Streik
Die Faust als Symbol für den Arbeits­kampf

Der Berli­ner Klinik­streik hat eine längere Vorge­schichte. Die Beschäf­tig­ten hatten schon im Frühjahr Gesprä­che mit den Vorstän­den von Charité und Vivan­tes aufge­nom­men. Ihr Ziel: Bessere Arbeits­be­din­gun­gen für das Pflege­per­so­nal durch mehr Perso­nal­ein­satz. Eine weitere Forde­rung adres­siert unglei­che Bezah­lung. Denn Angestellte von Tochter­ge­sell­schaf­ten von Vivan­tes, zum Beispiel Küchen- und Reini­gungs­per­so­nal, werden nicht nach dem Tarif­ver­trag des öffent­li­chen Diens­tes (TVöD) bezahlt.

ver.di fordert einen „Entlas­tungs­ta­rif­ver­trag“

Bereits am 12. Mai – dem inter­na­tio­na­len Tag der Pflege – hatten Pflege­kräfte vor dem Roten Rathaus in Berlin demons­triert. Sie forder­ten einen „Entlas­tungs­ta­rif­ver­trag“, der einen höheren Perso­nal­ein­satz auf den Statio­nen garan­tiert. Im Rahmen dieses Vertra­ges wären etwa zehn Prozent mehr Perso­nal in der Pflege notwen­dig – das bedeu­tet in der Praxis 1000 neue Pflege­kräfte. Bei der Kundge­bung vor dem Roten Rathaus hatte ver.di eine Frist von 100 Tagen genannt, in der der Vertrag unter­zeich­net werden sollte. Gleich­zei­tig wurde ein dreitä­gi­ger Warnstreik angekün­digt, falls den Forde­run­gen nicht nachge­ge­ben werde.

Nachdem die Verhand­lun­gen erfolg­los blieben, trat der angekün­digte Warnstreik am 23. August um sechs Uhr morgens in Kraft. An den drei Charité-Campus­sen sowie fast allen Vivan­tes-Klini­ken wurde jeweils mindes­tens eine Station bestreikt. Die Klini­ken hatten sich auf den Arbeits­kampf vorbe­rei­tet. Viele planbare Opera­tio­nen wurden verscho­ben, einige abgesagt. Mit Parolen wie „Wir retten Leben, wer rettet uns?“ oder „Pflege darf nicht krank machen“ demons­trier­ten die Strei­ken­den vor den Klinik-Eingän­gen.

Streik recht­lich zuläs­sig?

Der Vorstand der Vivan­tes-Klini­ken erwirkte am ersten Streik­tag beim Berli­ner Arbeits­ge­richt eine einst­wei­lige Verfü­gung gegen den Arbeits­kampf. Begrün­dung: Es gebe keine hinrei­chende Notdienst-Verein­ba­rung. Vivan­tes-Vorstands­chef Johan­nes Danckert sagte in einer Stellung­nahme, dass das Problem fehlen­der Pflege­kräfte nicht allein von Vivan­tes gelöst werden könne. Vielmehr sei eine komplette Gesund­heits­re­form bundes­weit notwen­dig. Am Tag darauf erklärte das Berli­ner Arbeits­ge­richt in mündli­cher Verhand­lung den Streik für zuläs­sig, so dass er wie geplant fortge­setzt werden konnte. Der Vorstand der Charité hatte keine recht­li­chen Maßnah­men gegen den Streik ergrif­fen.

Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, bezeich­net die Streiks als „Notwehr“ für die Beschäf­tig­ten. „Da es für die Kranken­häu­ser noch immer keine gesetz­li­chen Vorschrif­ten für eine bedarfs­ge­rechte Perso­nal­aus­stat­tung gibt und die Statio­nen und Berei­che oft drama­tisch unter­be­setzt sind, greifen die Beschäf­tig­ten in Berlin jetzt zu dem Instru­ment Tarif­ver­trag, um ihre Gesund­heit zu schüt­zen und mehr Perso­nal durch­zu­set­zen.“

Wie geht es weiter?

Am 6. Septem­ber veröf­fent­lichte die Gewerk­schaft ver.di eine Stellung­nahme zum weite­ren Vorge­hen. In einer Urabstim­mung hat sich die Mehrheit der Mitglie­der für einen unbefris­te­ten Streik ausge­spro­chen. An der Charité stimm­ten 97,9 Prozent, bei Vivan­tes 98,5 Prozent und in den Tochter­un­ter­neh­men 98,8 Prozent der in der Gewerk­schaft organi­sier­ten Beschäf­tig­ten für den Streik. Es könnte also schon ab dem 9. Septem­ber ein neuer Klinik­streik begin­nen – diesmal mit offenem Ende. „Das Votum zeigt, dass die Beschäf­tig­ten es ernst meinen. Sie wollen verbind­li­che Tarif­re­ge­lun­gen, die wirkli­che Verbes­se­run­gen bringen“, erklärt Meike Jäger, zustän­dige ver.di-Fachbereichsleiterin Gesund­heit.

Wie schon bei dem dreitä­gi­gen Warnstreik Ende August wird auch diesmal die Anzahl der bestreik­ten Statio­nen eine große Rolle spielen. Die Klinik­lei­tun­gen versuch­ten im Vorfeld des Arbeits­kamp­fes möglichst viele Patien­ten als Akutfälle einzu­stu­fen, die nicht verlegt werden könnten. Die Gewerk­schaft fürch­tet, dass durch diese Maßnah­men deutlich weniger Statio­nen komplett geschlos­sen werden können, so dass die Wirksam­keit des Streiks deutlich geschwächt wird. Der Umfang der Notdienste wird also ein entschei­den­der Faktor sein.

Wie realis­tisch sind die Forde­run­gen?

Laut der Klinik­lei­tung der Charité und dem Vorstand von Vivan­tes ist das Problem bei der Einstel­lung von mehr Pflege­per­so­nal gar nicht primär die Finan­zie­rung, da diese vor allen von den Kranken­kas­sen übernom­men würde. Vielmehr gibt es auf dem Arbeits­markt nicht genug Fachkräfte, die zur Verfü­gung stehen. Zum Thema Lohnan­glei­chung in den Tochter­ge­sell­schaf­ten von Vivan­tes erklärte der Vorstand der Klinik­kette, die Inves­ti­tion in Höhe von etwa 30 Millio­nen Euro im Jahr könne man sich aktuell nicht leisten.

Aber auch wenn eine Durch­set­zung der Forde­run­gen nicht komplett möglich sein sollte, einen Zweck hat der Arbeits­kampf jetzt schon erfüllt: Im Berli­ner Wahlkampf wird das Thema Pflege nicht unter­ge­hen.