Wohl bekomms: Pflegekräfte im öffentlichen Dienst erhalten jetzt mehr Gehalt
Wohl bekomms: Pflege­kräfte im öffent­li­chen Dienst erhal­ten jetzt mehr Gehalt Bild: peter-facebook

Beobach­ter hatten die Verhand­lun­gen über die Gehäl­ter im öffent­li­chen Dienst schon vor dem Schei­tern gesehen. Denn die Warnstreiks in Kitas und ÖPNV sorgten zuvor schein­bar für wenig Bewegung. Doch als die Tarif­par­teien Sonntag vor die Presse traten, war dann doch ein Kompro­miss gefun­den, den Verhand­lungs­füh­rer Horst Seeho­fer als „histo­risch“ bezeich­nete. „Beson­ders erfreu­lich ist, dass es uns gelun­gen ist, deutli­che Verbes­se­run­gen für untere und mittlere Einkom­mens­grup­pen sowie für den Bereich Pflege und Gesund­heit durch­zu­set­zen“, sagte Frank Werneke, Vorsit­zen­der der Verein­ten Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft (ver.di).

Deutlich zurück­hal­ten­der äußerte sich Ulrich Mädge, Präsi­dent der Verei­ni­gung der kommu­na­len Arbeit­ge­ber­ver­bände (VKA), der von einem „wirtschaft­lich verkraft­ba­ren Abschluss“ sprach, der „Planungs­si­cher­heit gibt“.

Ebenso nüchtern fiel die Bewer­tung beim Deutschen Beamten-Bund (dbb) aus: „Das ist der Corona-Kompro­miss. Wir haben mit diesem Abschluss das aktuell Machbare erreicht“, bilan­zierte dessen Bundes­vor­sit­zen­der Ulrich Silber­bach die verein­bar­ten Steige­run­gen der Gehäl­ter.

Wer bekommt mehr Geld?

Konkret wurden folgende Maßnah­men beschlos­sen:

  • Schon im Dezem­ber gibt es mehr Geld: Corona-Bonus­zah­lun­gen für die unteren acht Einkom­mens­grup­pen in Höhe von 600 Euro, für die mittle­ren (E 9–12) 400 Euro und für die oberen Einkom­mens­grup­pen (E 13–15) 300 Euro.
  • Die Jahres­son­der­zah­lun­gen (Urlaubs- und Weihnachts­geld) werden für die unteren acht Einkom­mens­grup­pen um 5 Prozent angeho­ben.
  • Zum 1.4.2021 steigen die Gehäl­ter um 1,4 Prozent, mindes­tens jedoch um 50 Euro. In einem zweiten Schritt steigen sie zum 1.4.2022 um weitere 1,8 Prozent.
  • Ab März 2021 erhal­ten Pflege­kräfte zusätz­lich eine Pflege­zu­lage von 70 Euro, die 2022 auf 120 Euro erhöht wird. Die Zulage in der Inten­siv­me­di­zin wird mehr als verdop­pelt auf 100 Euro monat­lich, die Wechsel­schicht­zu­lage steigt von 105 auf 155 Euro monat­lich.
  • Ärzte in den Gesund­heits­äm­tern erhal­ten ab März 2021 eine Zulage von 300 Euro monat­lich.

Von den Maßnah­men profi­tie­ren die 2,3 Millio­nen Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst auf kommu­na­ler und Bundes­ebene, nicht jedoch die Landes­be­schäf­tig­ten. Auf die Beamten soll der Abschluss analog angewandt werden. Die Arbeit­ge­ber­seite kalku­liert die Gesamt­kos­ten auf 4,9 Milli­ar­den Euro auf die gesamte Laufzeit von 28 Monaten bezogen.

Einen Pferde­fuß gibt es aller­dings: Nicht bzw. nicht unmit­tel­bar profi­tie­ren die vielen Pflege­kräfte in Kranken­häu­sern, die von gewinn­ori­en­tier­ten Unter­neh­men geführt werden – und das sind inzwi­schen 37,6 % (2018). Ob sie den Tarif­ab­schluss für sich überneh­men, wird sich erst zeigen müssen.

Kritik: Gehäl­ter sind nicht alles

Auch sonst gab es nicht nur positive Stimmen. Der bekannte Koblen­zer Sozial­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Stefan Sell kriti­sierte etwa, dass das erzielte Ergeb­nis auf Zulagen statt eine tarif­li­che Neuein­grup­pie­rung setze und damit „eine struk­tu­relle, deutlich ambitio­nier­tere Aufwer­tung der Pflege­be­rufe eher blockie­ren bis verun­mög­li­chen wird“. Auch bei den gemein­nüt­zi­gen Trägern hätte man sich ein deutli­che­res Signal an die Pflege gewünscht.

„Mit solchen enttäu­schen­den Ergeb­nis­sen werden wir keine jungen Menschen für den Pflege­be­ruf begeis­tern und verschär­fen den Pflege­not­stand“, sagte Alexan­der Slotty, Landes­ge­schäfts­füh­rer der Volks­so­li­da­ri­tät Berlin, die 1.300 Mitar­bei­ter in der Pflege beschäf­tigt.

Auch die erst kürzlich gegrün­dete Pflege­ge­werk­schaft Bochu­mer­Bund (BB) äußerte sich kritisch zu den Tarif­ver­hand­lun­gen, denn es gehe nicht nur um Geld. Die Inter­es­sen­ver­tre­tung verwies auf „die immense Bedeu­tung nicht-monetä­rer Wertschät­zung für pflege­ri­sche Arbeit“, die in vielen Einrich­tun­gen vernach­läs­sigt werde. Die Zeit sei reif dafür, die oftmals katastro­pha­len Arbeits- und Hygie­ne­be­din­gun­gen endlich zu verbes­sern, so der BB-Vorsit­zende Hubert Biniak.

Bei ver.di sind diese Signale durch­aus angekom­men. Man werde neben den Gehäl­tern auch die struk­tu­rel­len Probleme, wie den weiter herrschen­den Perso­nal­man­gel, in den kommen­den Monaten stärker thema­ti­sie­ren, erklärte der Vorsit­zende der Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft gegen­über der Nachrich­ten­agen­tur dpa.

Tarif­kon­flikt in Corona-Zeiten

Dass überhaupt während der Corona­pan­de­mie über mehr Geld verhan­delt wurde, war übrigens nicht der Wunsch der Gewerk­schaf­ten. Diese hatten angebo­ten, die Laufzeit des bishe­ri­gen Tarif­ver­tra­ges um ein Jahr zu verlän­gern, wenn es dafür eine ausglei­chende Einmal­zah­lung gäbe. Die Arbeit­ge­ber­seite hatte dieses Angebot jedoch ausge­schla­gen, wohl auch weil sie davon ausging, jetzt eine stärkere Verhand­lungs­po­si­tion zu haben.

Während alle Medien bereits von einer finalen Einigung sprechen, steht der Kompro­miss tatsäch­lich noch unter Zustim­mungs­vor­be­halt. Die Bundes­ta­rif­kom­mis­sion von ver.di wird am 24.11. beraten und muss dem Ganzen noch ihr Plazet geben. Zuvor sei noch einiges an Überzeu­gungs­ar­beit zu leisten und er werde „viel in Video­kon­fe­ren­zen sein“, kündigte Werneke an.

Quelle: ver.di, VKA, dbb