"Ehrenpflegas": Die Miniserie zur neuen Pflegeausbildung.
„Ehren­pfle­gas“: Die Minise­rie zur neuen Pflege­aus­bil­dung. Bild: © BMFSFJ

Sind die „Ehren­pfle­gas“ eine augen­zwin­kernde Werbung für den Einstieg in den Pflege­be­ruf – oder doch eher ein kommu­ni­ka­ti­ves Eigen­tor? Die öffent­li­che Meinung neigt zu Letzte­rem. Im Auftrag des Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rium ist eine Mini-Video­se­rie zur Pflege entstan­den, die sich an Jugend­li­che kurz vor dem Start ins Erwerbs­le­ben richtet.

Doch die Kurzfilm-Reihe sorgt derzeit für jede Menge Ärger und Wirbel unter Pflege­kräf­ten. Auf der Kurznach­rich­ten-Platt­form Twitter machen zahlrei­che Pflegende ihrem Ärger über das trans­por­tierte Bild der Pflege Luft. Es gibt sogar zwei Online-Petitio­nen, die fordern, die Werbe­ak­tion auf der Stelle zu stoppen.

„Ich chill dann mit Alten und Kranken und so. Denk ich mal.“

Die „Ehrenpflegas“-Serie mit fünf Episo­den zu jeweils fünf bis sechs Minuten Länge ist seit dem 12.10. auf dem YouTube-Kanal des Minis­te­ri­ums zu sehen. Rund 700.000 Euro, heißt es laut Deutsch­land­funk Kultur, soll die Produk­tion in Zusam­men­ar­beit mit Constan­tin Televi­sion sowie zweier Werbe- und PR-Agentu­ren gekos­tet haben.

„Das Format soll vor allem junge Menschen anspre­chen und sie ermun­tern, sich mit dem Pflege­be­ruf zu beschäf­ti­gen. Welche Ausbil­dung sie machen und welchen Beruf sie ergrei­fen möchten, beschäf­tigt natür­lich vor allem junge Menschen“, erläu­tert das Minis­te­rium per Presse­mit­tei­lung. Man habe bewusst darauf gesetzt, sich bei Machart und Bildspra­che an den bei der Zielgruppe belieb­ten Serien zu orien­tie­ren. „Eine Verzer­rung der Reali­tät ist dabei Teil des humoris­ti­schen Konzepts.“

Und tatsäch­lich: Bereits am Anfang der „Ehrenpflegas“-Serie wird der Zuschauer verstört. „Mein Name ist Boris. Ich bin 25 Jahre alt und gehe 1. Klasse. – 1. Klasse Pflege­schule“, stellt sich die von Danilo Kampe­ri­dis gespielte Haupt­fi­gur vor, wie er, mitten in sein Smart­phone-Spiel vertieft, das Schul­ge­bäude betritt. Ein ungepfleg­ter, augen­schein­lich unrei­fer und nicht beson­ders intel­li­gen­ter Typ. Seine Berufs-Erwar­tun­gen vor dem ersten Schul­tag? „Ich chill dann mit Alten und Kranken und so. Denk ich mal.“ Er ist insge­heim in seine attrak­tive Klassen­ka­me­ra­din Miray (Lisa Vicari) verliebt, die ihn aber eher bemit­lei­det als bewun­dert. Die Dritte im Bunde der Protago­nis­ten ist die intel­lek­tu­ell-kühle, lesebe­geis­terte Katrin (Lena Klenke), die alle nur „Harry Potter“ nennen.

DBfK: Anspra­che von Jugend­li­chen ist keine Recht­fer­ti­gung, Pflegende zu verprel­len

Einge­streut in die „Ehrenpflegas“-Videos sind Infos rund um die Pflege, wie zur neuen, einheit­li­chen Ausbil­dungs­ver­gü­tung, dem Prinzip der Genera­lis­tik, Möglich­kei­ten der Weiter­bil­dung und Akade­mi­sie­rung, oder locker gehal­tene Einbli­cke in den Arbeits­all­tag. In der letzten Episode ist Famili­en­mi­nis­te­rin Franziska Giffey sogar selbst bei einem Kurzauf­tritt zu sehen. Am Ende jeder Folge gibt es einen Verweis auf das Berufs­in­fo­por­tal pflegeausbildung.net und die Pflege­aus­bil­dungs-Kampa­gne „Mach‘ Karriere als Mensch“, in welche die Aktion einge­bet­tet ist – und als Epilog zur Serie eine „Realitäts-Check“-Gesprächsrunde mit drei jungen Menschen, die den Pflege­be­ruf tatsäch­lich ergrif­fen haben und von ihren Erfah­run­gen berich­ten.

Doch der Gegen­wind für das Format ist gewal­tig: Der Pflege­be­rufs­ver­band DBfK hat sich sogar per Presse­mel­dung ausdrück­lich von der Serie distan­ziert. „Die Darstel­lung der Anfor­de­run­gen an Pflege­fach­per­so­nen in der Minise­rie ‚Ehren­pfle­gas‘ verletzt Selbst­ver­ständ­nis, Ethos und Pflege­fach­lich­keit der Berufs­gruppe“, heißt es. Die Notwen­dig­keit, Jugend­li­che anzuspre­chen, könne nicht recht­fer­ti­gen, die Pflegen­den als Vertre­ter der Branche zu verprel­len. Die Anfor­de­run­gen an Pflege­kräfte würden nicht klar; statt­des­sen spiegle die Serie vielmehr die Vorur­teile der Macher wider. Leider sei man – ebenso­we­nig wie andere Pflege­ver­bände – in die Konzep­tion nicht einge­bun­den worden.

Die Pflege­ge­werk­schaft Bochu­mer Bund distan­ziert sich ebenfalls vom Format. „Die Kampa­gne spiegelt nicht das Bild einer profes­sio­nel­len, hochqua­li­fi­zier­ten und evidenz­ba­sier­ten Pflege wider und ist daher nicht reprä­sen­ta­tiv.“ „ ‚Ehren­pfle­gas‘ wertet den Pflege­be­ruf ab, stellt ihn als Auffang­be­cken für alle dar, die sonst keine Perspek­tive sehen und ohne ernst­haf­tes Bemühen in irgend­ei­nen Beruf einstei­gen wollen. Und neben­bei noch mit einem kräfti­gen Schuss Sexis­mus“, urteilt die Gewerk­schaft ver.di vernich­tend in ihrem Newslet­ter. Gleich­wohl hält auch die eine oder andere Stimme in den Kommen­tar­zei­len der sozia­len Netzwerke dagegen. Es sei schließ­lich „nur eine Komödie“, die sich an jüngere Perso­nen richtet, finden Befür­wor­ter der Mini-Serie.

Petio­nen verlan­gen Abset­zung

Es gibt bereits zwei Online-Petitio­nen, die zusam­men schon tausende Unter­schrif­ten verzeich­nen und sich dezidiert gegen die Videoreihe wenden. „Frau Giffey, stoppen Sie sofort die belei­di­gende Ehren­pfle­gas-Kampa­gne!“ fordert der Petent Ludwig Montag auf dem Portal change.org. Er kriti­siert die Darstel­lung des Pflege­be­rufs als reine Herzens­sa­che, den im Prinzip jeder ergrei­fen könne und wenig prakti­sches Können voraus­set­zen würde.

Bei einer paral­le­len Unter­schrif­ten­samm­lung auf openpetition.de wird deren Initia­tor Frank Schil­ler ebenfalls deutlich. „Ich bin der Auffas­sung, dass diese Kampa­gne uns in einer Art und Weise darstellt, dass selbst der Begriff ‚Gering­schät­zung‘ dem nicht gerecht wird!“. Ihn störe die stereo­type Darstel­lung der Berufs­grup­pen. Gerade angesichts des großen Einsat­zes der Pflege im Rahmen der Corona­krise sei das Format „an Respekt­lo­sig­keit gegen­über uns Pflege­fach­kräf­ten nicht mehr zu unter­bie­ten“.

Stimmen auf Twitter: „Nicht nur reali­täts­fremd, sondern beschä­mend“ – „Gewal­ti­ger Griff ins Klo“

Auf Twitter ist das Echo ebenfalls eindeu­tig. „Was sagt das bitte aus? Der ‚Versa­ger‘ kann jetzt auch Pflege?“ schreibt die Userin Schwes­ter­Un­be­quem. „#Ehren­pfle­gas ist nicht nur reali­täts­fremd, sondern beschä­mend“, meint Nutze­rin Senten­tia, die ihr Posting mit einer langen Stellung­nahme verbin­det.

Auch der junge, politisch engagierte Kranken­pfle­ger und Buchau­tor Alexan­der Jorde klinkte sich in die Debatte ein: „Wie wäre es, BMFSFJ, sich einzu­ge­ste­hen, dass #Ehren­pfle­gas ein gewal­ti­ger Griff ins Klo war und sich bei der gesam­ten Berufs­gruppe #Pflege für dieses Format zu entschul­di­gen? Man kann diesen Beruf auch positiv darstel­len, ohne uns für dumm zu verkau­fen.“ Und das NDR-Satire­ma­ga­zin Extra3 nimmt sich in ganz eigener, bissi­ger Art dem Thema Image­wer­bung für die Pflege an.

Hinweis der Redak­tion: In einer frühe­ren Fassung des Textes hieß es, die Produ­zen­ten von „Fack ju Göthe“ hätten die Serie „Ehren­pfle­gas“ produ­ziert. Das ist nicht korrekt. Sie wurde von Constan­tin Enter­tain­ment produ­ziert, einer Tochter­firma der Constan­tin Film AG, die wiederum hinter „Fack ju Göthe“ steht.