Aufklärungspflicht bzgl. Medikamenteneinsatz bei Kopfhautekzem
Aufklä­rungs­pflicht bzgl. Medika­men­ten­ein­satz bei Kopfhaut­ek­zem

Problem­kom­plex Kopfhaut­ek­zem

Eine Folli­ku­li­tis ist in der Regel auf eine Infek­tion mit Bakte­rien vom Typ Staphy­lo­coc­cus aureus zurück­zu­füh­ren. Aber auch andere Bakte­rien, Viren, Pilze und Hautmil­ben können eine Folli­ku­li­tits verur­sa­chen.

Entspre­chend varian­ten­reich kann sich die thera­peu­ti­sche Versor­gung der betrof­fe­nen Areale gestal­ten. Vorsicht ist vor allen Dingen dann geboten, wenn ärztli­cher­seits den folli­ku­lä­ren Rötun­gen und Pusteln auf der Kopfhaut mit dem planvol­len Hervor­ru­fen von Entzün­dungs­re­ak­tio­nen begeg­net werden soll.

Die Richter am LG Freiburg (Urteil vom 23.2.2018 (Az.: 1 O 297/15)) hatten über die Behand­lung einer Fachärz­tin für Derma­to­lo­gie in einer Tages­kli­nik zu entschei­den, die die schmerz­haf­ten Ekzeme mit Salben behan­delte, zu deren Neben­wir­kun­gen aller­gi­sche Reaktio­nen, Verfär­bun­gen der Haut und lokale Hautrei­zun­gen wie Rötun­gen und Brennen zählen.

Der Sachver­halt

Im Streit steht die derma­to­lo­gi­sche Behand­lung eines schmerz­haf­ten Ekzems der Kopfhaut. Die Thera­pien erfolg­ten zunächst ambulant, anschlie­ßend teilsta­tio­när in einer Tages­kli­nik. Die Ärzte diagnos­ti­zier­ten eine Folli­ku­li­tis decal­vans, also eine entzünd­li­che Entwick­lung der Haarbälge. Sie wende­ten verschie­dene Medika­mente, vor allem desin­fi­zie­rende und entzün­dungs­hem­mende Präpa­rate an, was der Kläger nicht beanstan­det.

Im Laufe der Behand­lung wurde auch das Präpa­rat Dithra­nol und Advan­tan­milch auf der Kopfhaut angewen­det. In der Klage wird behaup­tet, dass sowohl die Behand­lung mit Dithra­nol als auch mit Advan­tan­milch nicht indiziert und fehler­haft gewesen seien. Infolge dieser Behand­lung sei eine schwere Reizung der Kopfhaut aufge­tre­ten. Es hätten sich neue Pusteln gebil­det und es seien unter anderem Schwin­del, Kreis­lauf­pro­bleme, Fieber und starke Schmer­zen aufge­tre­ten sowie eine Verbren­nung zweiten Grades entstan­den. Zudem wird mit der Klage gerügt, dass keine Aufklä­rung, bzw. keine ausrei­chende Aufklä­rung über die Risiken und Gefah­ren der Präpa­rate Dithra­nol und Advan­tan­milch statt­ge­fun­den habe.

Die Klage zielt auf ein Schmer­zens­geld in Höhe von mindes­tens 15.000 Euro und die Feststel­lung des Ersat­zes sämtli­cher weite­rer, materi­el­ler und nicht vorher­seh­ba­rer immate­ri­el­ler Schäden, welche aus der Behand­lung entstan­den sind, ab.

Medika­men­ten­gabe war indiziert

Die Freibur­ger Richter haben dem Klage­an­trag nur in gerin­gem Umfang entspro­chen. Da sich die Bemes­sung des Schmer­zens­gel­des nur an der Steige­rung der aufgrund der Grund­er­kran­kung bereits bestehen­den Beein­träch­ti­gun­gen ausrich­ten kann, ist der überwie­gende Betrag des beantrag­ten Schmer­zens­gel­des abgewie­sen worden.

Es wurden durch die Medika­men­ten­be­hand­lung nur im gerin­gem Umfang zusätz­lich anhal­tende und nicht unerheb­li­che Schmer­zen sowie damit einher­ge­hende Schlaf­pro­bleme während eines Zeitraums von 1–2 Wochen verur­sacht. Mithin ist ein Schmer­zens­geld in Höhe von ledig­lich 900 Euro als angemes­sen erach­tet worden. Ferner waren die Anwen­dun­gen des Antip­so­ria­ti­kums Dithra­nol und des Korti­kos­te­ro­ids Advan­tan­milch indiziert und wurden lege artis ausge­führt.

Bei beiden Präpa­ra­ten handelte es sich nach den Urteils­grün­den um bewährte und sichere Thera­pien. Die Folli­ku­li­tis decal­vans ist ein schwer zu thera­pie­ren­des Krank­heits­bild, dessen Ätiolo­gie nicht genau gesichert war, unter anderem weil der Kläger die an sich gebotene Probe­bi­op­sie abgelehnt hat. Bei Dithra­nol wurde eine niedrige Anfangs­do­sis gewählt, bei Advan­tan­milch handelte es sich um ein Mittel mit zu vernach­läs­si­gen­den Neben­wir­kun­gen.

Ein vorhe­ri­ger Test des Dithra­nols an kleiner Stelle war nicht geboten, da keine Anhalts­punkte für eine Unver­träg­lich­keit bestan­den. Auch die Folge­be­hand­lung war lege artis. Der Kläger hat bereits frühzei­tig eine antibio­ti­sche Thera­pie erhal­ten. Es wurde zudem ein Antibio­gramm angefer­tigt. Dies war auch kunst­ge­recht.

Alter­na­tive Thera­pien: Mehr Neben­wir­kun­gen

Alter­na­tive Thera­pien mit dem pharma­zeu­ti­schen Wirkstoff Isotre­ti­noin bezie­hungs­weise der Substanz Roaccu­tan wären mit sehr viel mehr Neben­wir­kun­gen behaf­tet gewesen. Sie waren daher nicht als Mittel der ersten Wahl indiziert. Im Übrigen bestehen keine Anhalts­punkte für einen Behand­lungs­feh­ler.

Keine Aufklä­rung über Medika­men­ten­ne­ben­wir­kun­gen

Der Derma­to­lo­gin wird aller­dings zur Last gelegt, dass über die Wirkung und wesent­li­che Neben­wir­kun­gen des Mittels Dithra­nol nicht aufge­klärt wurde. Ein Patient muss „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwil­ligt. Dazu muss er über die Art eines Eingriffs und seine nicht ganz außer­halb der Wahrschein­lich­keit liegen­den Risiken infor­miert werden, soweit diese für seine Entschlie­ßung von Bedeu­tung sein können. Entschei­dend ist neben der Eintritts­wahr­schein­lich­keit insbe­son­dere die Frage, inwie­fern Risiken und Neben­wir­kun­gen den Patien­ten in seiner Lebens­füh­rung belas­ten.

Ist eine Aufklä­rung auch bei harmlo­sen Neben­wir­kun­gen erfor­der­lich?

Ob und inwie­weit eine mündli­che Aufklä­rung auch vor der äußer­li­chen Anwen­dung eines Medika­ments mit vergleichs­weise harmlo­sen Neben­wir­kun­gen geboten ist, bedarf aller­dings noch der höchst­rich­ter­li­chen Klärung.

Die gewünschte Entzün­dungs­re­ak­tion des Dithra­nols und ihre Risiken sind aller­dings nicht mit denje­ni­gen vergleich­bar, die den bislang entschie­de­nen Fallkon­stel­la­tio­nen zugrunde lagen. Wenngleich der Anwen­dung eine Heilwir­kung innewohnt, ist die Aufklä­rung geboten. Bereits das bewusste Hervor­ru­fen einer Entzün­dungs­re­ak­tion stellt einen Eingriff in die körper­li­che Unver­sehrt­heit des Patien­ten dar. Hinzu tritt, dass jede Entzün­dungs­re­ak­tion mit Schmer­zen verbun­den sein kann.

Das Risiko des Eintritts einer Verbren­nung ersten Grades, also Rötun­gen, Brennen und Schmer­zen ist mit 10 bis 20 Prozent für sich genom­men nicht gering­fü­gig. Zwar mögen die Belas­tun­gen in der Lebens­füh­rung bei Wirkun­gen, die vergleich­bar mit einem Sonnen­brand sind, überschau­bar sein. Sie sind anderer­seits gerade bei einem vorge­schä­dig­ten Patien­ten aber auch nicht zu vernach­läs­si­gen und ändern nichts an der Eingriffs­qua­li­tät der Maßnahme.

Und wer sich wegen eines entzün­de­ten Kopfhaut­ek­zems in die teilsta­tio­näre Behand­lung einer Univer­si­täts-Hautkli­nik begibt, hat im Sinne des Selbst­be­stim­mungs­rechts ein verständ­li­ches Inter­esse daran, vorab darüber infor­miert zu werden, wenn durch ein erstmals angewen­de­tes Medika­ment eine planvolle Entzün­dungs­re­ak­tion der betrof­fe­nen Hautpar­tien ausge­löst wird.

Mangels Aufklä­rung war die Einwil­li­gung des Klägers in die Anwen­dung von Dithra­nol daher nach § 630e Absatz 2 BGB unwirk­sam und der Eingriff rechts­wid­rig.

Fazit

Auch über harmlose Neben­wir­kun­gen von Medika­men­ten ist aufzu­klä­ren, insbe­son­dere wenn diese gerade die Folge einer korrek­ten und gewünsch­ten Wirkweise des Medika­ments darstel­len.