Pflegereform
Die Pflege­re­form ist in der Kritik Bild: Sabine van Erp/Pixabay.com

Lange erwar­tet, endlich da: Die Pflege­re­form bezie­hungs­weise das Pflege­un­ter­stüt­zungs- und ‑entlas­tungs­ge­setz (PUEG) hat die Zustim­mung vom Bundes­tag. Aber die Reaktio­nen von Berufs­ver­bän­den, Kassen und Verbrau­cher sind vorwie­gend negativ.

Das sind die Haupt­kri­tik­punkte:

1. Die Erhöhung des Pflege­gelds reicht nicht aus

Ab Januar 2024 wird das Pflege­geld um fünf Prozent erhöht, weitere Erhöhun­gen sind für 2025 und 2028 geplant. Nach Meinung vieler Exper­ten ist das nicht nur viel zu spät – die letzte Erhöhung gab es 2017 – sondern auch zu wenig. Denn die Infla­tion, die allein im Jahr 2022 bei 7,9 Prozent lag, hat diese Erhöhung schon längst überholt.

Die Diako­nie Deutsch­land beschrieb das Gesetz deshalb als Enttäu­schung, nicht nur für die Pflegen­den, sondern in erster Linie für Angehö­rige. „Es lässt vor allem pflegende Angehö­rige im Regen stehen, die nach wie vor die größten Pflege­leis­tun­gen schul­tern. Die Kosten­stei­ge­run­gen der letzten Jahre werden bei weitem nicht von der Pflege­ver­si­che­rung ausge­gli­chen“, kriti­siert Diako­nie-Vorstän­din Maria Loheide.

Auch Verena Bentele, Präsi­den­tin des Sozial­ver­ban­des VdK, sieht die Reform als unzurei­chend an: „Für alle pflegen­den Angehö­ri­gen, die Tag für Tag ihre Gesund­heit aufs Spiel setzen und viele Einbu­ßen in Kauf nehmen, ist diese Pflege­re­form eine große Enttäu­schung und reine Augen­wi­sche­rei. […] Die Nächs­ten­pflege ist am Limit, weil sie seit Jahren von der Politik ignoriert wurde, und auch jetzt kommt sie wieder viel zu kurz.“

2. Keine nachhal­tige Finan­zie­rung

Die Soziale Pflege­ver­si­che­rung ist der ausschlag­ge­bende Faktor bei der Absiche­rung des deutschen Gesund­heits­sys­tems. Sie wurde 1995 einge­führt, um das Risiko bei Pflege­be­dürf­tig­keit zu reduzie­ren, war aller­dings nie als Vollfi­nan­zie­rung gedacht. Seit Jahren arbei­tet sie nicht kosten­de­ckend, das Jahr 2022 schloss sie mit einem Defizit von über 2 Milli­ar­den ab. Die Pflege­re­form sollte ursprüng­lich für eine Finan­zie­rung der Pflege­ver­si­che­rung sorgen – aller­dings hat die Ampel diese Entschei­dung vertagt.

Carola Reimann vom AOK-Bundes­ver­band mahnt an, dass die Soziale Pflege­ver­si­che­rung in der Pande­mie 5 Milli­ar­den Euro ausge­legt habe, die sie nicht zurück­be­käme. Die langfris­tige finan­zi­elle Siche­rung der Pflege­ver­si­che­rung sei nach wie vor nicht gesichert.

Auch Thomas Moormann, Leiter Team Gesund­heit und Pflege im Verbrau­cher­zen­trale Bundes­ver­band (vzbv), sieht die Finan­zie­rung der Leistun­gen als Haupt­pro­blem der Reform: „Der Pferde­fuß: Alle Verbes­se­run­gen müssen von der sozia­len Pflege­ver­si­che­rung (SPV) selbst gegen­fi­nan­ziert werden, also aus Beitrags­mit­teln der Pflege­kas­sen. Es gibt keinen einzi­gen Steuer-Euro mehr, obwohl die SPV unver­än­dert versi­che­rungs­fremde Leistun­gen in Milli­ar­den­höhe stemmen muss.“

3. Beiträge steigen vor Leistun­gen – beson­ders für kinder­lose Menschen

Die steigen­den Beiträge für die Pflege­ver­si­che­rung sind der Haupt­kri­tik­punkt der Beitrags­zah­ler. Denn die höheren Beiträge werden schon ab Juli 2023 fällig, während die Leistun­gen erst ab 2024 steigen. Beson­ders eine Gruppe fühlt sich dadurch getrof­fen: Menschen ohne Kinder. Denn deren Beiträge steigen stärker an als die von Menschen mit Kindern.

Die Regie­rung beruft sich dabei auf eine Entschei­dung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts aus dem Jahr 2022: Demnach reicht es nicht, dass seit einem frühe­ren Urteil die Kinder­lo­sen höhere Beiträge zahlen müssen. Eltern mit mehre­ren Kindern müssten spätes­tens ab Ende Juli 2023 noch mehr entlas­tet werden. Das Gericht begrün­det dies damit, dass Familien je nach Kinder­zahl viel mehr Kosten hätten und mindes­tens ein Eltern­teil bei der Berufs­tä­tig­keit zurück­ste­cken müsse.

4. Koali­tion zieht nicht an einem Strang

Viele Stimmen sehen die Pflege­re­form als Notlö­sung: Chris­tine Vogler, Präsi­den­tin des deutschen Pflege­ra­tes, spricht von einer „notdürf­ti­gen Rettung des Systems“, die keine durch­dachte politi­sche Strate­gie erken­nen lasse. Dabei war es ursprüng­lich Lauter­bachs Plan, mit einer steuer­mit­tel­fi­nan­zier­ten Bürger­ver­si­che­rung die Deckung aller Pflege­kos­ten möglich zu machen.

Dagegen sperrte sich jedoch die FDP, so dass der Einsatz von Steuer­mit­teln für das Pflege­sys­tem es nicht in das Gesetz geschafft hat – die Reform muss kosten­neu­tral umgesetzt werden. Diese Dynamik inner­halb der Koali­tion kriti­siert auch Tino Sorge, Gesund­heits­po­li­ti­scher Sprecher der CDU: Die FDP hätte blockiert, Lauter­bach könne sich nicht durch­set­zen.

Der Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter zeigte sich am Freitag im Bundes­tag alles andere als enthu­si­as­tisch: „Ich weiß, dass dieses Gesetz kein perfek­tes Gesetz ist, und wir werden weiter gehen.“ Die Reform sei ein Anfang, der in einem Jahr mit breite­rer Finan­zie­rung weiter ausge­baut werden könne. Man darf gespannt sein, ob sich das umset­zen lässt.