
Dass die Arbeitnehmer auch im Streikfall Notdienste verrichten müssen, hänge maßgeblich damit zusammen, dass ihre Treuepflichten gegenüber dem Arbeitgeber auch im Streik nicht aufgehoben seien.
Zudem gehe auch bei Betrachtung der kollidierenden Grundrechte – Art 9 Abs. 3 GG der Gewerkschaft versus Art. 12 und 14 GG des Arbeitgebers und Art. 2 Abs. 1 GG der Patienten – hervor, dass nur der Arbeitgeber zur Anordnung befugt sei.
Da die Gewerkschaft also schon keinen Anspruch darauf habe, einen Notdienst anzuordnen, habe sie auch kein Recht auf die geforderte Bettensperrung. Die Arbeitskampffreiheiten gingen laut Gericht nämlich nicht so weit, dass alle unternehmerischen Entscheidungen dem Arbeitskampf zu unterwerfen seien.
Eine gerichtlich erzwungene Bettensperrung würde so einer Betriebsstilllegung gleichkommen, die mit Blick auf die Unternehmensfreiheit nur dem Arbeitgeber obliege.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 09.07.2024 – 4 GLa 3/24