Beweislücken durch mangelhafte Dokumentation
Mängel in der Dokumen­ta­tion können sich im Falle eines Prozes­ses als Beweis­lü­cken auswir­ken. Bild: Sudok1/Dreamstime.com

Der vorlie­gende Fall hat sich tatsäch­lich zugetra­gen und war Gegen­stand eines Verfah­rens vor der Gutach­ter­kom­mis­sion für ärztli­che Haftung.

Sachver­halt

Der Versi­che­rungs­neh­mer – Facharzt für Allge­mein­me­di­zin – leistete den ärztli­chen Bereit­schafts­dienst im Rahmen der Notfall­sprech­stunde an einem Freitag­nach­mit­tag. Der Patient suchte den Versi­che­rungs­neh­mer wegen Übelkeit und Erbre­chen auf. Der Versi­che­rungs­neh­mer führte eine einge­hende körper­li­che Unter­su­chung durch. Der Patient hatte kein Fieber, der Allge­mein­zu­stand war nicht wesent­lich beein­träch­tigt und die Lunge war frei. Der Versi­che­rungs­neh­mer unter­suchte auch das Abdomen, aller­dings ohne einen patho­lo­gi­schen Befund (kein Druck­schmerz, kein Loslass­schmerz, McBur­ney frei) zu erheben. Unter der Verdachts­dia­gnose einer Gastroen­teri­tis verord­nete unser Versi­che­rungs­neh­mer Tee, Diät und Schonung. Bei ausblei­ben­der Besse­rung sollte der Patient sich am Montag bei seinem Hausarzt vorstel­len, bei Verschlech­te­rung jeder­zeit in der Notfall­sprech­stunde oder in einem Kranken­haus.

Unser Versi­che­rungs­neh­mer dokumen­tierte auf dem Notfall­schein keinen der von ihm erhobe­nen Befunde, sondern ledig­lich die geklag­ten Beschwer­den (Übelkeit und Erbre­chen) sowie seine Diagnose (Verdacht auf Gastroen­teri­tis) und die Thera­pie (Tee, Diät, Schonung). Zur Wieder­vor­stel­lungs­emp­feh­lung dokumen­tierte er ledig­lich „WV HA“ (Wieder­vor­stel­lung Hausarzt).

Im weite­ren Verlauf kam es zu einer Verschlech­te­rung des Zustands des Patien­ten. Die Körper­tem­pe­ra­tur erhöhte sich und es traten starke Bauch­schmer­zen auf. Der Patient musste zudem mehrfach erbre­chen. Gleich­wohl suchte der Patient weder die Notfall­sprech­stunde noch ein Kranken­haus auf, sondern stellte sich erst am Montag­mor­gen bei seinem Hausarzt vor. Dieser veran­lasste eine sofor­tige statio­näre Aufnahme. Im Kranken­haus wurde eine perfo­rierte Appen­di­zi­tis (Blind­darm­ent­zün­dung mit Blind­darm­durch­bruch) diagnos­ti­ziert und opera­tiv versorgt. Intra­ope­ra­tiv wurde eine ausge­prägte Perito­ni­tis (Entzün­dung des Bauch­fells) festge­stellt. Der Heilungs­ver­lauf gestal­tete sich prolon­giert; es kam zu Kompli­ka­tio­nen, die eine inten­siv­me­di­zi­ni­sche Betreu­ung erfor­der­lich machten. Insge­samt war der Patient fast drei Wochen in statio­nä­rer Behand­lung.

Im Verfah­ren vor der Gutach­ter­kom­mis­sion trug der Patient vor, der Versi­che­rungs­neh­mer habe keine Unter­su­chung des Abdomens vorge­nom­men. Ferner habe er ledig­lich die Vorstel­lung beim Hausarzt am Montag empfoh­len. Eine notfall­mä­ßige Vorstel­lung im Falle der Verschlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stands sei nicht angera­ten worden.

In ihrem Votum sah die Gutach­ter­kom­mis­sion eine Haftung des versi­cher­ten Arztes als gegeben. Die Unter­su­chung des Abdomens sei medizi­nisch indiziert gewesen. Ferner handele es sich um eine dokumen­ta­ti­ons­pflich­tige Unter­su­chung. Da die betref­fen­den Befunde nicht dokumen­tiert worden seien, sei zunächst davon auszu­ge­hen, dass die Unter­su­chung nicht erfolgt sei. Den Beweis, dass die Unter­su­chun­gen entge­gen der Dokumen­ta­tion durch­ge­führt worden seien, könne der Arzt nicht führen.

Ferner spreche die Dokumen­ta­tion zur Wieder­vor­stel­lungs­emp­feh­lung für die Darstel­lung des Patien­ten, sodass auch diesbe­züg­lich von einer Haftung des Arztes auszu­ge­hen sei. Bei frühzei­ti­ger Diagnose hätte die Perito­ni­tis (Entzün­dung des Bauch­fells) verhin­dert werden können, eine opera­tive Behand­lung wäre im gerin­ge­ren Umfang notwen­dig und der Heilungs­ver­lauf wäre deutlich kürzer gewesen.

Haftungs­recht­li­che Beurtei­lung

Die Dokumen­ta­tion dient primär den thera­peu­ti­schen Inter­es­sen des Patien­ten.

Der Arzt ist nach § 630f Absatz 3 BGB, der mit dem sogenann­ten Patien­ten­rech­te­ge­setz einge­führt wurde, aller­dings verpflich­tet, in der Patien­ten­akte sämtli­che aus fachli­cher Sicht für die derzei­tige und künftige Behand­lung wesent­li­che Maßnah­men und deren Ergeb­nisse aufzu­zeich­nen, insbe­son­dere die Anamnese, Diagno­sen, Unter­su­chun­gen, Unter­su­chungs­er­geb­nisse, Befunde, Thera­pien und ihre Wirkun­gen, Eingriffe und ihre Wirkun­gen, Einwil­li­gun­gen und Aufklä­run­gen (§ 630f Absatz 1 BGB).

Danach sind die Unter­su­chung des Abdomens und die dabei erhobe­nen Befunde als dokumen­ta­ti­ons­pflich­tige Maßnahme einzu­stu­fen.

Die fehlende oder unvoll­stän­dige Dokumen­ta­tion begrün­det nach der Recht­spre­chung die Vermu­tung, dass die aus medizi­ni­schen Gründen erfor­der­li­che Maßnahme (etwa Unter­su­chung des Abdomens, Ausschluss einer Appen­di­zi­tis oder anderes) unter­blie­ben ist, soweit dem Arzt nicht der Beweis des Gegen­teils gelingt. Da hier mangels Zeugen der Unter­su­chung ledig­lich die Anhörung des Arztes im Prozess möglich gewesen wäre, bestan­den erheb­li­che Risiken, dass ein entspre­chen­der Beweis im gericht­li­chen Verfah­ren nicht hätte geführt werden können.

Auch hinsicht­lich der Wieder­vor­stel­lungs­emp­feh­lung war von erheb­li­chen Prozess­ri­si­ken auszu­ge­hen, denn der Eintrag auf dem Notfall­schein stützte die Darstel­lung des Patien­ten.

Aufgrund dieser Haftungs- und Beweis­ri­si­ken musste wegen der unzurei­chen­den Dokumen­ta­tion mit dem Anspruch­stel­ler ein Risiko­ver­gleich im deutlich fünfstel­li­gen Bereich geschlos­sen werden.

Fazit

Dieser Fall zeigt, dass auch unter den Bedin­gun­gen des Notdiens­tes auf eine ordnungs­ge­mäße Dokumen­ta­tion zu achten ist, da sich sonst Haftungs­ri­si­ken trotz ordnungs­ge­mä­ßer Behand­lung ergeben. Zwar soll auch nach Einfüh­rung des sogenann­ten Patien­ten­rech­te­ge­set­zes die Dokumen­ta­ti­ons­pflicht nicht dazu dienen, dem Patien­ten Beweis­mit­tel für einen etwaigen Arzthaf­tungs­pro­zess zu verschaf­fen. Gleich­wohl kommt der Dokumen­ta­tion im Arzthaf­tungs­pro­zess ein erheb­li­cher Beweis­wert zu, sodass ein Prozess ausschließ­lich aufgrund einer mangel­haf­ten oder unvoll­stän­di­gen Dokumen­ta­tion verlo­ren gehen kann.

Von RA Tanja Mannschatz, HDI