Mediziner befürchten nach dem Scheitern einer allgemeinen Corona-Impfpflicht nun wieder eine Zuspitzung der Pandemie im Herbst. Sogar neue Lockdowns seien nicht mehr auszuschliessen.
„Fakt ist, dass wir im Herbst wieder mit steigenden Infektionszahlen rechnen müssen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, der Augsburger Allgemeinen. „Darauf muss sich die Politik bereits heute vorbereiten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.“
Impfpflicht: „Keine Einigung das Schlimmste“
Der Generalsekretär der Deutschen Immunologischen Gesellschaft, Carsten Watzl, erklärte: „Das Schlimmste, was passieren konnte, war gar keine Einigung.“ Überlegungen für einen neuen Anlauf für eine Impfpflicht kämen seiner Ansicht nach zu spät. „Eine Impfpflicht, die erst im Herbst beschlossen würde, hätte kaum einen akuten Effekt auf die dann anstehende Welle, und man müsste wieder mit anderen Maßnahmen gegensteuern.“
Zuvor hatten sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein bayerischer Kollege Klaus Holetschek (CSU) dafür ausgesprochen, einen neuen Anlauf zu nehmen. Lauterbach will jetzt eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes. Und auch bei der Impfpflicht gibt der Mahner der Nation nicht auf.
Lauterbach gibt nicht auf
Lauterbach will weiter versuchen, „bis zum Herbst eine Impfpflicht zu erreichen, um unnötige Opfer im Herbst zu vermeiden“, bekräftigte der Minister in der Bild-Zeitung: „Als Arzt und als Politiker gebe ich nie auf, wenn es um das Leben anderer Menschen geht.“
Der derzeitige Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, der Nordrhein-Westfale Hendrik Wüst (CDU), ist skeptisch, dass der Bundestag noch einen zweiten Anlauf für eine Impfpflicht unternimmt. Er glaube, dass das nicht passiert, sagte Wüst am Abend nach einem Treffen der Länder mit Scholz.
„Deutschland wird schlecht aufgestellt sein für den nächsten Herbst“, prophezeit der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery. Wenn sich nicht noch viele impfen ließen, „werden wir im nächsten Herbst und Winter wieder über Lockdown und Kontaktbegrenzungen reden und streiten“.
Medienkampagne gefordert
Mehr Engagement fordert dagegen die Ärztegewerkschaft Marburger Bund: „Wir erwarten, dass die Bundesregierung jetzt alle Anstrengungen unternimmt, eine echte Medienkampagne zu initiieren und damit gleichzeitig die Impfaufklärung und Beratung verstärkt“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Derzeit ist die Impfkampagne quasi zum Erliegen gekommen. Im Wochendurchschnitt sind es täglich gut 36.000 Impfungen. Zu Beginn der Kampagne waren es teils über eine Million am Tag gewesen.
Kinder und Jugendliche seien Hauptleidtragende
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sieht die Chancen für eine Steigerung bis zum Herbst daher skeptisch. „Es ist nicht anzunehmen, dass die Impfrate bis dahin noch nennenswert steigt“, schrieb Verbandspräsident Thomas Fischbach in einer Mitteilung. Es drohten höhere Infektionszahlen und womöglich neue Varianten. „Diese Entwicklungen würden zwangsläufig zu neuen, einschränkenden Maßnahmen bei der Bevölkerung führen, die hätten verhindert werden können.“
Die Hauptleidtragenden seien dann erneut die Kinder und Jugendlichen. In den Funke-Zeitungen kritisierte er die Entscheidung des Bundestags als „Staatsversagen“.
Quellen: Augsburger Allgemeine, RND, Bild, Deutschlandfunk