Selbstständig heißt oft: selbst und ständig. Pflegekräfte, die Leistungen in Krankenhäusern auf Honorarbasis erbringen, sind sozialversicherungspflichtig. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in einer Entscheidung am 20. Juli 2023 bestätigt.
BSG: Pfleger arbeitet weisungsgebunden
Beide Kläger sind ausgebildete Krankenpfleger. Der erste hatte als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer von ihm gegründeten haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) mit einem Krankenhaus in Sachsen „Dienstleistungsverträge“ über „die selbstständige Erbringung von Pflegedienstleistungen“ geschlossen.
Die Deutsche Rentenversicherung stellte im Rahmen einer Prüfung fest, dass der Krankenpfleger in allen Bereichen der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig ist. Dagegen klagte der Krankenpfleger mit Unterstützung des Krankenhauses.
Das BSG sah die enge Einbindung und Abhängigkeit des Pflegers in die Arbeitsstrukturen des Krankenhauses als Beleg dafür, dass es sich in Wahrheit um abhängige Beschäftigungsverhältnisse handele. Der Pfleger arbeite weisungsgebunden und unterläge den organisatorischen Vorgaben der Klinik. Damit erfülle diese Konstellation die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung und unterliege somit der Sozialversicherungspflicht.
Kriterien für selbstständige Tätigkeit
In der Vergangenheit hatten sich viele Pflegekräfte bewusst für die Arbeit auf Honorarbasis entschieden. So konnten sie über ihre Arbeitszeiten bestimmen und hatte zudem im Vergleich zu Angestellten bessere Verdienstmöglichkeiten: Teilweise erhielten sie im Vergleich mit Festangestellten den dreifachen Stundensatz.
Auch die Krankenhäuser profitierten von dieser Regelung: Die höheren Stundenlöhne wurden dadurch ausgeglichen, dass für Honorarkräfte weder Lohnsteuer noch Sozialabgaben bezahlt werden mussten. Selbstständige müssen Steuern selbst abführen und haben bei Altersvorsorge und Krankenversicherung keinen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber.
Wie das BSG bereits 2019 zu vermeintlich selbstständigen Pflegekräften entschieden hatte (Az.: B 12 R 6/18 R), ist es für Pflegekräfte allerdings grundsätzlich schwierig, von der Deutschen Rentenversicherung als selbstständige Honorarkräfte anerkannt zu werden. Eine Gewerbeanmeldung als Beleg für den Status als Selbstständiger ist nicht ausreichend. Vielmehr werden hierbei mehrere Aspekte betrachtet:
- Weisungsabhängigkeit: Entscheidet der Auftraggeber über Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie Pausen? Gibt er konkrete Arbeitsanweisungen? Beides spricht gegen eine selbstständige Tätigkeit.
Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern: Diese wird als Eingliederung in den Klinikbetrieb gewertet und ist ein weiteres Indiz gegen die Selbstständigkeit. - Stundenlöhne: Wenn Honorarkräfte nach geleisteter Arbeitszeit bezahlt werden, unterliegen sie dem gleichen Abrechnungssystem wie Festangestellte. Auch das kann ein Hinweis auf die Scheinselbstständigkeit sein.
- Verwendung von Arbeitsmaterial und Geräten des Auftraggebers: Selbstständige sind grundsätzlich für die Beschaffung von Arbeitsmaterial verantwortlich. Verwenden sie statt dessen Material und Geräte des Auftraggebers, tragen sie ein deutlich geringeres unternehmerisches Risiko – ein weiterer Faktor, der gegen eine Selbstständigkeit spricht.
- Persönliche Leistungspflicht: Honorarkräfte dürfen als selbstständige Unternehmer Leistungen delegieren. Diese Freiheit haben Angestellte nicht. Muss eine Dienstleistung immer von der Pflegekraft selbst erbracht werden, deutet das auf eine nicht selbstständige Beschäftigung hin.
Pflegende in Kliniken entscheiden nicht frei
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Pflegende zumindest in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kaum die Entscheidungsfreiheit ausüben können, die eine selbstständige Tätigkeit kennzeichnet: Der Dienstplan gibt die Einsatzzeiten vor, die Bezahlung erfolgt nach Stunden – eine Bezahlung nach erbrachter Leistung wäre fast unmöglich zu definieren – und die Vertretung der Pflegekraft von einer von dieser bestimmten Vertretung ist nicht vorgesehen.
Somit fehlt der unternehmerische Aspekt der Selbstständigkeit ganz.
Das BSG-Urteil hat dabei Signalkraft für das Modell Selbstständigkeit in der stationären Pflege. Sind die Kliniken verpflichtet, Honorarkräfte bei der Sozialversicherung anzumelden, wird diese Vertragsform für sie unattraktiv. Nach den Einschränkungen für Zeitarbeitskräfte, die seit der Pflegereform gelten, ist Kliniken und Einrichtungen somit eine weitere Möglichkeit genommen, Personalnotstände schnell auszugleichen.
Den Pflegenden wiederum fehlen Alternativen, die ihnen mehr Entscheidungsfreiheit über ihre Arbeitsbedingungen geben – ein Faktor, der den Pflegeberuf gerade für junge Eltern unmöglich machen kann.
Nach wie vor bleibt die Diskussion um bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte ungelöst. In der traditionell vom Angestelltenmodell dominierten deutschen Politik sind bisher nur Bestrebungen zu erkennen, Pflegende auf Biegen und Brechen in der Festanstellung zu halten. Ob das den Pflegxit umkehren kann, ist fraglich.