Selbstständig
Die Deutsche Renten­ver­si­che­rung stellte im Rahmen einer Prüfung fest, dass der Kranken­pfle­ger in allen Berei­chen der gesetz­li­chen Sozial­ver­si­che­rung versi­che­rungs­pflich­tig ist Bild: Richards Drawings / Pixabay

Selbst­stän­dig heißt oft: selbst und ständig. Pflege­kräfte, die Leistun­gen in Kranken­häu­sern auf Honorar­ba­sis erbrin­gen, sind sozial­ver­si­che­rungs­pflich­tig. Das hat das Bundes­so­zi­al­ge­richt (BSG) in einer Entschei­dung am 20. Juli 2023 bestä­tigt.

BSG: Pfleger arbei­tet weisungs­ge­bun­den

Beide Kläger sind ausge­bil­dete Kranken­pfle­ger. Der erste hatte als allei­ni­ger Gesell­schaf­ter und Geschäfts­füh­rer einer von ihm gegrün­de­ten haftungs­be­schränk­ten Unter­neh­mer­ge­sell­schaft (UG) mit einem Kranken­haus in Sachsen „Dienst­leis­tungs­ver­träge“ über „die selbst­stän­dige Erbrin­gung von Pflege­dienst­leis­tun­gen“ geschlos­sen.

Die Deutsche Renten­ver­si­che­rung stellte im Rahmen einer Prüfung fest, dass der Kranken­pfle­ger in allen Berei­chen der gesetz­li­chen Sozial­ver­si­che­rung versi­che­rungs­pflich­tig ist. Dagegen klagte der Kranken­pfle­ger mit Unter­stüt­zung des Kranken­hau­ses.

Das BSG sah die enge Einbin­dung und Abhän­gig­keit des Pflegers in die Arbeits­struk­tu­ren des Kranken­hau­ses als Beleg dafür, dass es sich in Wahrheit um abhän­gige Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisse handele. Der Pfleger arbeite weisungs­ge­bun­den und unter­läge den organi­sa­to­ri­schen Vorga­ben der Klinik. Damit erfülle diese Konstel­la­tion die Krite­rien einer abhän­gi­gen Beschäf­ti­gung und unter­liege somit der Sozial­ver­si­che­rungs­pflicht.

Krite­rien für selbst­stän­dige Tätig­keit

In der Vergan­gen­heit hatten sich viele Pflege­kräfte bewusst für die Arbeit auf Honorar­ba­sis entschie­den. So konnten sie über ihre Arbeits­zei­ten bestim­men und hatte zudem im Vergleich zu Angestell­ten bessere Verdienst­mög­lich­kei­ten: Teilweise erhiel­ten sie im Vergleich mit Festan­ge­stell­ten den dreifa­chen Stunden­satz.

Auch die Kranken­häu­ser profi­tier­ten von dieser Regelung: Die höheren Stunden­löhne wurden dadurch ausge­gli­chen, dass für Honorar­kräfte weder Lohnsteuer noch Sozial­ab­ga­ben bezahlt werden mussten. Selbst­stän­dige müssen Steuern selbst abfüh­ren und haben bei Alters­vor­sorge und Kranken­ver­si­che­rung keinen Anspruch gegen­über dem Arbeit­ge­ber.

Wie das BSG bereits 2019 zu vermeint­lich selbst­stän­di­gen Pflege­kräf­ten entschie­den hatte (Az.: B 12 R 6/18 R), ist es für Pflege­kräfte aller­dings grund­sätz­lich schwie­rig, von der Deutschen Renten­ver­si­che­rung als selbst­stän­dige Honorar­kräfte anerkannt zu werden. Eine Gewer­be­an­mel­dung als Beleg für den Status als Selbst­stän­di­ger ist nicht ausrei­chend. Vielmehr werden hierbei mehrere Aspekte betrach­tet:

  • Weisungs­ab­hän­gig­keit: Entschei­det der Auftrag­ge­ber über Beginn und Ende der Arbeits­zeit sowie Pausen? Gibt er konkrete Arbeits­an­wei­sun­gen? Beides spricht gegen eine selbst­stän­dige Tätig­keit.
    Zusam­men­ar­beit mit anderen Mitar­bei­tern: Diese wird als Einglie­de­rung in den Klinik­be­trieb gewer­tet und ist ein weite­res Indiz gegen die Selbst­stän­dig­keit.
  • Stunden­löhne: Wenn Honorar­kräfte nach geleis­te­ter Arbeits­zeit bezahlt werden, unter­lie­gen sie dem gleichen Abrech­nungs­sys­tem wie Festan­ge­stellte. Auch das kann ein Hinweis auf die Schein­selbst­stän­dig­keit sein.
  • Verwen­dung von Arbeits­ma­te­rial und Geräten des Auftrag­ge­bers: Selbst­stän­dige sind grund­sätz­lich für die Beschaf­fung von Arbeits­ma­te­rial verant­wort­lich. Verwen­den sie statt dessen Material und Geräte des Auftrag­ge­bers, tragen sie ein deutlich gerin­ge­res unter­neh­me­ri­sches Risiko – ein weite­rer Faktor, der gegen eine Selbst­stän­dig­keit spricht.
  • Persön­li­che Leistungs­pflicht: Honorar­kräfte dürfen als selbst­stän­dige Unter­neh­mer Leistun­gen delegie­ren. Diese Freiheit haben Angestellte nicht. Muss eine Dienst­leis­tung immer von der Pflege­kraft selbst erbracht werden, deutet das auf eine nicht selbst­stän­dige Beschäf­ti­gung hin.
    Pflegende in Klini­ken entschei­den nicht frei

Vor diesem Hinter­grund wird klar, dass Pflegende zumin­dest in Kranken­häu­sern und Pflege­ein­rich­tun­gen kaum die Entschei­dungs­frei­heit ausüben können, die eine selbst­stän­dige Tätig­keit kennzeich­net: Der Dienst­plan gibt die Einsatz­zei­ten vor, die Bezah­lung erfolgt nach Stunden – eine Bezah­lung nach erbrach­ter Leistung wäre fast unmög­lich zu definie­ren – und die Vertre­tung der Pflege­kraft von einer von dieser bestimm­ten Vertre­tung ist nicht vorge­se­hen.

Somit fehlt der unter­neh­me­ri­sche Aspekt der Selbst­stän­dig­keit ganz.

Das BSG-Urteil hat dabei Signal­kraft für das Modell Selbst­stän­dig­keit in der statio­nä­ren Pflege. Sind die Klini­ken verpflich­tet, Honorar­kräfte bei der Sozial­ver­si­che­rung anzumel­den, wird diese Vertrags­form für sie unattrak­tiv. Nach den Einschrän­kun­gen für Zeitar­beits­kräfte, die seit der Pflege­re­form gelten, ist Klini­ken und Einrich­tun­gen somit eine weitere Möglich­keit genom­men, Perso­nal­not­stände schnell auszu­glei­chen.

Den Pflegen­den wiederum fehlen Alter­na­ti­ven, die ihnen mehr Entschei­dungs­frei­heit über ihre Arbeits­be­din­gun­gen geben – ein Faktor, der den Pflege­be­ruf gerade für junge Eltern unmög­lich machen kann.

Nach wie vor bleibt die Diskus­sion um bessere Arbeits­be­din­gun­gen für Pflege­kräfte ungelöst. In der tradi­tio­nell vom Angestell­ten­mo­dell dominier­ten deutschen Politik sind bisher nur Bestre­bun­gen zu erken­nen, Pflegende auf Biegen und Brechen in der Festan­stel­lung zu halten. Ob das den Pflegxit umkeh­ren kann, ist fraglich.