
Diffamierung mit schweren Folgen
Ein schwerbehinderter Mitarbeiter war seit dem 1. Oktober 2020 bei seinem Arbeitgeber im therapeutischen Team mit einer 40-Stunden-Woche beschäftigt. Am 17. Januar 2022 sprach der Arbeitgeber gegenüber dem Mitarbeiter eine außerordentliche Kündigung aus. Der Grund: verbale Grenzüberschreitungen. So schlug er etwa im Maßregelvollzug Untergebrachten vor, für eine Mitarbeiterin einen Holzdildo als Weihnachtsgeschenk zu basteln.
Damit nicht genug: Zwei Wochen später musste der Arbeitgeber erfahren, dass besagter Mitarbeiter für einen verstorbenen Untergebrachten im Internet eine Gedenkseite eingerichtet hatte, in der weitere Diffamierungen gegenüber dem Arbeitgeber veröffentlicht wurden. Wörtlich schrieb er:“ A. durfte nach einem ungleichen Kampf, den er nicht gewinnen konnte, friedlich einschlafen, den er den B.-Fachkliniken mit seiner Oberärztin D. mitzuverdanken hatte, die ein fachärztliches Konsil über Monate hinweg hinauszögerte.“ Der Mann war klar unzufrieden mit der Fachklinik und wollte seine Beobachtungen über – seiner Meinung nach zutreffenden – Missstände aufdecken und die Oberärztin an den Pranger stellen.
Er testete weiterhin die Grenzen der Meinungsfreiheit aus und verfasste unter einem Pseudonym einen Internetartikel über seinen Arbeitsplatz. Dort schrieb er unter der Überschrift „Bossing und Mobbing“ davon, dass der Thüringer Maßregelvollzug noch nicht verstaatlicht worden sei und kritisierte darin permanente Rechtsbrüche von privaten Betreibern und Ärzten. Nach Datenschutzverletzungen, Schreibtischdurchsuchungen und Bloßstellung von schwerbehinderten Mitarbeitenden wies er darauf hin, dass ein Mitarbeiter auf das Übelste bloßgestellt worden sei und man mit diesem einen „kurzen Prozess“ gemacht habe.
Er behauptete weiter, dass die Untergebrachten in den Hungerstreik getreten wären – aus Protest gegen die Zustände. Am 25. Januar erhielt der Arbeitgeber dann einen Brief, bei dem auf dem Umschlag als Adresse angegeben war „B‑Fachklinik für Bossing & Mobbing inklusive Verleumdungen und Datenschutzverletzungen“.
Nach Anhörung stimmte der Betriebsrat einer fristlosen Kündigung zu, welche zum 21. Februar 2022 das Arbeitsverhältnis beendete. Dagegen wehrte sich der Mitarbeiter mit einer Klage. Das Arbeitsgericht Suhl hat die Kündigung vom 17. Januar für unwirksam erklärt, die Kündigung vom 21. Februar für wirksam und die Klage abgewiesen.
Kündigung gerechtfertigt?
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung beim Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG) eingelegt – jedoch ohne Erfolg. Er war der Ansicht, die der Kündigung vom 21. Februar zugrunde liegenden Äußerungen seinerseits seien vom Recht der freien Meinungsäußerung (Artikel 5 GG) gedeckt.
Das Gericht stellte jedoch klar, dass dieses Recht nicht schrankenlos gelte. Unter anderem gehöre § 241 Absatz 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht einschränkenden Gesetzen – was auch Diffamierung umfasst.
Nach Abwägung des LAG wurde die Meinungsfreiheit demnach überschritten. In dem Zusammenhang liege auch die Darlegungslast vermeintlicher Missstände beim Kläger, so das Gericht.
Wer Missstände bei seinem Arbeitgeber öffentlich machen wolle, sei verpflichtet, die Tatsachen, die er öffentlich machen will, zunächst selbst einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, bevor er damit an die Öffentlichkeit geht.
Dem war er allerdings nicht nachgekommen und es war auch nicht zu erwarten, dass noch weiterer Sachvortrag erfolgen würde, erklärte das Gericht. Die Diffamierung der Schlagworte „Bossing und Mobbing“ zeige, dass zwar auch eine Auseinandersetzung in der Sache von ihm intendiert sei, er jedoch in allererster Linie seinen Arbeitgeber diffamieren und bloßstellen wolle.
Die aggressive Art und Weise der Veröffentlichung in ihrer Pauschalität und Unkonkretheit, ohne die Berücksichtigung von Anlass und Kontext des Arbeitgebers, setze diesen schlicht den Behauptungen und der Diffamierung aus. Nach Ansicht des Gerichts stehe der Beklagte am Pranger, ohne sich effizient zur Wehr setzen zu können.
Kann der Mitarbeiter als „Whistleblower“ angesehen werden?
Schließlich hat das Gericht geprüft, ob dem Kläger durch die sogenannte „Whistleblower-Richtlinie“ der EU ein Vorteil entstehen könnte. Diese Richtlinie schützt Personen, die Missstände oder Gesetzesverstöße melden. Obwohl Deutschland diese Richtlinie noch nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt habe, müsse sie bei der Auslegung von Gesetzen trotzdem berücksichtigt werden, so das Gericht.
Im vorliegenden Fall führe das aber zu keinem anderen Ergebnis. Die Richtlinie gelte nur, wenn jemand Verstöße gegen bestimmte EU-Regeln meldet, zum Beispiel im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Der Kläger wolle aber weder einen Verstoß gegen EU-Recht aufzeigen noch habe seine Kritik etwas mit der öffentlichen Gesundheit zu tun.
Außerdem müsse der Kläger, um sich auf den Schutz der Richtlinie berufen zu können, selbst glauben, dass seine Hinweise auf Missstände wahrheitsgemäß sind. Das wäre der Fall, wenn seine Vermutung unter den damaligen Umständen nachvollziehbar gewesen wäre. Bei dem Vorwurf, ein untergebrachter Patient sei falsch behandelt worden, reiche allerdings die Aussage des Klägers allein nicht aus. Für die anderen Vorwürfe konnte er überhaupt keine Beweise vorlegen.
Ein weiterer Schutz durch die Richtlinie käme nur dann in Frage, wenn eine große Gefahr für die Allgemeinheit bestünde, zum Beispiel bei einem Notfall oder wenn Beweise verschwinden könnten oder Behörden selbst beteiligt wären. Doch auch dafür gebe es in diesem Fall keinerlei Anzeichen.
Das Landesarbeitsgericht erkannte somit die Wirksamkeit der Kündigung vom 21. Februar 2022.
Quelle: LAG Thüringen vom 19. April 2023 – 4 Sa 269/22