Fehlt eine entspre­chende schrift­li­che Erklä­rung des Patien­ten, so muss der Betreuer den mutmaß­li­chen Willen des Erkrank­ten für die weite­ren ärztli­chen Maßnah­men ermit­teln und entspre­chend entschei­den (§ 1901a Absatz 2 BGB). Den Arzt trifft dabei die Pflicht, zu prüfen, welche Behand­lungs­maß­nah­men hinsicht­lich der Prognose des Patien­ten indiziert sind. Diese Behand­lungs­maß­nah­men hat er sodann mit dem Betreuer vor dem Hinter­grund des Patien­ten­wil­lens zu erörtern (§ 1901b Absatz 1 BGB).

Sachver­halt

Der verstor­bene Patient stand wegen eines ausge­präg­ten demen­zi­el­len Syndroms unter der Betreu­ung eines Rechts­an­walts. Eine verbale Kommu­ni­ka­tion war nicht mehr möglich. Es bestan­den spasti­sche Tetrapa­re­sen und es wurde eine konstante Opiat­be­hand­lung durch­ge­führt. Bereits sechs Jahre vor dem Verster­ben des Patien­ten und auch vor dem Behand­lungs­be­ginn des verklag­ten Hausarz­tes wurde dem Patien­ten wegen Mangel­er­näh­rung und Austrock­nung des Körpers eine PEG-Sonde gelegt.

Durch diese wurde er bis zu seinem Tod künst­lich ernährt. Ohne entspre­chende Ernäh­rungs­the­ra­pie wäre es bei dem zu oraler Nahrungs- und Flüssig­keits­auf­nahme unfähi­gen Patien­ten unwei­ger­lich zu einem Verhun­gern bzw. Verdurs­ten gekom­men. Eine fortge­schrit­tene Grund­er­kran­kung, die zum Tode geführt hätte, lag nicht vor. Im streit­ge­gen­ständ­li­chen Zeitraum fanden wieder­holt statio­näre Aufent­halte – mit Zustim­mung des Betreu­ers – statt. Der Patient verstarb schließ­lich nach einer Aspira­ti­ons­pneu­mo­nie im Kranken­haus.

Der Sohn, als Erbe, behaup­tet, dass die künst­li­che Ernäh­rung in den letzten beiden Jahren nicht mehr medizi­nisch indiziert gewesen sei. Sie habe ledig­lich zu einer sinnlo­sen Lebens­ver­län­ge­rung geführt, ohne dass eine Aussicht auf Besse­rung bestan­den habe. Trotz des zerstrit­te­nen Verhält­nis­ses zu seinem Vater sei er der Auffas­sung, dass dieser einer unnöti­gen Leidens­ver­län­ge­rung nicht zugestimmt hätte. Er beansprucht deshalb ein vererb­tes Schmer­zens­geld mit der Begrün­dung, der betreu­ende Arzt hätte das Sterben des Vaters unter pallia­tiv­me­di­zi­ni­scher Betreu­ung durch Beendi­gung der Sonden­er­näh­rung zulas­sen müssen. Der verant­wort­li­che Arzt ging indes bis zuletzt von einer fortbe­stehen­den Indika­ti­ons­lage aus, zumal die PEG-Sonde einver­ständ­lich bereits durch den Vorbe­hand­ler gelegt worden sei.

Recht­li­che Würdi­gung

Das Landge­richt wies die Klage zurück. Demge­gen­über wurde dem Erben vom Oberlan­des­ge­richt im Dezem­ber 2017 ein Schmer­zens­geld­an­spruch zugespro­chen. Beide Gerichte gehen davon aus, dass die Indika­tion für eine Ernäh­rung über eine PEG-Sonde in den letzten zwei Jahren durch­aus zweifel­haft gewesen sein könnte. Die Indika­tion könnte gefehlt haben, wenn die lebens­er­hal­tende Maßnahme ledig­lich Leiden verlän­gert hätte.
Entschei­dend für die Indika­ti­ons­lage sei daher, ob noch Behand­lungs­ziele neben der rein zeitli­chen Verlän­ge­rung verfolgt würden. Hierbei seien zwangs­läu­fig auch subjek­tive Bewer­tun­gen maßge­bend. Oftmals befür­wor­te­ten Erkrankte in leidvol­len Situa­tio­nen eine weitere Nahrungs­zu­fuhr. Es gäbe daher nach den Grund­sät­zen der bishe­ri­gen Recht­spre­chung und auch nach den Feststel­lun­gen des Sachver­stän­di­gen keine Verpflich­tung für den behan­deln­den Arzt, selbst­tä­tig die künst­li­che Ernäh­rung abzubre­chen.

Es sei aber eine ärztli­che Neben­pflicht (Beratungs­pflicht zur Indika­tion nach § 1901 Absatz 1 BGB) verletzt, weil eine umfas­sende Erörte­rung über die mit der künst­li­chen Ernäh­rung noch erreich­ba­ren Ziele zwischen dem Arzt und dem Betreuer unstrei­tig nicht statt­ge­fun­den hätten. Insoweit stellte sich die Frage, welche Entschei­dung der Betreuer bei ordnungs­ge­mä­ßer Erörte­rung für den Patien­ten getrof­fen hätte. Nach Auffas­sung beider Instan­zen konnte die Beweis­auf­nahme diese Frage nicht klären.

Während das Landge­richt diese Erörte­rungs­pflicht des Arztes als thera­peu­ti­sche Aufklä­rung bzw. Siche­rungs­auf­klä­rung einstufte (Beweis­last beim Patien­ten), sieht das Berufungs­ge­richt hierin einen Bestand­teil der Eingriffs­auf­klä­rung mit der Folge, dass das Vorlie­gen einer ordnungs­ge­mä­ßen Aufklä­rung von dem Behand­ler zu bewei­sen sei. Die Nicht­auf­klär­bar­keit der Entschei­dung des Betreu­ers bei unter­stell­ter Aufklä­rung gehe daher nach Auffas­sung des OLG zulas­ten des Arztes.

Auf einen entlas­ten­den Rechts­irr­tum könne sich der behan­delnde Arzt ebenfalls nicht berufen, weil insofern die Vorschrif­ten des BGB eindeu­tig seien. Die entspre­chende Kennt­nis wäre für ihn als Allge­mein­me­di­zi­ner, der regel­mä­ßig unter Betreu­ung stehende Patien­ten behandle, geboten und zumut­bar gewesen. Soweit ethische Einwände des behan­deln­den Arztes bestün­den, bliebe ledig­lich die Möglich­keit eines Behand­lungs­rück­zugs.

Fazit

Die Verlet­zung des Integri­täts­in­ter­es­ses eines Patien­ten, dessen Leben mit diskus­si­ons­wür­di­ger Indika­tion verlän­gert wird, kann einen Schmer­zens­geld­an­spruch auslö­sen. Dieser Anspruch ist unein­ge­schränkt vererb­lich. Die grund­sätz­li­che Kennt­nis und Beach­tung der Betreu­ungs­re­ge­lun­gen werden dabei seitens des behan­deln­den Arztes voraus­ge­setzt.

Wegen der grund­sätz­li­chen Bedeu­tung des Falls wird der BGH im Wege der Revision über die obigen Feststel­lun­gen entschei­den. Hierbei bleibt abzuwar­ten, wie er die Erörte­rungs­pflicht des Arztes (§ 1901b Absatz 1 BGB) recht­lich einord­nen und gewich­ten wird.

Ungeach­tet dieser Rechts­frage ist für die Entschei­dung über weitere Behand­lungs­maß­nah­men immer der (mutmaß­li­che) Patien­ten­wille maßgeb­lich, der selbst bei vorhan­de­ner Patien­ten­ver­fü­gung selten eindeu­tig sein wird. Vor diesem Hinter­grund wird die Nicht­auf­klär­bar­keit der Entschei­dung eher die Regel als die Ausnahme darstel­len.