Wundreinigung
Inga Hoffmann-Tisch­ner, Wundma­na­ge­rin aus Köln, bei ihrem Vortrag. Bild: Björn Koch

„Ein autoly­ti­sches Débri­de­ment ist wie alkohol­freies Bier“, meinte PD Dr. Gunnar Riepe scher­zend, als er das Publi­kum in die verschie­de­nen Arten des Débri­de­ments, der Wundrei­ni­gung oder Wundtoi­lette, einführte. Eine solche vom Körper selbst veran­lasste Wundrei­ni­gung sei schonend, wirke aber auch nicht. „Bei sehr schlim­men Wunden ist die Chirur­gie ein Muss, bei leich­te­ren Fällen kann das Débri­de­ment auch mecha­nisch ablau­fen.“ Der Chefarzt für Wundchir­ur­gie des Gemein­schafts­kli­ni­kums Mittel­rhein in Boppard referierte zusam­men mit seiner langjäh­ri­gen frühe­ren Kolle­gin Anke Bülte­mann, die heute im Wundcen­trum des Askle­pios-Klini­kums Harburg beschäf­tigt ist. Einst hatten beide gemein­sam die preis­ge­krönte WundUhr entwi­ckelt.

Mit ihrem im locke­ren dialo­gi­schen Stil gehal­te­nen Vortrag sorgten sie für den Auftakt des zweistün­di­gen Satel­li­ten­sym­po­si­ums „Aus der Praxis für die Praxis 2.0“. Die Veran­stal­tung, die vom Medizin­pro­dukte­her­stel­ler Lohmann & Rauscher (L&R) präsen­tiert wurde, fand am Rande des 10. Inter­dis­zi­pli­nä­ren WundCon­gres­ses (IWC) in Köln statt. Hierbei gab es unter der Modera­tion von Kena Amoa einen inter­es­san­ten zweistün­di­gen Erfah­rungs­aus­tausch – von Prakti­kern für Prakti­ker, wie es der Seminar-Unter­ti­tel passend beschrieb.

Bülte­mann berich­tete von ihren guten Erfah­run­gen mit einer atrau­ma­ti­schen, schmerz­ar­men Wundrei­ni­gung durch Tücher und Schwämme; vor allem mit dem von L&R herge­stell­ten „Debri­s­oft-Lollys“: Dessen Monofi­la­ment-Fasern binde­ten Bakte­rien; ähnlich wie beim Zähne­put­zen ermög­li­che das Stiel­in­stru­ment kreisende Bewegun­gen auf der Wunde. „70 Prozent der Patien­ten empfan­den nur milden Schmerz, 20% waren sogar schmerz­frei“, berich­tet sie von ihrer Anwen­dungs-Analyse. „Unter Umstän­den kann die Wundrei­ni­gung mit dem Lolly sogar von den Patien­ten selbst erledigt werden.“ Vor allem für Schup­pen, Fibrin und Biofilm empfehle sich der Einsatz des neuar­ti­gen Instru­ments.

„Der Dreck muss runter von der Wunde, ganz egal wie“

Bei der Wundbe­hand­lung geht es aber nicht allein um fachli­che Aspekte. Genauso wichtig seien der mensch­li­che Faktor und die Rücksicht auf bishe­rige Erfah­run­gen der Patien­ten. Dies betonte im nachfol­gen­den Vortrag Inga Hoffmann-Tisch­ner, Wundma­na­ge­rin aus Köln. Hoffmann-Tisch­ner konnte diesbe­züg­lich wertvolle Erfah­run­gen auf einer Reise durch Afrika sammeln, wo sie auch Menschen behan­delte. Gerade dort sei Sensi­bi­li­tät wichtig gewesen – auch vor dem Hinter­grund abenteu­er­li­cher Vorbe­hand­lun­gen: wenn etwa Wundpa­ti­en­ten zur Trock­nung der Geschwüre in die pralle Mittags­sonne gelegt worden sind – wo sich dann die Wunden erst recht entzün­de­ten. „Es geht darum, das Vertrauen zu den Patien­ten aufzu­bauen. Wenn man alles als schlecht bezeich­net, was Patien­ten vorher gefal­len hat, ist es dahin.“

Kern ihres Vortra­ges war das gezielte Exsud­at­ma­nage­ment – also Wundflüs­sig­kei­ten von vornher­ein zu absor­bie­ren. „Nur Débri­die­ren reicht manch­mal nicht; es braucht Mittel, die das Exsudat in sich aufneh­men. Der Körper wird durch das Exsud­at­ma­nage­ment unter­stützt; er will die Erreger loswer­den. Der Dreck muss runter von der Wunde, ganz egal wie.“

Nur jeder zehnte Wundpa­ti­ent erhält Abstrich

Vor etwa zwei Jahren gingen in Zentral­asien Saiga-Antilo­pen zu Hundert­tau­sen­den zugrunde. Ursache für dieses Massen­ster­ben war ein mutier­tes Bakte­rium. Nur ein Beispiel, das uns an einen sparsa­me­ren Einsatz von Antibio­tika und eine genaue bakte­rio­lo­gi­sche Unter­su­chung von Wunden mahnen sollte, so Dr. Karsten Glocke­mann vom Wundzen­trum Hanno­ver. Denn die Zunahme von Antibio­ti­ka­re­sis­ten­zen berge enorme Gefah­ren. „Wir sollten früher reagie­ren, nicht erst wenn 30 Millio­nen Menschen verstor­ben sind“, so Glocke­mann.

Bedenk­lich stimme ihn, dass laut einer Befra­gung von Patien­ten in seinem Wundzen­trum in der Vergan­gen­heit nicht mal jeder Zehnte einen Abstrich entnom­men, jedoch über 80% der Befrag­ten Antibio­tika verschrie­ben bekom­men habe. „Abstri­che, gegebe­nen­falls Biopsien, sind ein absolu­tes Muss! Man sieht es Wunden nicht an, was in ihnen steckt“ – ihm seien stinkende, eitrige Wunden manch­mal sogar lieber, weil die Sache dann klar sei.

Die Wickel­tech­nik ist entschei­dend

Mit Kompres­si­ons­tech­ni­ken beschäf­tigte sich Björn Jäger in seinem Vortrag. So trügen Kompres­si­ons­ver­bände dazu bei, dass Venen­ge­schwüre heilen könnten. „Ein unsach­ge­mäß angeleg­ter Kompres­si­ons­ver­band schadet Patien­ten mehr, als er von Nutzen ist“, warnte er jedoch. Unbedingt notwen­dig sei daher ein fachge­rech­ter Verband – das Wickeln müsse an den Zehen begin­nen und der Fuß in einen 90-Grad-Winkel gebracht werden. Die Ferse gelte es mit einwi­ckeln und Dellen auszu­pols­tern.

Durch zu enge Kleidung, ungüns­tige Körper­hal­tun­gen, viel Alkohol, übermä­ßige Wärme, hohe Schuhe oder Verer­bung könne das Risiko erhöht werden. Die Patien­ten gelte es aber unbedingt mitzu­neh­men. „Sagen Sie mal einem überzeug­ten Sauna­gän­ger, da dürfe er jetzt nicht mehr rein, weil es schlecht für die Venen ist. Und Alkohol auch nicht mehr trinken. Der zeigt einem den Vogel.“