Der vorliegende Fall hat sich tatsächlich zugetragen und war Gegenstand eines Verfahrens vor der Gutachterkommission für ärztliche Haftung.
Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer – Facharzt für Allgemeinmedizin – leistete den ärztlichen Bereitschaftsdienst im Rahmen der Notfallsprechstunde an einem Freitagnachmittag. Der Patient suchte den Versicherungsnehmer wegen Übelkeit und Erbrechen auf. Der Versicherungsnehmer führte eine eingehende körperliche Untersuchung durch. Der Patient hatte kein Fieber, der Allgemeinzustand war nicht wesentlich beeinträchtigt und die Lunge war frei. Der Versicherungsnehmer untersuchte auch das Abdomen, allerdings ohne einen pathologischen Befund (kein Druckschmerz, kein Loslassschmerz, McBurney frei) zu erheben. Unter der Verdachtsdiagnose einer Gastroenteritis verordnete unser Versicherungsnehmer Tee, Diät und Schonung. Bei ausbleibender Besserung sollte der Patient sich am Montag bei seinem Hausarzt vorstellen, bei Verschlechterung jederzeit in der Notfallsprechstunde oder in einem Krankenhaus.
Unser Versicherungsnehmer dokumentierte auf dem Notfallschein keinen der von ihm erhobenen Befunde, sondern lediglich die geklagten Beschwerden (Übelkeit und Erbrechen) sowie seine Diagnose (Verdacht auf Gastroenteritis) und die Therapie (Tee, Diät, Schonung). Zur Wiedervorstellungsempfehlung dokumentierte er lediglich „WV HA“ (Wiedervorstellung Hausarzt).
Im weiteren Verlauf kam es zu einer Verschlechterung des Zustands des Patienten. Die Körpertemperatur erhöhte sich und es traten starke Bauchschmerzen auf. Der Patient musste zudem mehrfach erbrechen. Gleichwohl suchte der Patient weder die Notfallsprechstunde noch ein Krankenhaus auf, sondern stellte sich erst am Montagmorgen bei seinem Hausarzt vor. Dieser veranlasste eine sofortige stationäre Aufnahme. Im Krankenhaus wurde eine perforierte Appendizitis (Blinddarmentzündung mit Blinddarmdurchbruch) diagnostiziert und operativ versorgt. Intraoperativ wurde eine ausgeprägte Peritonitis (Entzündung des Bauchfells) festgestellt. Der Heilungsverlauf gestaltete sich prolongiert; es kam zu Komplikationen, die eine intensivmedizinische Betreuung erforderlich machten. Insgesamt war der Patient fast drei Wochen in stationärer Behandlung.
Im Verfahren vor der Gutachterkommission trug der Patient vor, der Versicherungsnehmer habe keine Untersuchung des Abdomens vorgenommen. Ferner habe er lediglich die Vorstellung beim Hausarzt am Montag empfohlen. Eine notfallmäßige Vorstellung im Falle der Verschlechterung des Gesundheitszustands sei nicht angeraten worden.
In ihrem Votum sah die Gutachterkommission eine Haftung des versicherten Arztes als gegeben. Die Untersuchung des Abdomens sei medizinisch indiziert gewesen. Ferner handele es sich um eine dokumentationspflichtige Untersuchung. Da die betreffenden Befunde nicht dokumentiert worden seien, sei zunächst davon auszugehen, dass die Untersuchung nicht erfolgt sei. Den Beweis, dass die Untersuchungen entgegen der Dokumentation durchgeführt worden seien, könne der Arzt nicht führen.
Ferner spreche die Dokumentation zur Wiedervorstellungsempfehlung für die Darstellung des Patienten, sodass auch diesbezüglich von einer Haftung des Arztes auszugehen sei. Bei frühzeitiger Diagnose hätte die Peritonitis (Entzündung des Bauchfells) verhindert werden können, eine operative Behandlung wäre im geringeren Umfang notwendig und der Heilungsverlauf wäre deutlich kürzer gewesen.
Haftungsrechtliche Beurteilung
Die Dokumentation dient primär den therapeutischen Interessen des Patienten.
Der Arzt ist nach § 630f Absatz 3 BGB, der mit dem sogenannten Patientenrechtegesetz eingeführt wurde, allerdings verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen (§ 630f Absatz 1 BGB).
Danach sind die Untersuchung des Abdomens und die dabei erhobenen Befunde als dokumentationspflichtige Maßnahme einzustufen.
Die fehlende oder unvollständige Dokumentation begründet nach der Rechtsprechung die Vermutung, dass die aus medizinischen Gründen erforderliche Maßnahme (etwa Untersuchung des Abdomens, Ausschluss einer Appendizitis oder anderes) unterblieben ist, soweit dem Arzt nicht der Beweis des Gegenteils gelingt. Da hier mangels Zeugen der Untersuchung lediglich die Anhörung des Arztes im Prozess möglich gewesen wäre, bestanden erhebliche Risiken, dass ein entsprechender Beweis im gerichtlichen Verfahren nicht hätte geführt werden können.
Auch hinsichtlich der Wiedervorstellungsempfehlung war von erheblichen Prozessrisiken auszugehen, denn der Eintrag auf dem Notfallschein stützte die Darstellung des Patienten.
Aufgrund dieser Haftungs- und Beweisrisiken musste wegen der unzureichenden Dokumentation mit dem Anspruchsteller ein Risikovergleich im deutlich fünfstelligen Bereich geschlossen werden.
Fazit
Dieser Fall zeigt, dass auch unter den Bedingungen des Notdienstes auf eine ordnungsgemäße Dokumentation zu achten ist, da sich sonst Haftungsrisiken trotz ordnungsgemäßer Behandlung ergeben. Zwar soll auch nach Einführung des sogenannten Patientenrechtegesetzes die Dokumentationspflicht nicht dazu dienen, dem Patienten Beweismittel für einen etwaigen Arzthaftungsprozess zu verschaffen. Gleichwohl kommt der Dokumentation im Arzthaftungsprozess ein erheblicher Beweiswert zu, sodass ein Prozess ausschließlich aufgrund einer mangelhaften oder unvollständigen Dokumentation verloren gehen kann.
Von RA Tanja Mannschatz, HDI