Pflegekräfte
Wie groß ist die Verzweif­lung unter den Pflege­fach­kräf­ten? Bild: Nikolai Lenets/Dreamstime.com

Die Überlas­tung der Pflege­kräfte im deutschen Gesund­heits­we­sen – schon seit langem ein wichti­ges Thema, das vor allem während der Corona­pan­de­mie häufig disku­tiert worden ist. Ein bemer­kens­wer­tes Beispiel hiervon war die Aktion #Nicht­Selbst­ver­ständ­lich, die durch die Übertra­gung der Arbeits­zeit einer Pflege­kraft auf Prosie­ben Aufmerk­sam­keit erregte. Zudem haben auch sehr viele Mitar­bei­tende ihre Pflege­be­rufe aufge­ge­ben.

Nun hat ein Bericht der Sendung Plusmi­nus der ARD die belas­tende Situa­tion für das deutsche Kranken­haus­per­so­nal erneut beleuch­tet. Zu Beginn des Films begeg­nen wir Dominik Hinzmann, Anästhe­sist und ehren­amt­li­cher Mitar­bei­ter bei der Psycho­so­zia­ler Unter­stüt­zung (PSU) Helpline. Aufge­nom­men wird eine telefo­ni­sche Beratung einer Fachkraft; „hast du das Gefühl, du musst dich zerrei­ßen […] wo gehe ich zuerst hin und wer braucht es nötiger?“ hört man Dominik fragen.

Die PSU bietet, laut ihrer Website, „über die HELPLINE eine anonyme und kosten­freie telefo­ni­sche Beratung für beson­dere Stress- und Belas­tungs­si­tua­tio­nen an“. Diese steht für „Mitarbeiter*innen und Verant­wort­li­che aus dem Gesund­heits­we­sen“ zur Verfü­gung.

Im Bericht erläu­tert Hinzmann: „Wir bekom­men sehr viele solche Anrufe, wo einfach verzwei­felte Mitar­bei­tende des Gesund­heits­we­sen bei uns anrufen, wo Pflegende bei uns anrufen, die einfach jetzt akut Unter­stüt­zung benöti­gen. Wir versu­chen sie zu stabi­li­sie­ren und mit ihnen gemein­sam einen Ausweg aus der Situa­tion zu finden.“

Überlas­tung der Pflege­kräfte

Der Grund für diesen akuten Unter­stüt­zungs­be­darf? Der Bericht zeigt, dass trotz Maßnah­men des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums, wodurch Perso­nal­un­ter­gren­zen festge­legt wurden, das Pflege­per­so­nal in Gesund­heits­ein­rich­tun­gen – vor allem auf den Inten­siv­sta­tio­nen – immer noch deutlich überfor­dert ist.

Profes­sor Stefan Greß erklärt zum Beispiel, dass „wir bei dem Pflege­per­so­nal auf dem Stand von etwa mitte der 90er Jahre“ sind, als „der Bedarf noch deutlich niedri­ger war“. Und dies obwohl „die Inten­si­tät“ heute „sehr hoch“ ist.

Sylvia Bühler der Gewerk­schaft ver.di unter­strich sogar: „Es gibt Schät­zun­gen, die sagen wir haben ungefähr bis zu 170.000 Pflege­kräfte, die unglaub­lich gerne wieder zurück­kom­men in ihren Beruf weil sie ihren Beruf lieben, aber mit diesen Arbeits­be­din­gun­gen wollen und können sie sich das nicht mehr zumuten.“

Perso­nal­un­ter­gren­zen: die Probleme

Theore­tisch sollte die von Jens Spahn im Jahr 2018 einge­führte Pflege­per­so­nal­un­ter­gren­zen­ver­ord­nung dafür sorgen, dass einzelne Pflege­kräfte nicht überlas­tet werden. Als Beispiel wird im Bericht gezeigt, wie Kranken­pfle­ge­rin Elena Eul in ihrer Tages­schicht für 2 Perso­nen und nachts für 3 Perso­nen zustän­dig ist. Jedoch betonte Eul, dass diese Regelun­gen nicht immer die gewünschte Wirkung haben.

Sie erklärte, dass dies in manchen Situa­tio­nen „dem persön­li­chen und indivi­du­el­lem Bedarf der Patien­ten nicht gerecht wird“. Sie gab zu beden­ken: „Manch­mal wäre es schon besser, wenn wir eher eine 1 zu 1 Betreu­ung hätten. Das kann man aber nicht so pauschal sagen. Und das ist meiner Meinung nach das große Problem, dass die Unter­gren­zen pauschal festge­legt wurden unabhän­gig von den Patien­tin­nen und Patien­ten.“

Im Bericht wird auch heraus­ge­ho­ben, dass diese Perso­nal­un­ter­gren­zen nur als Monats­durch­schnitt einge­hal­ten werden müssen. Das bedeu­tet, dass zum Beispiel an einzel­nen Tagen die Unter­gren­zen verfehlt werden können ohne den monat­li­chen Durch­schnitt zu beein­flus­sen. Außer­dem wird klar gemacht, dass selbst die Einhal­tung der Perso­nal­un­ter­gren­zung nicht unbedingt ausreicht, da sie eher als „absolu­tes Minimum“ betrach­tet werden sollte und nicht als Ideal­fall.

Was sind die Alter­na­ti­ven?

Der Bericht macht auf den gemein­sa­men Vorschlag des Deutschen Pflege­rats (DPR), der Deutschen Kranken­haus­ge­sell­schaft (DKG) und der Gewerk­schaft ver.di aufmerk­sam, nämlich: Perso­nal­be­mes­sung.

DKG-Präsi­dent Dr. Gerald Gaß erklärt hierzu: „Im Kranken­haus wird geschaut, wie pflege­be­dürf­tig sind die Menschen? Und daran bemisst sich dann das Maß an Pflege­per­so­nal­aus­stat­tung“.

Es wird auch auf eine Befra­gung der Arbeit­neh­mer­kam­mer Bremen gewie­sen, in der ehema­lige Fachkräfte gefragt wurden, unter welchen Umstän­den sie bereit wären wieder­zu­kom­men. 60 Prozent der Befrag­ten meinten, sie „würden wieder einstei­gen, wenn es ein Bedarfs­ori­en­tierte Perso­nal­be­mes­sung gäbe und sie mehr Zeit für eine quali­ta­tiv hochwer­tige Pflege bekämen“.

Klar ist auf jeden Fall: diese Überlas­tung der Fachkräfte kann nicht weiter­ge­hen. Die abschlie­ßen­den Worte von Sylvia Bühler geben eine klare Warnung: „Es wird immer gesagt, wir hätten in Deutsch­land eines der besten Gesund­heits­sys­teme der Welt und die Frage ist natür­lich: auf wessen Kosten passiert das?“

„Wenn man im Gesund­heits­we­sen arbei­tet, tagtäg­lich ausge­presst wird wie eine Zitrone und darüber krank wird, dann kann das ja nicht gehen, das würde man in keinem Indus­trie­un­ter­neh­men zulas­sen,“ fügt sie hinzu.