Zwangsmaßnahmen
Zwangs­maß­nah­men sind künftig auch außer­halb des Kranken­hau­ses möglich. Bild: © Meinzahn | Dreamstime.com

Aktuelle Regelung verstößt gegen Grund­ge­setz

Konkret bezieht sich das Urteil auf ärztli­che Zwangs­maß­nah­men im Sinne von § 1832 BGB. Dieser enthält strenge Vorga­ben für den Einsatz von ärztli­chen Eingrif­fen gegen den natür­li­chen Willen des Patien­ten. So dürfen diese nur dann erfol­gen, wenn der gesetz­li­che Betreuer des Patien­ten oder ggf. ein Gericht in die Maßnahme einwil­ligt. Nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Paragra­fen dürfen die Zwangs­maß­nah­men außer­dem nur durch­ge­führt werden, wenn der Patient statio­när in einem Kranken­haus behan­delt wird – zumin­dest bis jetzt.

Nach Auffas­sung des Gerichts gibt es durch­aus auch außer­halb des Kranken­hau­ses Situa­tio­nen, die entspre­chende Zwangs­maß­nah­men gegen den natür­li­chen Willen des Patien­ten notwen­dig machen. So zum Beispiel, wenn die körper­li­che Unver­sehrt­heit des Patien­ten in Gefahr ist. Das Verbot, die entspre­chen­den Zwangs­maß­nah­men nicht auch außer­halb des statio­nä­ren Settings durch­füh­ren zu können, stehe somit im Konflikt mit dem Grund­recht der körper­li­chen Unver­sehrt­heit gemäß Artikel 2 Absatz 2 des Grund­ge­set­zes, so die Richter.

Zwangs­maß­nah­men außer­halb des Kranken­hau­ses nur in beson­de­ren Situa­tio­nen

Wichtig ist nach der höchst­rich­ter­li­chen Entschei­dung, dass die Zwangs­maß­nah­men außer­halb des Kranken­hau­ses dazu geeig­net sind, die Gefahr für die körper­li­che Unver­sehrt­heit des Patien­ten zu vermei­den oder zumin­dest zu reduzie­ren, ohne dass andere Beein­träch­ti­gun­gen auftre­ten. Zudem müssen die Maßnah­men auch außer­halb des Kranken­hau­ses einen entspre­chen­den Standard errei­chen.

Solche Situa­tio­nen könnten in Pflege­hei­men, im häusli­chen Umfeld oder in spezia­li­sier­ten ambulan­ten Einrich­tun­gen entste­hen, etwa bei der Gabe von Medika­men­ten.

Für diese Fälle fordert das Gericht deshalb eine Neure­ge­lung des Geset­zes. Der Gesetz­ge­ber muss diese bis zum Ablauf des 31. Dezem­ber 2026 durch­set­zen. Bis dahin gelten die alten Regelun­gen.

Psychisch erkrankte Frau hatte sich beschwert

Grund­lage des Urteils war der Fall einer psychisch schwer erkrank­ten Frau, die in einem Wohnver­bund lebt. Sie wird seit dem Jahr 2000 betreut und muss mit einem Neuro­lep­ti­kum zwangs­be­han­delt werden. Dafür musste sie stets in eine Klinik gebracht werden.

Ein Antrag, die entspre­chende Behand­lung auch in der Einrich­tung, in der sie lebt, durch­zu­füh­ren, wurde versagt. Das zustän­dige Betreu­ungs­ge­richt erlaubte die Zwangs­be­hand­lung nicht, mit dem Verweis, eine solche Maßnahme dürfe nur im Kranken­haus erfol­gen.

Gegen diese Entschei­dung reichte die Frau Beschwerde ein. Der Bundes­ge­richts­hof setze das Verfah­ren schließ­lich aus und legte es dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt vor. Dieses entschied nun über den Fall.

Quelle: Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt