TV-Praktikum in der Kritik: Eine bitter nötige Öffentlichkeitsarbeit für den Pflegeberuf oder eine erneute Verzerrung und Trivialisierung des anspruchsvollen Berufsbilds – das ist die große Frage. Denn eine neue TV-Reihe rund um ein Praktikum in der Pflege spaltet die Gemüter in der Branche: In der sechsteiligen Doku-Reihe „Die Herzblut-Aufgabe“ schickt der Sender sechs Prominente für die Zeit von vier Wochen auf Station.
Der Schauspieler und Moderator Wayne Carpendale, Comedian Faisal Kawusi, Schlagerstar Patrick Lindner, das Model Jorge González und die Schauspielerin Jenny Elvers haben für das Format ein Praktikum im Helios-Klinikum von Berlin-Buch absolviert. Ab der dritten Folge stößt außerdem Lilly Becker, die Exfrau des Tennis-Weltstars, zur Gruppe hinzu. Die jeweils 90-minütigen Folgen laufen seit 18. Oktober immer montags um 20.15 Uhr. Auch in der Mediathek des Senders sind die bislang schon ausgestrahlten Folgen abrufbar.
Praktikum von Null an: Vor ihrem eigentlichen, von Kameras begleiteten Einsatz auf den Stationen absolvieren die Prominenten zunächst einen zweitägigen Crashkurs im Klinikum über die pflegerischen Grundlagen. Angeleitet von der Klinik-Pflegedirektorin Sylvia Lehmann lernen sie beispielsweise, wie man den Blutdruck misst, wie eine Händedesinfektion richtig gemacht wird, man Patienten fachgerecht aufsetzt, wie eine Intimreinigung funktioniert oder man einen Verband wechselt.
Die späteren Einsatzgebiete der Promi-Praktikanten sind bunt gestreut. Während Kawusi in die Geriatrie geht, ist Carpendale in der Unfallchirurgie eingesetzt. González‘ Einsatzgebiet ist die Pädiatrie, das von Jenny Elvers die Geburtshilfe. Patrick Lindner sammelt Erfahrungen in der HNO- und Adipositas-Station. Becker wird, wie Kawusi, in der Geriatrie mithelfen. Die Promis sind bei ihren Einsätzen jeweils von einer Mediatorin oder einem Mediator begleitet.
Die berühmte „Pflegen-kann-jeder-Karte“ ausgespielt
Während Sat.1 betont, mit dem Format der Pflegebranche Aufmerksamkeit und Sendezeit geben sowie Anerkennung schaffen zu wollen, gibt es auch kritische Stimmen aus der Berufsgruppe selbst. Von einem „Dschungelcamp der Pflege“ spricht Stefan Heyde, Initiator der Aktion „Pflegekräfte in Not“, in seinem Gastkommentar für RDG Online. „Wieder einmal spielt man damit die berühmte ‚Pflegen-kann-jeder‘-Karte aus“, meint er. Weder den ohnehin unter Stress stehenden Abteilungen, noch den Patienten selbst, sei mit der Anwesenheit der Promi-Praktikanten und der sie begleitenden Kamerateams gedient.
Auch der Intensivpfleger Ralf Berning, der sich ebenfalls für bessere Pflege-Bedingungen engagiert, kritisiert den Ansatz. Das Bild, dass sich den Zuschauern biete, sei „total geschönt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Keiner hat in der Realität die Zeit und Ruhe, die dort bei Sat.1 gezeigt wird.“ Von einer „Schwarzwaldklinik als Real-Life-Doku“, die ohne Personalnotstand und Doppelschichten auskomme, lästert Twitter-Userin EmmaMH.
Idee zu Praktikum-TV aus Belgien
Dem Publikum scheint der Ansatz mit einem Praktikum unterdessen jedoch zu gefallen: Laut des Online-Medienmagazins DWDL registrierte die zweite Folge am 25. Oktober hochgerechnet 1,63 Millionen Zuschauer, eine Steigerung um rund 300.000 zur ersten Folge der Doku. Die Idee zur Serie stammt übrigens aus Belgien: Hier jobbten 2020 unter dem Titel „Een echte job“ ebenfalls fünf Bekanntheiten aus dem Nachbarland in einem Klinikum.
Ebenfalls vor einem Jahr sorgten in Deutschland die #Ehrenpflegas für Schlagzeilen: Die über YouTube verbreitete Mini-Comedyserie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums über drei Jobstarter, die eine Pflege-Ausbildung beginnen, sollte Jugendlichen und jungen Erwachsenen Lust auf einen Berufseinstieg in der Pflege machen – fiel aber beim allergrößten Teil des Publikums, sowie bei den Pflegeverbänden, durch.
Die Pflege werde verächtlich gemacht und als Sammelbecken für Deppen dargestellt; zudem sei die Darstellung von Klischees und Vorurteilen durchsetzt, so die Haupt-Vorwürfe. Zu allermindest, was diese Punkte betrifft, hat es Sat.1 mit seiner Reality-Doku nun offensichtlich besser gemacht als die schräge Comedyreihe.