Rechtsdepesche: Die Geldflüsse im Gesundheitssystem steigen stetig. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2021 auf beachtliche 474,1 Milliarden Euro gestiegen.
Die Bruttowertschöpfung im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft liegt bei knapp 391,8 Milliarden Euro. Haben wir trotz dieser enormen Summen ein Finanzierungsproblem?
„Größere Einheiten operieren oft effizienter“
Wolfgang Vitzthum: Das ist eine komplexe Frage. Am besten ist es, wenn ich das am Beispiel einer Krankenhausfinanzierung erläutere. Der Finanzbedarf ist hier im Wesentlichen auf die Anschaffung neuer medizintechnischer Geräte sowie auf die Investitionen in die Gebäudeinfrastruktur gerichtet.
Das ist für Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft sicherlich schwieriger als für große Universitätskliniken, deren Träger oft finanzstärker sind. Das spielt dann auch bei der Kreditentscheidung einer Bank eine Rolle.
Hinzu kommt, dass nach dem Konzept der sogenannten dualen Finanzierung die Investitionskosten von den Betriebskosten getrennt werden. Auch da macht es sich natürlich bemerkbar, dass Städte, Länder oder Gesundheitskonzerne als Träger im Hintergrund über mehr Mittel verfügen.
Größere Einheiten können deshalb oft effizienter operieren und mehr Investitionen tätigen.
„Anforderungen im Gesundheitswesen sind hoch“
Rechtsdepesche: Die regulatorischen Anforderungen sind im Gesundheitswesen in der Vergangenheit für alle Beteiligten drastisch gestiegen und setzen sowohl die Leistungserbringer als auch die Anbieter von privaten Leistungen im Gesundheitswesen unter starken Druck. Werden diese Signale auch in der Finanzwelt wahrgenommen?
Vitzthum: Die regulatorischen Anforderungen sind im Gesundheitssektor schon immer relativ hoch gewesen. In letzter Zeit sind sie noch weiter gestiegen. Zu nennen sind hier vor allem die Berichtspflichten im Zusammenhang mit den sogenannten ESG-Nachhaltigkeitskriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.
Große Firmen haben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung eigene ESG-Teams, während kleinere Unternehmen dafür meist neue Mitarbeiter einstellen müssen. Das führt zu einem höheren Aufwand und Kostendruck.
Rechtsdepesche: Das wird also von den Banken erkannt. Wird es auch berücksichtigt?
Vitzthum: Unternehmen mit ener proaktiven Nachhaltigkeitsstrategie und entsprechenden Kennzahlen können sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Davon bin ich überzeugt.
Das gilt gegenüber Banken und auch mit Blick auf die Lieferketten. Wir sehen das und wir unterstützen gerne bei den Fragen, wie eine effiziente Nachhaltigkeits-Berichterstattung aufgesetzt werden kann. Bestandteil dieser Beratung ist die Frage, was für den Finanzmarkt und die Bankenwelt wichtig ist.
Am Ende bleibt es gleichwohl die Aufgabe des Unternehmens, in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsprüfern, die Berichterstattung auszuformulieren.
Druck auf Banken gestiegen?
Rechtsdepesche: Der Druck auf die Banken, Nachhaltigkeitsaspekte bei der Kreditvergabe zu berücksichtigen, ist deutlich gestiegen. Das Finanzwesen muss „grüner“ werden. Wie wird das bei der Kreditvergabe abgebildet?
Vitzthum: Hier gibt es verschiedene Dimensionen. Es gibt zunächst einmal die bankaufsichtlichen Erwartungen. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde hat im November 2020 die Auflage formuliert, dass klimabezogene Risiken in die Kredit-Prozesse integriert werden müssen.
Dies erfolgt über die Beurteilung transformatischer Risiken sowie die Frage der finanzierten Emissionen.
Gleichwohl stehen im Gesundheitssektor klimabezogene Risiken nicht so stark im Fokus. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf die Gebäudestandards. Letztlich geht es aber um die Beurteilung der Nachhaltigkeitsstrategie als Ganzes. Dazu gehören in diesem Sektor soziale Kennzahlen, die zum Beispiel den Zugang zu Gesundheitsleistungen betreffen.
Rechtsdepesche: In die Leistungsprozesse eines Krankenhauses sind auch externe Dienstleister eingebunden. Die kooperierenden Groß-Wäschereien legen schon seit langer Zeit großen Wert auf eine ordentliche Öko-Bilanz ihrer Dienstleistungen. Wird dieser Aspekt bei der nachhaltigen Finanzierung berücksichtigt? Können auch externe Dienstleister mit der Unterstützung der Banken rechnen?
„Zulieferer ein wesentlicher Bestandteil der Nachhaltigkeitsbilanz“
Vitzthum: Ja, auf jeden Fall. Zulieferer sind immer ein wesentlicher Bestandteil der Nachhaltigkeitsbilanz von Unternehmen. Je besser die Ökobilanz eines Zulieferers ist, desto stärker wird tendenziell dessen Stellung in der Lieferkette. Die Service-Dienstleistungen fließen in die Ökobilanz des Auftraggebers ein. Das schlägt positiv auf die Kreditvergabe sowie die Kreditkonditionen durch. Banken bieten heute eine Reihe von unterstützenden Lösungen zur Finanzierung von ökologisch nachhaltigen Geschäftsmodellen an.
Rechtsdepesche: Können Krankenhäuser von der positiven Ökobilanz ihrer externen Partner bei der Kreditvergabe profitieren?
„Ökobilanz gut für die Kreditvergabe“
Vitzthum: Ja, das ist so. Die Nachhaltigkeitsbilanz eines Krankenhauses lässt sich immer nur unter Berücksichtigung der Lieferanten optimieren. Wie recyclingfähig oder wie CO2-intensiv ist das zugelieferte Material, das in der Patientenversorgung verwendet wird? Das sind Fragen, die ebenfalls in die Gesamtbewertung eines Krankenhauses einfließen.
Dies alles muss natürlich im Verhältnis zum Versorgungsauftrag der Krankenhäuser stehen. Bei der Kreditvergabe an Krankenhäuser nimmt dieser Aspekt selbstverständlich eine zentrale Rolle ein.
Rechtsdepesche: Seit dem Beginn dieses Jahres gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Die Transparenzkriterien müssen über ein elektronisches Portal nach einem einheitlichen Verfahren an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gemeldet werden. Gibt es etwas Vergleichbares auch im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Vitzthum: Die Europäische Union arbeitet an der Einrichtung des sogenannten European Single Access Point, abgekürzt ESAP. Dies ist ein zentrales Zugangsportal für standardisierte und geprüfte finanz- und nachhaltigkeitsbezogene Daten aller CSRD-berichtspflichtigen Unternehmen.
In Verbindung mit den ESRS, den European Sustainability Reporting Standards, sollen die nicht finanziellen Kennzahlen transparent und vergleichbar werden, damit sie zum Bestandteil von Investitions- und Kredit-Entscheidungen gemacht werden können. Die EU arbeitet also am zentralen Sammeln von Daten zur Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele.
Neue Berichtspflicht
Rechtsdepesche: Für wen gilt diese neue CSRD-Berichtspflicht?
Vitzthum: Die Berichtspflicht gilt ab dem Jahr 2026 zusätzlich für Großunternehmen, die folgende Schwellenwerte übersteigen
- Bilanzsumme 25 Millionen Euro
- Netto-Umsatzerlöse 50 Millionen Euro
- 250 Beschäftigte
EU-weit sprechen wir von etwa 50.000 Unternehmen, die insgesamt in der nächsten Ausbaustufe der Berichtspflicht unterliegen.
Auf Deutschland entfallen davon circa 14.500 Unternehmen.
Rechtsdepesche: Die Zinsen steigen. Die Kredite werden immer teurer. Was meinen Sie, bremst dies auch die Investitionen in ökologische Projektplanungen? Oder stehen in diesem Bereich vielleicht Gelder zu Sonderkonditionen zur Verfügung?
„In grüne Transformation investieren!“
Vitzthum: Zunächst haben natürlich die gestiegenen Zinsen in Verbindung mit den geopolitischen und politischen Spannungen zur Investitionszurückhaltung beigetragen. Auf der anderen Seite hat zugleich die angespannte Lage an den Energiemärkten die Notwendigkeit verstärkt, in die grüne Transformation zu investieren.
Durch die gestiegenen Energiepreise lohnt sich beispielsweise die Anschaffung einer autonomen Energieversorgung über erneuerbare Energien noch mehr. Die Effekte des anhaltend hohen Gaspreises haben die gesamte Kalkulation verändert. Auch im Gesundheitssektor ist dies unter dem Gesichtspunkt der Planungs- und Kostensicherheit von herausragender Bedeutung.
Deshalb eine klare Antwort auf Ihre Frage: Ja, zur Finanzierung von grünen Projekten. Und besonders nachhaltigen Unternehmen steht eine Reihe von unterstützenden Finanzierungslösungen zur Verfügung.
Rechtsdepesche: Ein Wort zu den Insolvenzen im Krankenhaus und Pflegeheimbereich. Werden diese Einschläge in der Kreditwirtschaft wahrgenommen?
„Insolvenzen von Gesundheitseinrichtungen sind selten“
Vitzthum: Der Gesundheitssektor ist ein stark wachsender Markt mit allgemein tragfähigen Geschäftsmodellen. Die Kreditprofile sind unterschiedlich. Kleineren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen fällt es tendenziell schwerer, auf Dauer wirtschaftlich zu arbeiten.
Oftmals werden sie im Insolvenzfall von größeren Einheiten übernommen und weitergeführt. Allgemein kann man sagen, dass die Konsolidierungstendenzen im Gesundheitsmarkt stark ausgeprägt sind.
Insolvenz von Gesundheitseinrichtungen sind selten. Es ist immer auch ein Politikum. Das kann in der Praxis dann zu Liquiditätsnachschüssen der Träger führen.
Rechtsdepesche: Die Funktionalität der Gesundheitsversorgung setzt das Zusammenwirken von großen und kleinen Unternehmungen voraus. Wird dieser Aspekt bei der Kreditvergabe berücksichtigt?
„Geschäftsmodell wird ganzheitlich betrachtet für Kreditvergabe“
Vitzthum: Das Geschäftsmodell des einzelnen Kreditnehmers muss bei der Kreditvergabe immer ganzheitlich betrachtet werden. Das heißt seine organisatorische Position innerhalb der Lieferkette und das Wettbewerbsumfeld sind zu berücksichtigen. Ein einzelner Dienstleister kann insofern von der finanziellen Stärke seines Großkunden, wie zum Beispiel einer Uniklinik, profitieren.
Das macht zum einen das Risiko seines eigenen Zahlungsausfalls geringer und zum anderen sind Forderungsverkäufe als Finanzierungsinstrument leichter zu realisieren.
Rechtsdepesche: Viele Kreditanfragen sollen derzeit abgelehnt werden. Woran liegt das?
Vitzthum: Die entscheidende Frage ist, ob einzelne Institutionen profitabel wirtschaften können und ob das duale System der Finanzierung funktioniert.
Wenn das nicht der Fall ist, werden Finanzierungsfragen natürlich schwierig. Wenn das System aber insgesamt funktioniert, gibt es auch keine Probleme mit den Krediten.
„Zinssenkung im Sommer erwartet“
Rechtsdepesche: Lassen Sie uns am Ende dieses Gesprächs in die Glaskugel schauen. Wie ist Ihre Prognose für die Zinsentwicklung in der Kreditvergabe?
Wolfgang Vitzthum: Die Zinsentwicklung bleibt in erster Linie immer auch eine Bonitätsfrage. Gleichzeitig ist das allgemeine Zinsumfeld prägend. Wir haben gesehen, dass die Abwärtsdynamik der Inflation im Euroraum zuletzt stärker als erwartet ausgefallen ist. Gleichzeitig besteht weiterhin Druck bei der inländischen Inflation und der Lohnentwicklung.
Unsere Volkswirte erwarten eine erste Zinssenkung der EZB im Juni 2024. Am Terminmarkt sind sogar schon schnellere Zinssenkungen eingepreist. Insofern deutet einiges darauf hin, dass der allgemeine Trend steigender Kreditzinsen seinen Höhepunkt überschritten hat.
Eine Rückkehr in das Niedrigzinsumfeld der Vor-Covid-Zeit ist gleichwohl nicht in Sicht. Die Inflationsrate wird sich nach unserer Einschätzung über dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB einpendeln.
Rechtsdepesche: Herzlichen Dank für das informative Gespräch.
Zur Person: Wolfgang Vitzthum, Director ESG & Sustainable Finance Solutions. Wolfgang Vitzthum ist auf die Transformations-Beratung mittelständischer Unternehmen spezialisiert. Er verantwortet seit 2022 das Kompetenzteam „ESG & Sustainable Finance Solutions“ für Firmenkunden der Commerzbank. Wolfgang Vitzthum ist Diplom-Volkswirt und begann seine Karriere 2005 im Bereich Structured Finance.