Leitlinie
S3-Leitli­nie zur Lagerung und Mobili­sa­tion von Schwerst­kran­ken

Leitli­nien: Vertraut mit S3 und anderen

Tobias W., Stellv. Stati­ons­lei­tung einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Inten­siv­sta­tion in Osnabrück, erzählt uns aus seiner Praxis.

Seit 2013 befin­det sich Tobias schon in der Position als stell­ver­tre­tende Stati­ons­lei­tung der inter­dis­zi­pli­nä­ren ICU. Er vertritt jedoch nicht nur die Position der stellv. Stati­ons­lei­tung, sondern unter­stützt das Team mit einem breiten Spektrum an Zusatz­qua­li­fi­ka­tio­nen wie zum Beispiel als Praxis­an­lei­ter, ECMO-und Hygie­ne­be­auf­trag­ter.

Dank seiner zahlrei­chen Teilnah­men an Inten­siv­pfle­ge­kon­gres­sen und Weiter­bil­dun­gen sind Leitli­nien für ihn kein Neuland. Auch die neue S3-Leitli­nie zur Lagerung und Mobili­sa­tion von Schwerst­kran­ken ist ihm vertraut. Nun möchten wir näher darauf einge­hen und den Stand von Lagerung und Mobili­sa­tion aus der Praxis beleuch­ten. Dazu werfen wir zunächst einen Blick auf den aktuel­len Stand der Mobili­sa­tion auf den Inten­siv­sta­tio­nen.

Tobias erklärt, dass sich seit seinem Beginn auf der Inten­siv­sta­tion viel verän­dert hat. Früher war es ganz normal, die schwer­kran­ken Patien­ten aus Sicher­heits­grün­den lieber nicht zu mobili­sie­ren. Damals wurden die Patien­ten so lange im Bett gelas­sen, bis sie als stabil genug für die Rehabi­li­ta­tion galten. „Die Praxis hat sich jedoch weiter­ent­wi­ckelt, und mittler­weile ist es alltäg­li­che Norma­li­tät, die Mobili­sa­tion von schwerst­kran­ken Patien­ten durch­zu­füh­ren.

Auf der Inten­siv­sta­tion gehört die Durch­füh­rung nicht mehr nur ausschließ­lich zum Pflege­all­tag, erzählt uns Tobias, sondern wird inter­pro­fes­sio­nell mit anderen Fachbe­rei­chen wie der Physio­the­ra­pie umgesetzt. Trotz 26 Inten­siv­pa­ti­en­ten mit den unter­schied­lichs­ten Krank­heits­bil­dern und Bedürf­nis­sen, schafft es das Team, die Mobili­sa­tion in ihren Alltag zu integrie­ren. Doch dies war ein langer Prozess und benötigte gewisse Fach-Exper­tise, um imple­men­tiert zu werden.

Stufen­kon­zept zur Frühmo­bi­li­sie­rung

Tobias berich­tet, dass zu Beginn ein indivi­du­el­les Stufen­kon­zept zum Thema Frühmo­bi­li­sie­rung für ihre Station heraus­ge­ar­bei­tet wurde. Dies gab den Mitar­bei­tern anhand des Patien­ten­zu­stan­des und des Mobili­sie­rungs­ziels Empfeh­lun­gen, welche Maßnahme zur Mobili­tät ergrif­fen werden sollte.

Die Imple­men­tie­rung dieser Maßnah­men zur Frühmo­bi­li­sie­rung hat zweifel­los dazu beigetra­gen, das Team auf das heutige Niveau zu bringen. Dennoch räumt Tobias ein, dass nicht jeder Mitar­bei­ter über das gleiche Maß an Erfah­rung verfügt, und auch die Motiva­tion variiert von Person zu Person. Es ist wichtig anzuer­ken­nen, dass die Wirksam­keit dieser Maßnah­men letzt­end­lich von der indivi­du­el­len Umset­zung abhängt.

Darüber hinaus ist es wichtig zu beach­ten, dass die Mobili­sie­rung nur ein Aspekt des Klinik­all­tags ist und dass andere Aufga­ben und Priori­tä­ten ebenfalls berück­sich­tigt werden müssen. Letzt­end­lich ist es eine Frage des Abwägens zwischen Nutzen und Risiko, um sicher­zu­stel­len, dass alle erfor­der­li­chen Aufga­ben erfolg­reich erfüllt werden können. Auf die Frage, ob leitli­ni­en­ge­rechte Mobili­sa­tion auf der Station ein bekann­ter Begriff ist, antwor­tet Tobias mit einem Vergleich zur Medizin im Allge­mei­nen.

Neueste Erkennt­nisse umset­zen

Dabei betont er, dass es Mitar­bei­ter gibt, für die dies ein Schwer­punkt ist, und die hochmo­ti­viert sind, die neues­ten Erkennt­nisse in die Praxis umzuset­zen. Andere konzen­trie­ren sich hinge­gen auf andere Fachge­biete. Inter­es­san­ter­weise antwor­tet Tobias auf die Frage welche spezi­fi­schen Erkennt­nisse aus der neuen S3 Leitli­nie einen beson­de­ren Mehrwert für die Praxis darstel­len, das eigent­lich nichts davon wirklich neu für den klini­schen Alltag ist.

Beson­ders hervor­zu­he­ben sind jedoch die Erkennt­nisse zur Bauch­lage, die seit der COVID-Pande­mie neue Standards gesetzt haben. Auch die Empfeh­lun­gen zur Vermei­dung von Immobi­li­tät finden sein Wohlwol­len und sollten in der Praxis mehr umgesetzt werden. Eben dieser Punkt ist eine absolute Stärkung der Profes­sion Pflege.

Im Gespräch wird uns zuneh­mend bewusst, mit welchen Heraus­for­de­run­gen wir in der Praxis konfron­tiert sind. Wie bei vielen Aspek­ten des Pflege­all­tags sind auch hier die begrenz­ten Perso­nal­res­sour­cen ein zentra­ler Faktor. Pflege­kräfte werden aufgrund dieser Engpässe auf ein Minimum reduziert und auf verschie­dene Statio­nen verteilt, was zu einer steigen­den Belas­tung der Einzel­nen führt.

Mangel an wissen­schaft­li­chen Mitar­bei­tern

Tobias hebt insbe­son­dere den Mangel an wissen­schaft­li­chen Mitar­bei­tern hervor, die erfor­der­lich sind, um theore­ti­sche Konzepte wie Leitli­nien in die Praxis umzuset­zen. Schließ­lich endet die Proble­ma­tik nicht bei den fehlen­den Ressour­cen, sondern erstreckt sich über viele Berei­che, eben bis zu den Perso­nal­un­ter­gren­zen.

Das System der Perso­nal­un­ter­gren­zen ist eine Berech­nung anhand des Pflege­auf­wands der durch­schnitt­li­chen Patien­ten der einzel­nen Statio­nen, das angeben soll, wie viel Perso­nal mindes­tens gebraucht wird, um eine noch ausrei­chende Regel­ver­sor­gung durch­füh­ren zu können.

Das Ganze ist gut gedacht, berich­tet Tobias, aber schlecht umgesetzt. So wird diese theore­tisch berech­nete Perso­nal­un­ter­grenze leider oft von bürokra­ti­scher Seite als äquiva­lent zum tatsäch­lich maximal notwen­di­gen Perso­nal erklärt, ohne dabei die Quali­fi­ka­tio­nen und Grund­la­gen des real vorhan­de­nen Perso­nals zu berück­sich­ti­gen – und die eigent­li­che Mindest­grenze somit quasi zur neuen Perso­nal­ober­grenze. Probleme im Alltag sind hiermit vorpro­gram­miert.

Hilfs­mit­tel erleich­tern Mobili­sa­tion

Es wird immer deutli­cher, wie entschei­dend Hilfs­mit­tel im Klinik­all­tag sind, insbe­son­dere wenn es um die Mobili­sie­rung von Patien­ten geht. Es ist offen­sicht­lich, dass die Zeit, die für Mobili­sie­rung zur Verfü­gung steht, optimal genutzt werden sollte. Dabei können Hilfs­mit­tel wie Lifter, Bettfahr­rä­der und Mobili­sa­ti­ons-Stühle eine große Erleich­te­rung darstel­len.

Ein Beispiel hierfür ist die regel­mä­ßige Verwen­dung von Querbett­ses­seln und Bettfahr­rä­dern auf der Inten­siv­sta­tion in Osnabrück. Diese Hilfs­mit­tel ermög­li­chen eine effek­tive Mobili­sie­rung und tragen zur Verbes­se­rung des Thera­pie­er­folgs bei. Wir sprechen auch darüber, dass die zukünf­tige Situa­tion mit hoher Wahrschein­lich­keit noch schlech­ter in Bezug auf Perso­nal­res­sour­cen sein wird.

Tobias erklärt, dass techni­sche Unter­stüt­zung bei der Mobili­sa­tion im Sinne von z.B. roboti­schen Hilfs­mit­teln sicher­lich notwen­dig und die Zukunft sein wird. Die Annahme und Imple­men­tie­rung von solchen Geräten wird, wie bei vielem im Gesund­heits­sys­tem, jedoch nicht unbedingt einfach. Viele begeg­nen dem Einsatz von Techno­lo­gie zunächst mit großer Skepsis. Dennoch wäre es durch­aus hilfreich, Technik zu haben, die auch gut im alltäg­li­chen Einsatz auf der Inten­siv­sta­tion sinnvoll einsetz­bar sind.

Pflege­pra­xis mit sinnvol­ler Mobili­sie­rung im Alltag

Zukünf­tige Argumen­ta­tio­nen für den Bedarf von Hilfs­mit­teln oder spezia­li­sier­tem Fachper­so­nal müssen weiter­hin auf einer soliden wissen­schaft­li­chen Grund­lage basie­ren. Dies erfor­dert im Gesund­heits­we­sen eine angemes­sene Perso­nal­aus­stat­tung, einschließ­lich zusätz­li­cher wissen­schaft­li­cher Mitar­bei­ter oder Thera­peu­ten. Das Haupt­ziel sollte darin bestehen, die Ausstat­tung, das Perso­nal und die Arbeits­um­ge­bung entspre­chend den Bedürf­nis­sen der Patien­ten anzupas­sen.

Insge­samt hofft Tobias, dass die Pflege­pra­xis auch in Zukunft verstärkt den thera­peu­ti­schen Ansatz, insbe­son­dere die sinnvolle Mobili­sie­rung, in ihren Alltag integriert. Dabei ist es ihm wichtig, dass die Handlungs­maß­nah­men im Rahmen des Pflege­pro­zes­ses vernünf­tig an die indivi­du­el­len Bedürf­nisse der Patien­ten angepasst werden, unabhän­gig von der Motiva­tion und Berufs­er­fah­rung des Perso­nals. Dieser Ansatz stellt sicher, dass die Pflege­qua­li­tät konti­nu­ier­lich verbes­sert wird und jeder Patient die bestmög­li­che Versor­gung erhält.