Migranten und Migrantinnen in der Altenpflege
Die Projekt­lei­te­rin Dr. Andrea Kronen­tha­ler (rechts) bei der Abschluss­ver­an­stal­tung für die Inter­view­part­ner des Projekts. Um Verstän­di­gungs­pro­bleme zu vermei­den, waren auch Überset­zer zugegen. Bild: Projekt CarEMi

Viele der in den 1960er Jahren angewor­be­nen Gastar­bei­ter aus der Türkei sind in Deutsch­land geblie­ben und sind nun, 50 Jahre später, pflege­be­dürf­tig. Durch das Projekt der Wissen­schaft­le­rin­nen des Insti­tuts für Sozio­lo­gie der Univer­si­tät Tübin­gen wurde deutlich, dass Migran­ten oft schlecht über Angebote infor­miert sind und Nachhol­be­darf bei der Verstän­di­gung und kultur­spe­zi­fi­schem Grund­wis­sen von Ärztin­nen und Ärzten sowie Pflege­kräf­ten besteht. „Wissen­schaft und Forschung erschlie­ßen neue Wege, um die Bedin­gun­gen für ein gutes Leben im Alter zu verbes­sern. Die Vorstel­lun­gen davon, was ein gutes Leben im Alter ausmacht, können jedoch unter­schied­lich sein. Deshalb ist es wichtig, kultu­relle Beson­der­hei­ten zu berück­sich­ti­gen und auf diese in der Forschung und in der Versor­gung einzu­ge­hen“, sagt Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundes­mi­nis­te­rin für Bildung und Forschung, deren Minis­te­rium das Projekt geför­dert hat.

Für die Studie inter­view­ten Forschende unter der Leitung von Dr. Andrea Kronen­tha­ler verschie­dene Perso­nen­grup­pen in den Städten und Landkrei­sen Tübin­gen und Reutlin­gen: 32 türki­sche Migran­ten der ersten, zweiten und dritten Genera­tion, 14 Hausärzte und medizi­ni­sche Fachan­ge­stellte sowie 21 Vertre­ter und Vertre­te­rin­nen aus Politik, Pflege­insti­tu­tio­nen, türki­schen Verei­nen und Kranken­kas­sen.

Einige wollen profes­sio­nelle Versor­gung, andere möchten in der Familie bleiben

Wie sich in der Studie zeigte, wussten viele der Migran­tin­nen und Migran­ten nicht, welche Einrich­tun­gen und Beratungs­stel­len ihnen zur Verfü­gung stehen und welche finan­zi­el­len Leistun­gen sie für die Pflege in Anspruch nehmen können. Grund dafür sind unter anderem sprach­li­che Hürden oder mangelnde Kennt­nisse des deutschen Gesund­heits­sys­tems. Die Konse­quen­zen tragen vor allem auch ihre Famili­en­an­ge­hö­ri­gen, die die Pflege ohne zusätz­li­che Hilfe­stel­lun­gen schul­tern müssen – teilweise mit der Folge von Überlas­tung.

Insge­samt waren die Bedürf­nisse der inter­view­ten Migran­tin­nen und Migran­ten sehr unter­schied­lich. Einige der Älteren wollten beispiels­weise ihren Angehö­ri­gen nicht zur Last fallen und würden profes­sio­nelle Versor­gung in Anspruch nehmen, andere vertrau­ten auf eine Pflege inner­halb der Familie. Falls die Versor­gung in fremde Hände überge­hen sollte, wünsch­ten sich die Befrag­ten, dass das Pflege­per­so­nal über Grund­la­gen­kennt­nisse ihrer Religion und Kultur verfügt.

Ärzten und Pflegern mangelt es an kultur­spe­zi­fi­schem Grund­wis­sen

So erhoff­ten sie sich beispiels­weise Unter­stüt­zung bei der Gebets­wa­schung oder Mahlzei­ten, die nach islami­schen Vorschrif­ten zuberei­tet werden. Tenden­zi­ell bevor­zugte die Mehrheit der Befrag­ten eine nach Geschlech­tern getrennte Versor­gung: Männli­ches Pflege­per­so­nal für pflege­be­dürf­tige Männer, weibli­ches Pflege­per­so­nal für pflege­be­dürf­tige Frauen. Vor allem lag den Befrag­ten – wie vielen anderen Senio­rin­nen und Senio­ren unabhän­gig von ihrer Herkunft – am Herzen, dass das Pflege­per­so­nal ihnen respekt­voll und freund­lich begeg­net.

Ärztin­nen und Ärzte sowie Pflege­kräfte räumten in der Befra­gung ein, dass es ihnen an kultur­spe­zi­fi­schem Grund­wis­sen fehle. Wichti­ger sei aber, so die befrag­ten Fachkräfte, sich indivi­du­ell auf die Pflege­be­dürf­ti­gen einzu­las­sen. Ein weite­rer zentra­ler Punkt war, dass es in der Pflege­ver­sor­gung und ‑beratung häufig Verstän­di­gungs­schwie­rig­kei­ten gibt, die teilweise auch zu Fehldia­gno­sen führen können. Mangels Alter­na­ti­ven überset­zen dann Angehö­rige oder türkisch­spre­chen­des Perso­nal in den Arztpra­xen oder im Kranken­haus. Beides stellt keine optimale Lösung dar, da Angehö­rige etwa aus Rücksicht nicht wortge­treu überset­zen, das medizi­ni­sche Perso­nal dadurch eine Mehrbe­las­tung erfährt und in eine Rolle gedrängt wird, die weder seiner Quali­fi­ka­tion noch seinen Aufga­ben entspricht.
Quelle: idw