Dr. Frank Quirius fragt: Auch außerhalb meines Dienstes kann ich als Arzt jederzeit mit einem medizinischen Notfall konfrontiert werden. Berücksichtigt das Haftungsrecht die widrigen Verhältnisse in der Ersten-Hilfe-Situation?
Antwort der Redaktion: Literatur und Judikatur stimmen dahingehend überein, dass die strengen Sorgfaltspflichten eines normalen medizinischen Behandlungsverhältnisses aus situativen Gründen in einem medizinischen Notfall herabgesetzt werden müssen. Allerdings gilt auch für den unter Zeitdruck gebotenen medizinischen Eingriff, dass Vorsatz und Fahrlässigkeit vertreten werden müssen. Das heißt auch in der eiligen Notfallsituation orientieren sich die Sorgfaltspflichtanforderungen am Maßstab des § 276 Absatz 2 BGB.
Hiernach handelt derjenige fahrlässig, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Entscheidend ist danach zunächst, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter medizinischer Notfallhelfer derselben Fachrichtung typischerweise in der konkreten Situation verhalten hätte.
Allerdings können äußere, objektiv vorliegende Mangelumstände, die ein medizinischer Notfall nahezu immer mit sich bringt, in dieser Bewertung berücksichtigt werden. Im Rahmen der Bestimmung der einzuhaltenden Sorgfalt im Notfall gemäß § 276 Absatz 2 BGB kommt es daher regelmäßig zu einer mildernden Berücksichtigung der äußeren Lage, sofern die Situation als solche nicht antizipiert werden konnte. Zeit- und Handlungsdruck, fehlende medizinische oder pharmazeutische Hilfsmittel oder gar die Kumulation dieser Umstände sind daher grundsätzlich geeignet, den nothelfenden Arzt in der Frage nach der Haftung zu privilegieren. Letztlich ist der Arzt vom Notfall ähnlich unvorbereitet betroffen wie jeder andere Bürger.
Aus diesem Gedanken hat das OLG München in einer Entscheidung vom 6. April 2006 (OLG München vom 6. April 2006 – 1 U 4142/05 = RDG 2006, S. 156) dem professionellen notfall-medizinischen Helfer das Haftungsprivileg des § 680 BGB zu Gute, wonach neben dem Vorsatz nur die grobe Fahrlässigkeit vertreten werden muss.
Wenngleich in dem zu Grunde liegenden Fall der rettungswillige Arzt die Vitalzeichen falsch deutete und die Reanimationsversuche fehlerhaft durchführte, wurde die Zahlungsklage der Geschädigten abgewiesen, weil eine grobe fehlerhaftes Versagen nicht festgestellt werden konnte.