Mit Hunderten per Online-Videokonferenz zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist am 22. April der Kongress erfolgreich über die Bühne gegangen. Inklusive des seit 2008 jährlich abgehaltenen JuraHealth Congress, wie die heutige „Pflegefortbildung des Westens“ bis einschließlich 2018 hieß, war es bereits die 14. Veranstaltung. Aus den Räumen der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW, Standort Köln, bot das Team um Kongress-Initiator Prof. Dr. Volker Großkopf eine mehr als neunstündige Fortbildung.
„COVID-21 – Die nächste Pandemie kommt bestimmt!“ hieß das programmatische Motto des Kongresses. Hauptfrage war, was Medizin, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus dem Pandemie-Geschehen gelernt haben, und welche Handlungsoptionen sich in Zukunft bieten. Aufgrund des wider Erwarten immer noch starken Infektionsgeschehens fand das ursprünglich als hybride Präsenz- und Online-Veranstaltung geplante Event rein virtuell statt. Neben dem Kongress-Hauptprogramm lud die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zum Satellitensymposium „Fragen und Antworten zum Arbeits- und Versicherungsschutz in Zeiten der Pandemie“; eine begleitende virtuelle Industrieausstellung und der dritte „Innovationsforum“-Wettbewerb für Neuerungen rund um Medizin und Pflege rundete das Programm ab.
„Die Beschäftigten im Gesundheitswesen unterliegen einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko. Aber die Erfahrung und die epidemiologischen Erkenntnisse zeigen auch: Prävention wirkt. Aber dafür muss sie gelebt werden“, machte Jörg Schudmann, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der BGW und ein weiterer Co-Gastgeber des Kongresses, in seinem Einleitungs-Statement Mut zur beherzten Vorbeugung gegen Corona. So entfielen von den bislang rund 18.000 als Berufskrankheit anerkannten COVID-19-Fälle alleine zwei Drittel auf seine Genossenschaft, also den Medizin- und Pflegesektor. „Aber die Fallzahlen scheinen langsam zurückzugehen, hier macht sich wohl der Impfeffekt bemerkbar.“
Die Pandemie von Beginn ihres Auftretens in Deutschland an begleitet hat Clara Lehmann von der Klinischen Infektiologie der Uniklinik Köln. „Wir in Köln waren in den ersten Wochen überrumpelt“, blickte sie in ihrem Vortrag „Gefahrenquelle in der Pandemie“ zurück. Als Reaktion auf den Ansturm von Corona-besorgten Patienten reaktivierte das Klinikum Ende Februar 2020 ein eigentlich zum Abriss vorgesehenes Altgebäude von 1910. Sie brachte hochinteressante Erkenntnisse zur Wirkung der verschiedenen Schutzmaßnahmen und dem Nutzen von Impfungen. So zeige sich am Rückgang der sonstigen Atemwegserkrankungen wie Erkältungen oder Grippe deutlich die Schutzwirkung der Masken. „Ein Tag vor Symptombeginn, das zeigen Untersuchungen, ist die Ansteckungsfähigkeit am höchsten.“ Die mRNA-Impfstoffe gegen Corona, wie etwa von Biontech oder Moderna, seien revolutionär, da besonders wirksam. „Impfreaktionen sind im Übrigen nichts Schlimmes, sondern sie zeigen, dass das Immunsystem reagiert.“ Wahrscheinlich sei eine Impfung von ihrer Immunitätswirkung sogar besser als eine überstandene Infektion.
Auf den heiklen rechtlichen Aspekt der Pandemie-Bekämpfung ging Prof. Dr. Volker Großkopf in seinem Referat „Grundrechtseingriffe in der Pandemie“ ein – und erinnerte an den spektakulären Fall einer 101-jährigen Seniorenheim-Bewohnerin, die per Notausgang aus ihrer isolierten Einrichtung „floh“, um zum Geburtstag ihrer 80-jährigen Tochter zu kommen. Auf dem Weg dorthin wurden Polizisten auf sie aufmerksam, die sie ins Heim zurückbrachten. „Was gemacht wurde seitens der Polizei, war vermutlich Freiheitsberaubung, denn ich habe das Recht auf Selbstgefährdung“, resümierte Großkopf. „Anders sieht es allerdings aus, sobald die Frau ins Heim zurückkommt, denn dann liegt eine Gefahr für Dritte vor, dass sie angesteckt werden. Dies könnte eine Quarantäne-Anordnung rechtfertigen.“ Er skizzierte den Abwägungsprozess bei den Grundrechten und nahm dabei auch Bezug auf die aktuellen Verfassungsklagen gegen die sogenannte „Bundesnotbremse“. „Auch Grundrecht-einschränkende Gesetze müssen verfassungskonform sein“, merkte er an.
Hinsichtlich der ethischen Fragen schloss Prof. Dr. Wolfgang M. Heffels, Dekan des Fachbereichs Gesundheitswesen an der KatHO NRW hieran nahtlos an. Sein Vortrag lautete „Das ethische Dilemma in der Pandemie – Von Triage bis Ausgangssperre“. Prof. Heffels schilderte, wie sich wandelnde moralische Wertevorstellungen der Gesellschaft in ethische Prinzipien münden können. Die teils widersprüchlichen und inkonsistenten Regelungen machten es auch den Gutwilligen schwer, den Beschränkungen Folge zu leisten – und es fehle die Mitwirkung etwa von Psychologen und Pädagogen bei den politischen Entscheidungen. „Man muss sich vorstellen, man ist jetzt Kind. Das Spielen auf der Straße, das Treffen von Freunden ist nur eingeschränkt möglich. Doch in der Schule, und im Bus dorthin, sitzen sie ohne Abstandsregeln. Diese Diskrepanzen machen etwas wirr im Kopf und im Gefühl“, befand er. Zu einem vernichtenden Urteil kam er hinsichtlich des im Frühjahr 2020 erlebten totalen Besuchsverbots in Pflege- und Senioreneinrichtungen. „Man hätte zumindest für die bedrohlichen Fälle, etwa die Begleitung Sterbender, Vorkehrungen treffen müssen, dass unter hohen Schutzmaßnahmen ein Besuch dennoch möglich ist. Zumal ist der Schutz nicht effizient, da die Seniorenheim-Bewohner nach wie vor von Mitarbeitenden versorgt wurden und schon durch sie Infektionen möglich waren.“ Auch hinsichtlich des im Bundesgesetz enthaltenen, mitunter als „Ausgangsbeschränkung“ euphemisierten nächtlichen Hausarrests bei Inzidenzwerten über 100 ist er mindestens skeptisch. „Es wird eine Kontaktminderung stattfinden, aber ob diese so wesentlich ist, wird sich zeigen müssen. Außerdem haben Aerosolforscher dargelegt, dass die Infektionsgefahr in Innenräumen lauert, nicht draußen.“
Die Auswirkungen von Corona auf die Arbeit in den Einrichtungen hat der Kölner Rechtsanwalt Hubert Klein in seinem Vortrag „Arbeitsrechtliche Fragestellungen in Zeiten der Pandemie – Habe ich ein Recht auf Arbeitsverweigerung?“ unter die Lupe genommen. „Mangelnde Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsschutz kann arbeitsrechtlich Weigerungsrechte begründen!“ postulierte er für den Fall von Situationen, in denen der Arbeitgeber sich ungenügend um den Infektionsschutz seiner Beschäftigten kümmere. Dagegen könnten Pflegekräfte etwa für vorübergehende Zeit für geringwertigere Tätigkeiten, etwa in der aktuellen Lage zum Desinfizieren, verpflichtet werden – das gebe das Direktionsrecht des Arbeitgebers her.
Einen Ausblick auf technische Verbesserungen in der Pflege gab Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, der Pflege-Bevollmächtigte der Bundesregierung. In „Wie digital sind Pflege und Medizin nach der Pandemie?“ berichtete er von seinem Besuch in einem Universitätsklinikum, das vorbildhaft auf digitalen Austausch unter Behandlern und Pflegekräften setze. Dieses Projekt mache Mut. „Mit den Instrumenten der vergangenen 30 Jahre wird eine Versorgung in den kommenden Jahrzehnten nicht gelingen. Vieles liegt aber schon auf dem Tablett; wir müssen es einfach gemeinsam umsetzen.“ In Sachen Robotik sieht Westerfellhaus dagegen deutliche Grenzen; technischen Helfern in der Pflege könne eine allenfalls ergänzende Rolle zukommen. „Die Pflege wird immer menschlich sein und von Menschen ausgeübt werden. Robotik und ähnliches kann allenfalls unterstützend tätig sein.“
Vom täglichen Kleinkrieg mit den Gesundheitsämtern und dem Verordnungs-Dschungel berichtete aus erster Hand Dr. Jan Basche, Geschäftsführer mehrerer ambulanter Pflegedienste in Berlin und Mitglied der dortigen Landesgruppe des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa). Konkret erlebte er einen Fall einer Corona-positiven Betreuten, die auf Nahrungs-Anreichung angewiesen war und hierfür ihre Maske abnehmen musste. Als Konsequenz schickte das Gesundheitsamt die jeweils anwesenden mobilen Pflegekräfte nach ihrem Einsatz bei der Patientin in Quarantäne – trotz ihrer durchgehend negativen Coronatests.
„Wir mussten uns deshalb damit beschäftigen, wie die Betreuung weitergeht, wenn keine Kräfte mehr da sind“, schilderte er. Letztlich löste sich die Situation, weil das Gesundheitsamt eine bei der Betreuten eingesetzte Pflegekraft „vom Radar verlor“. „Ihre Möglichkeiten sind beschränkt, dass muss ich leider so sagen. Da gibt es viel berechtigte Frustration, und das ist nie gut für die Versorgung.“
Er appellierte, nicht alles umzusetzen, was einem nicht logisch erscheint. „Nehmen sie es nicht nur als Beitrag fürs organisationale Überleben Ihrer Einrichtung, sondern auch für Ihre Psychohygiene. Und nutzen Sie die Chancen, die sich daraus ergeben.“
Spannender Höhepunkt gegen Ende des Kongresstages war die Online-Abstimmung der Kongress-Teilnehmenden beim Innovationsforum, wo wiederum zwölf Unternehmen mit ihren Neuerungen angetreten waren. Hier reichte die Palette von Sanitärausrüstung über telemetrische Pflegehelfer zu Bewegungsaktivität und Inkontinenz-Kontrolle, innovative Hilfsmittel, Pflege- und Betreuungs-Apps und einem Brettspiel rund um Pflegealltag und ‑wissen (Link zu allen teilnehmenden Unternehmen).
Im Schlussvotum der Finalrunde setzte sich das Sprachlern-Institut „Bildungsprofis International UG“ aus Frankfurt/Main mit einem speziell auf fremdsprachige Pflegekräfte zugeschnittenen Deutsch-Kursprogramm durch, gefolgt von der iuvas medical GmbH aus Freiburg mit ihrem Trinkhilfe-Glas „sippa“ und der Pedilay GmbH aus München mit ihrem hautfreundlichen und schnell anlegbaren Fußverband „pedilay med“.